Corporate Governance Inside
Disruption & Weltenwandel


Geschlossene Gesellschaft


"Abhängig von der Person des Vorstandsvorsitzenden gibt es im Aufsichtsrat häufig keine Diskussionskultur, sondern fest etablierte Machtzirkel.“
Volker Potthof

Mit der Diversität in deutschen Aufsichtsräten sieht es auch im Jahr 2019 noch ziemlich düster aus. Dabei geht es nicht nur um den Frauenanteil.

Eine Erfolgsgeschichte klingt anders: Ob „Zielvorgabe null Frauen“, „Thomas-Kreislauf“ oder „alt, weiß, männlich“ – der Mangel an Diversität in deutschen Aufsichtsräten und der gesamten Führungsebene sorgt auch im Jahr 2019 wieder für Negativ-Schlagzeilen.


Eigentlich hätte das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen (FüPoG) das ändern sollen: Es schreibt den rund 100 größten börsennotierten und mitbestimmungspflichtigen Unternehmen seit Anfang 2016 eine Quote von 30 Prozent „für das jeweils unterrepräsentierte Geschlecht“ im Aufsichtsrat vor. Darüber hinaus müssen sich Unternehmen, die börsennotiert oder mitbestimmungspflichtig sind, eigene Zielgrößen zur Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und obersten Managementebenen geben.


Auch wenn heute in den betroffenen Unternehmen tatsächlich zu 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten sitzen – der vom Gesetzgeber erhoffte Trickle-down-Effekt blieb weitgehend aus: Lediglich Jennifer Morgan hat es bei SAP zur derzeit einzigen (Co-)CEO im DAX gebracht. Über 50 Aufsichtsräte haben sich für ihren Vorstand gar die „Zielvorgabe null Frauen“ gegeben. Und auch innerhalb der Aufsichtsräte ist es fraglich, wie viel Einfluss die durch die Quote neu hinzugekommenen Frauen dort haben.


Von einer „rein numerischen“ Erfüllung der Quote spricht etwa der Mitgründer von „Aufsichtsräte Mittelstand in Deutschland e.V.“ Volker Potthoff: „Abhängig von der Person des Vorstandsvorsitzenden gibt es im Aufsichtsrat häufig keine Diskussionskultur, sondern fest etablierte Machtzirkel.“ Dazu passt ein Bericht der AllBright Stiftung, wonach in den für die Vorstandsbesetzungen zuständigen Ausschüssen Frauen gerade einmal zu 17 Prozent vertreten sind. Die Vorsitzenden dieser Ausschüsse sind nahezu ausschließlich Männer.


Laut einer Studie der Universität Mainz liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Mann im Aufsichtsrat, Mitglied im wichtigen Prüfungsausschuss zu werden, bei fast 40 Prozent. Für eine Frau im Aufsichtsrat dagegen beträgt diese Wahrscheinlichkeit nur 18 Prozent. Effekte wie Alter, Dauer der Unternehmenszugehörigkeit und Dauer der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat wurden in der Studie bereits berücksichtigt: „We interpret this as an overall indication that women are not only underrepresented in German supervisory boards, they are even more underrepresented in important board positions.“ Die Wahrscheinlichkeit für Frauen, einen Sitz im Prüfungsausschuss zu erhalten, hat sich zwischen 2009 und 2016 sogar verschlechtert.


Die Gestaltungsmacht von Frauen in den Aufsichtsräten genügt ganz offensichtlich nicht, um den erhofften Kulturwandel in den Unternehmen herbeizuführen: Nur 8,8 Prozent betrug der Frauenanteil in den Vorständen am 1. Februar 2019 – so wenig wie in kaum einem anderen westlichen Industrieland. Auch der von der AllBright Stiftung im Jahr 2017 entdeckte „Thomas-Kreislauf“ existiert weiter, nunmehr auch als „Michael-Kreislauf“. Die Stiftung schreibt hierzu: „Thomas, Michael und Stefan sind die jeweils häufigsten Namen in Aufsichtsrat und Vorstand. Es gibt mehr Aufsichtsratsvorsitzende, die Michael heißen, als Aufsichtsratsvorsitzende, die Frauen sind.“

Doch es geht längst nicht nur um die Gleichstellung der Geschlechter: Auch im Hinblick auf Alter und Herkunft sind deutsche Aufsichtsräte eine weitgehend geschlossene Gesellschaft. Menschen mit Migrationshintergrund oder unter Vierzigjährige findet man nur selten beziehungsweise gar nicht. Die absolute Mehrheit der Kapitalvertreter in den Aufsichtsräten ist 60 Jahre oder älter. Ein erstaunlicher Befund für eine Exportnation in Zeiten der Digitalisierung.

Auch der Bildungshintergrund der Aufsichtsräte ist sehr homogen: Ingenieure, Juristen und – allen voran – Wirtschaftswissenschaftler bleiben in den Boards weitgehend unter sich. Laut dem Board Diversity Index vom Centrum für Strategie und höhere Führung gab es 2018 nur ganze vier Informatiker in DAX-Aufsichtsräten.


Mehr als 70 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Aus Osteuropa, Indien, Lateinamerika oder Afrika war mit Ausnahme eines Ägypters im Board Diversity Index überhaupt niemand vertreten.


Es scheint, dass über Jahrzehnte gewachsene Netzwerke, in denen der frühere Vorstandsvorsitzende nicht selten zum Aufsichtsratsvorsitzenden wird, erhebliche Beharrungskräfte gegenüber Veränderungen aufbringen. Wie wirken sich da konkrete Vorgaben des Gesetzgebers oder auch Selbstverpflichtungen eines Unternehmens aus? Führen sie vielleicht sogar zu neuen Ungerechtigkeiten? Solchen Fragen ist die Europäische Zentralbank in einer Studie über ihr eigenes Haus nachgegangen. Im Jahr 2010 hatte die EZB ein Programm zur Frauenförderung eingeführt und seit 2012 zusätzlich umfangreiche Daten über Bewerbungen und Beförderungen erhoben. Ein zentrales Ergebnis: Frauen bewerben sich trotz des Förderprogramms weiterhin seltener um Führungspositionen als Männer. Wenn sie sich bewerben, haben sie laut der EZB-Studie allerdings eine doppelt so große Chance wie ein Mann, die angestrebte Stelle auch zu erhalten: Von allen Bewerbern werden 5,8 Prozent der Männer befördert. Bei den Frauen sind es 12,1 Prozent.


Das ließe sich auf den ersten Blick als Benachteiligung der männlichen Kandidaten interpretieren. Laut der Studie bewerben sich Frauen jedoch regelmäßig auf Positionen unter ihrer Qualifikation. Hierzu passt, dass die Frauen nach der Beförderung regelmäßig besser in der Gehaltsentwicklung abschneiden und ihre Leistungen somit als dauerhaft besser angesehen werden.


Allerdings gilt auch für die EZB: Zwischen der Einkommensentwicklung von Männern und Frauen klafft grundsätzlich eine Lücke. Und: Diese fällt besonders stark aus, wenn eine Frau Kinder hat. Als mögliche Auswege sehen die Autoren Mentoren-Programme, Frauen-Netzwerke, Interview-Trainings und eine verbesserte Kinderbetreuung: „Understanding the main drivers of the observed gender promotion gap is critically important to improve our understanding of how we can close the gender gap and ensure that women are adequately represented.“


Die Politik denkt derweil über mehr Regulierung nach: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey sagte hierzu: „Wer weiterhin die Zielgröße null meldet und dies nicht plausibel begründet, muss mit Sanktionen rechnen.“ Gemeinsam mit Bundesjustizministerin Christine Lambrecht arbeite sie dafür an einem Gesetzentwurf, der auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt werde. Die hatte im Mai bei der Jahresversammlung des Verbandes deutscher Unternehmerinnen in Berlin über den gerade einmal einstelligen Frauenanteil in den Vorständen gesagt: „Das grenzt schon auch irgendwo an Verweigerungshaltung.“




Annika Deutsch
Partnerin Audit & Assurance


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„Wer weiterhin die Zielgröße null meldet und dies nicht plausibel begründet, muss mit Sanktionen rechnen.“
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey