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Audit & Assurance


Governance-Aspekte des EU Financing Sustainable Growth Action Plan

Das Thema Nachhaltigkeit ist der Game Changer für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft: Der völkerrechtlich bindenden Verpflichtung aus dem Pariser Klimaabkommen folgend, soll die EU bis 2050 zu einer klimaneutralen, emissionsfreien Volkswirtschaft werden.

Die Erreichung dieser Klimaziele wird auf EU-Ebene durch den European Green Deal und den EU Financing Sustainable Growth Action Plan intensiv verfolgt. Hierfür sollen die Treibhausgas-Emissionsziele für 2030 hinterfragt und ggf. angepasst werden. Der Emissionszertifikate-Handel könnte auf weitere Sektoren ausgedehnt werden. Weitere Maßnahmen betreffen Mobilität, Lebensmittelproduktion und Chemie. Obwohl die EU-Kommission vorschlägt, im Haushaltsplan für den Zeitraum 2021 bis 2027 320 Mrd. Euro – also jeden vierten im Haushaltsplan vorgesehenen Euro – für Klimaschutzmaßnahmen vorzusehen, geht sie davon aus, dass für die Erreichung der Klimaziele in den kommenden zehn Jahren zusätzlich private Mittel von 180 bis 290 Mrd. Euro pro Jahr erforderlich sind. Durch die im EU Financing Sustainable Growth Action Plan vorgesehenen Maßnahmen sollen diese Mittel in emissionsfreie Anlageziele umgeleitet werden. Der überwiegende Teil dieser Maßnahmen richtet sich unmittelbar an den Finanzsektor, wird sich aber mittelbar maßgeblich auch auf Unternehmen der Realwirtschaft auswirken.


Kern des Action Plan ist die Ausarbeitung einer Taxonomie für nachhaltiges Investment, also eine Liste mit Geschäftsaktivitäten, die mit Blick auf Investitionsentscheidungen als „ökologisch nachhaltig“ angesehen werden. Eine solche Taxonomie sei erforderlich z.B. als Grundlage für eine rechtssichere Offenlegungspflicht für Finanzinstitute mit Blick auf den Anteil von nachhaltigen Investments in ihren Portfolios. Die Taxonomie soll auch dem von der EU-Kommission beabsichtigen Green Bond Standard zugrunde liegen. Ende 2019 wurde die Verordnung über die Einrichtung eines Rechtsrahmens zur Förderung nachhaltiger Investitionen (Taxonomie-Verordnung) verabschiedet. Mit der Verordnung wurden die Grundlagen für ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Investments beschlossen. Auf dieser Grundlage wird die Kommission beauftragt, die tatsächliche Klassifikation zu erstellen, indem sie technische Evaluierungskriterien für jedes einzelne Umweltziel und für jeden einzelnen Sektor festlegt. Die konkrete Taxonomie soll bis Ende 2020 erstellt werden. Hier soll eine Anwendung im vollen Umfang ab Ende 2021 erfolgen.


Das zweite zentrale Thema des Action Plan ist die Verfolgung der Empfehlungen der auf Initiative von Mark Carney gegründeten Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD). Mark Carney, Governor der Bank of England und Chairman des G20 Financial Stability Board, warnte bereits im Herbst 2014 vor einer „Carbon Bubble“, die den Finanzmärkten drohe und potenziell gravierendere Auswirkungen als die Finanz- und Wirtschaftskrise haben werde. Wenn die Staatengemeinschaft zur Begrenzung des Klimawandels eine weitgehende Dekarbonisierung der Weltwirtschaft (um 80 bis 95 Prozent) bis 2050 umsetze, dann seien treibhausgasintensive Assets und Unternehmen mittel- bis langfristig überbewertet. Aufgrund geänderter regulatorischer Vorgaben, sozialer Normen oder technologischer Entwicklungen wären grundsätzlich noch funktionsfähige Vermögenswerte nicht weiter nutzbar und daher außerplanmäßig abzuschreiben („Stranded Assets“ – Regulierungsrisiken für Unternehmen). Gleichzeitig drohten physische Risiken durch den Klimawandel, insbesondere durch Wetterextreme. Solche Risiken würden heute kaum berücksichtigt, d.h., sie würden von Finanzmarktakteuren kaum eingepreist, u.a. aufgrund einer unzureichenden Berichterstattung über Klimarisiken durch Unternehmen der Realwirtschaft. Als Reaktion hat die EU-Kommission im Rahmen des Action Plan die Non-Binding Guidelines zur CSR-Richtlinie um die TCFD-Empfehlungen ergänzt.

Kern des Action Plan ist die Ausarbeitung einer Taxonomie für nachhaltiges Investment, also eine Liste mit Geschäftsaktivitäten, die mit Blick auf Investitionsentscheidungen als „ökologisch nachhaltig“ angesehen werden.
Nachhaltigkeit als entscheidendes Alleinstellungsmerkmal am Kapitalmarkt wird verstärkt auch regulatorisch gefordert und reglementiert.

Vor diesem Hintergrund hat das Network for Greening the Financial System, dem die wichtigsten Zentralbanken und Aufsichtsbehörden der Welt angehören (z.B. Bundesbank und BaFin), Empfehlungen für nachhaltige Kapitalmärkte veröffentlicht. Infolgedessen hat die BaFin die vielbeachtete endgültige Fassung eines Merkblatts zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken vorgelegt. Sie spricht klar die Erwartung aus, dass sich die von ihr beaufsichtigten Institute strategisch mit „Nachhaltigkeitsrisiken“ befassen: Die Unternehmensleitung der Institute soll ein Verständnis für solche Gefährdungen entwickeln und für deren Integration in bestehende Risiko- und Portfoliomanagementsysteme sorgen, dem Thema angemessene Ressourcen sind bereitzustellen, außerdem soll die bestehende Berichterstattung um Klimarisiken ergänzt werden (inkl. Beschreibung der diesbezüglichen Zuständigkeiten von Aufsichtsrat, Vorstand und Risikomanagement, z.B. entsprechend den TCFD-Empfehlungen) sowie zwingend auf der Berichterstattung der Portfolio-Unternehmen aufbauen – dafür wäre bei diesen ggf. auf eine entsprechende angemessene Veröffentlichungspraxis hinzuwirken. Eine entsprechende Fortentwicklung des Risikomanagementsystems empfiehlt sich auch für Unternehmen der Realwirtschaft.


Eine aussagekräftigere Berichterstattung über Klimarisiken durch Unternehmen der Realwirtschaft dürfte sich auch aus dem ARUG II durch die Pflicht institutioneller Investoren zur Entwicklung einer Mitwirkungspolitik und Berichterstattung über deren Umsetzung (§§ 134a–d AktG) sowie der Initiative großer Asset-Manager zur Entwicklung eines Stewardship Codex ergeben.


Schließlich ist mit einer zeitnahen Überarbeitung der EU-CSR-Richtlinie zu rechnen: Im sogenannten Fitness-Check hat die EU-Kommission alle EU-Richtlinien und -Verordnungen mit Rechnungslegungsbezug dahingehend hinterfragt, ob sie vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Entwicklung zu überarbeiten seien. Zwar wurde die Veröffentlichung der Zusammenfassung der Ergebnisse mehrfach verschoben und steht aktuell noch aus. Nach Aussage der EU-Kommission zeigen die Ergebnisse jedoch, dass insbesondere die CSR-Richtlinie durch die zwischenzeitlichen Entwicklungen mittlerweile überarbeitungsbedürftig sei. Zentrale Kritikpunkte sind die doppelte Wesentlichkeit, eine unzureichende Klimarisikoberichterstattung und eine unzureichende Verankerung in den bestehenden Corporate-Governance-Mechanismen. Nach Überarbeitung der CSR-Richtlinie dürfte eine umfangreichere Berichterstattung über die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit erforderlich sein. Experten gehen auch davon aus, dass der Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen ausgeweitet werden dürfte, die Berichterstattung zwingend im Lagebericht aufzunehmen sei (statt bis zu vier Monate nach Abschlussstichtag in einem separaten Dokument), die Möglichkeit des Unterlassens nachteiliger Angaben wegfallen sollte und die Angaben in die gesetzliche Abschlussprüfung einzubeziehen seien. Dies wäre letztlich eine Angleichung an den für den „traditionellen“ Lagebericht gültigen Rechtsrahmen.


Zusammenfassend nehmen wir folgende Entwicklungen wahr:

Die Zeiten von „bunten Unternehmensbroschüren zu Baumpflanz- und Schulbau-Projekten“ gehen zu Ende: Nachhaltigkeit als entscheidendes Alleinstellungsmerkmal am Kapitalmarkt wird verstärkt auch regulatorisch gefordert und reglementiert. Im Interesse des Unternehmens und seiner Eigentümer müssen Vorstände und Aufsichtsräte Risiko- und Compliance-Management sowie internes und externes Reporting grundlegend an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen.




Dr. Matthias Schmidt

Senior Manager Audit & Assurance


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