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Coronomics: drei mittelfristige ökonomische Auswirkungen der Corona-Krise

Das Corona-Virus hat in kürzester Zeit die wahrscheinlich tiefste Rezession in der Weltwirtschaft seit Generationen ausgelöst. Die deutsche Wirtschaft dürfte im Gesamtjahr deutlich stärker schrumpfen als in der Finanzkrise 2009. Die historische Einzigartigkeit wird durch Schätzungen der Bank of England verdeutlicht, die durch ihre Gründung 1694 einen langen Zeithorizont auf Krisenszenarien anlegen kann. Sie geht davon aus, dass das Vereinigte Königreich im ersten Halbjahr 2020 die tiefste Rezession seit 1709 erleiden wird.

Die Schwere des Abschwungs liegt dabei an mehreren Faktoren. Erstens betrifft die Corona-Krise praktisch alle Länder und das auch noch gleichzeitig. Zweitens hat der Lockdown innerhalb von wenigen Wochen in vielen Ländern einen signifikanten Teil des Wirtschaftslebens zum Erliegen gebracht. Drittens haben wir es nicht nur mit einem Nachfrageschock durch ausbleibenden Konsum und mit einem Unsicherheitsschock auf den Finanzmärkten ähnlich der Finanzkrise zu tun, sondern auch mit einem Angebotsschock. Dieser resultiert aus unterbrochenen Lieferketten und geringerer Produktion. Störungen auf der Angebotsseite sind sehr selten, die Ölpreiskrise in den 1970er-Jahren ist das letzte Beispiel dafür.

In der aktuellen Phase stehen notwendigerweise das akute Krisenmanagement und die Abfederung der Rezession im Vordergrund. Auch wenn die Rezession 2020 unvermeidbar und sehr tief sein wird, bestehen die Hoffnung und die durchaus reelle Chance, dass wir nach einem historisch schlechten zweiten Quartal im zweiten Halbjahr eine konjunkturelle Gegenbewegung und positive Wachstumsraten sehen werden.

Neben der kurzfristigen Betrachtung wird aber immer deutlicher, dass die Folgen der Corona-Pandemie die Wirtschaft auch langfristig deutlich verändern könnten. Bei der Schwere der Krise wäre es erstaunlich, wenn dies nicht passieren würde. Einige der Veränderungen sind absehbar, bei anderen lassen sich höchstens erste Konturen und Tendenzen erkennen. Im Folgenden sollen drei zentrale makroökonomische Folgen untersucht werden. Während eine stark steigende Staatsverschuldung eine sehr sichere Konsequenz der Krise sein dürfte, sind zwei weitere zentrale Folgen in ihrem Ausmaß noch eher unklar – nämlich Änderungen im Konsumentenverhalten und der Umbau von Wertschöpfungsketten.

In der aktuellen Phase stehen das akute Krisenmanagement und die Abfederung der Rezession im Vordergrund.

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#1: Die Staatsschulden werden explodieren

Der Effekt der Krise auf die Staatsschulden ist der am einfachsten zu prognostizierende Trend – sie werden sehr stark steigen. Das deutsche Rettungspaket beträgt ungefähr ein Drittel des Bruttosozialprodukts. Dazu werden noch Konjunkturhilfen kommen, während gleichzeitig auf der Einnahmeseite Steuererträge wegbrechen. Dies schließt Maßnahmen auf EU-Ebene noch aus, die nach der derzeitigen Planung über 1,2 Billionen Euro betragen werden. Das deutsche Rettungspaket ist weltweit in Relation zum Bruttosozialprodukt das umfangreichste, aber auch die meisten anderen Länder begegnen der Krise mit nicht dagewesener fiskalischer und geldpolitischer Feuerkraft.

Das Stemmen gegen die Krise mit allen Mitteln ist sicher sinnvoll, um die Wirtschaft zu stützen und noch schlimmere Auswirkungen zu verhindern. Nach dem Abschwung ist aber ein ganz anderes und sehr viel höheres Niveau der Staatsschulden unvermeidlich. Der IWF geht davon aus, dass diese als Anteil des Bruttoinlandsproduktes in den G7 um fast 20 Prozentpunkte von 119 auf 138 Prozent steigen wird. Der Schuldenstand in den USA dürfte in einem relativ positiven Szenario auf 131 Prozent anwachsen, der von Italien auf 155 Prozent, der von Frankreich auf 115 und der von Deutschland auf 69 Prozent.

Die steigende Staatsverschuldung geht einher mit den massiven Rettungsmaßnahmen der Zentralbanken, sodass sich die Frage stellt, ob dies zu höherer Inflation führen kann. Dafür spricht zunächst, dass die enorme Liquiditätszufuhr der Zentralbanken über Kredite ihren Weg in die Realwirtschaft finden wird – ein wichtiger Unterschied zu den letzten Jahren. Allerdings bremst die schwierige Arbeitsmarktlage einen möglichen inflationstreibenden Anstieg der Lohnkosten. In Deutschland sind über 10 Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit, in den USA haben über 40 Millionen Arbeitnehmer Anträge auf Arbeitslosenhilfe gestellt.

Davon abgesehen sind die Kredite als Überbrückungshilfe gedacht, sodass Unternehmen nach der Krise versuchen dürften, ihre Schulden abzubauen – womit die Geldmenge dann wieder schrumpft. Somit sind für absehbare Zeit die Bedingungen für hohe Inflation nicht gegeben. Ein Spezialfall könnte sich dann ergeben, wenn die wirtschaftliche Erholung sehr schnell verläuft und eine zurückschnellende Nachfrage auf ein niedrigeres Angebot trifft. Dies ist bei einzelnen Produktbereichen durchaus möglich, allerdings dürfte dies wegen der Arbeitsmarktlage kein flächendeckendes und längerfristiges Phänomen werden.

Wirtschaftspolitisch folgt aus der explodierenden Staatsverschuldung die Tatsache, dass die Schuldentragfähigkeit von Staaten und ihr Management der Staatsschulden eines der bestimmenden Themen der nächsten Dekade werden dürften. Ein sehr angenehmer Weg, das neue Level der Staatsschulden zu managen, wäre Wachstum. Wenn Länder es schaffen, aus ihren Schulden hinauszuwachsen, sind sehr viel schwierigere politische Alternativen wie Umschuldungen oder Transfers unnötig. Dafür müssten Wachstum und die Steigerung von Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit allerdings sehr viel stärker in das Zentrum der politischen Diskussion und der wirtschaftspolitischen Maßnahmen rücken, als dies gegenwärtig der Fall ist. Das Potenzialwachstum in der Eurozone, das unter normalen Umständen und Auslastungsgrad erreicht werden kann, beträgt 0,9 Prozent. Dies ist deutlich zu wenig, um aus den Schulden hinauszuwachsen.

#2: Konsummuster unter Veränderungsdruck

Schwere Rezessionen oder gar Depressionen beeinflussen die Psyche und das Kaufverhalten der Bevölkerung langfristig; die Wirtschaftskrisen in den 1920er- und 1930er-Jahren sind hierfür Beispiele. Die Angst vor Deflation in den USA und vor Inflation in Deutschland hat die jeweilige Gesellschaft bis heute geprägt. Ein Blick auf vergangene Wirtschaftstiefs und Epidemien zeigt, dass sehr unterschiedliche Pfade für Konsumausgaben und das Konsumentenverhalten möglich sind. Der Konsum nach der Rezession hängt von der finanziellen Situation der Haushalte, aber auch von ihren Erwartungen über ihr zukünftiges Einkommen ab. Deswegen kommt es nicht unbedingt darauf an, wie tief eine Krise war, sondern eher auf die Zukunftsaussichten danach. Einige Erfahrungen mit Rezessionen in Deutschland illustrieren dies. Die Rezession im Zuge der Finanzkrise im Jahr 2009 war die mit Abstand tiefste der Nachkriegszeit. Das Bruttosozialprodukt in Deutschland sank um knapp 6 Prozent, bis dahin war es in Abschwungszeiten nie mehr als um 1 Prozent zurückgegangen. Dennoch war der Konsum nach sechs Quartalen bereits wieder auf Vorkrisenniveau. Nach der sehr viel milderen Rezession 1981 dauerte es fast genauso lange, bis der Konsum sich wieder erholt hatte. Sehr viel länger dauerte die Erholung des Konsumverhaltens nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Hier kam es zu einem sehr langen Einbruch. Die Ereignisse führten zu einem globalen Konjunkturabschwung und zu einem zwar schwachen Wachstum in Deutschland, aber eigentlich zu keiner Rezession. Diese kam erst Ende 2002 und war sehr kurz. Trotzdem brauchte der Konsum mehr als drei Jahre, um wieder auf das Ausgangslevel zu kommen. Der Grund lag in der anhaltend schlechten Arbeitsmarktsituation und der Furcht vor sinkendem Einkommen in der Zukunft. Neben den Konsumausgaben können sich in Krisen auch eingeschliffene Muster des Konsumentenverhaltens strukturell ändern. Bei den letzten Epidemien zeigte sich das sehr deutlich in Asien im Hinblick auf Online-Käufe, die wegen der wahrgenommenen Ansteckungsgefahren im stationären Handel profitierten. Im Jahr nach der Schweinegrippe 2010 verzeichnete China nach Daten von Statista einen Zuwachs neuer Online-Käufer um mehr als 50 Prozent. Ein ähnliches Muster zeigte sich in Südkorea nach dem Ausbruch von MERS. Im Monat des Ausbruchs stieg das Transaktionsvolumen von Online-Shopping im Vorjahresvergleich um 19 Prozent und im darauffolgenden Monat sogar um 27 Prozent, wie das koreanische Statistikamt erhoben hatte. Die größere Online-Affinität in und nach Epidemien ist auch eine Chance für neue Online-Firmen. Die SARS-Epidemie in China diente als Katalysator für den dortigen E-Commerce-Markt. Die großen Online-Shopping-Plattformen wie Taobao und JD.com haben zu dieser Zeit ihr Geschäft aufgebaut und sich zu den heute meistgenutzten Onlineshops in China entwickelt.

#3: Der Rückbau der Globalisierung

Grenzschließungen, Reisebeschränkungen und andere COVID-19-Maßnahmen haben den Austausch von Gütern und Dienstleistungen stark erschwert und globale Wertschöpfungsketten unterbrochen. Zudem wird der Welthandel von einem sehr tiefen und schnellen globalen Nachfragerückgang getroffen. Die Welthandelsorganisation geht von einer Verringerung des globalen Güterhandels von bis zu 32 Prozent aus. Der zentrale Trend im Welthandel bestand in den letzten 30 Jahren aus dem Aufstieg der globalen Wertschöpfungsketten. Insgesamt sind diese für zwei Drittel des Welthandels – und in einigen industriellen Sektoren sogar für über 80 Prozent des Handels – verantwortlich. Im Ergebnis führte dies dazu, dass es im internationalen Güterverkehr immer weniger um den Austausch national produzierter Waren zwischen Ländern ging, sondern immer mehr um eine globale Produktion, die zwischen internationalen Standorten aufgespalten wurde.

Dieser Trend ist bereits durch die Finanzkrise ins Stocken geraten. Davor wuchs der Handel ungefähr doppelt so schnell wie das globale Bruttosozialprodukt – seitdem entwickeln sie sich im Gleichklang. Dies bedeutet auch, dass der Handel als Wachstumstreiber weitgehend ausgefallen ist. Mehrere Faktoren sind hier ausschlaggebend: Die ökonomischen Folgen der Finanzkrise, wie beispielsweise geringere Investitionen der Unternehmen, erhöhte Unsicherheit, geringere Nachfrage, aber auch starker politischer Gegenwind für den Warenverkehr durch Zölle und handelserschwerende Vorschriften spielen alle eine Rolle.

Die Corona-Krise setzt dem globalen Güterhandel und seinen Wertschöpfungsketten neben den unmittelbaren Effekten der Rezession vor allem durch steigenden Protektionismus und durch politische Forderungen nach regionaleren Lieferketten zu. Die weiter zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China sowie die Diskussion um resilientere Lieferketten und Versorgungssicherheit bei strategischen Gütern weisen in diese Richtung. Drei Optionen für die künftige Gestaltung der Lieferketten sind denkbar.

  1. Eine Diversifizierung der Wertschöpfungsketten durch Verteilung auf mehr Länder, um von einzelnen Regionen unabhängiger zu werden. Damit würde der Grad der Globalisierung nicht unbedingt zurückgehen.
  2. Nearshoring nach Europa. Dadurch würden die Wertschöpfungsketten kürzer werden und Europa als Standort zentraler. Politische Forderungen nach europäischer Souveränität gehen in diese Richtung.
  3. (Rück-)Ansiedlung von Wertschöpfungsstufen in Deutschland, dann jedoch mit einem hohen Grad an Automatisierung. Neue Technologien durch Industrie 4.0 und Robotics schaffen die Option, bisherige Kostennachteile von Standorten wettzumachen.

In jedem Fall dürften sich die Strukturen des Welthandels nach der Krise ändern. Welches Szenario das wahrscheinlichste ist, lässt sich aktuell nicht abschätzen, es dürfte aber von Branche zu Branche unterschiedliche Trends in dieser Hinsicht geben.

Implikationen Die vollen ökonomischen Auswirkungen der Corona-Krise werden erst nach und nach sichtbar werden. Einige Effekte werden sich wie ein Gummiband verhalten und nach der Krise wieder zur alten Form zurückfinden, andere werden bleiben. Die hier behandelten Themen dürften eher zur zweiten Kategorie zählen. Das Management der Staatsschulden wird die europäische und deutsche Wirtschaftspolitik prägen ebenso wie die Frage, mit welchen Maßnahmen das Wachstum gefördert werden kann.

Neue Konsumentenerwartungen und eine Neuausrichtung der globalen Lieferketten werden die Strategie und die Effizienz von Unternehmen beeinflussen. In diesem Sinne sind Unternehmen und ihre Vorstände und Aufsichtsräte gut beraten, diese Trends sehr granular zu beobachten, für ihre Industrie zu analysieren und sie in ihre strategischen Überlegungen und Gremiendiskussionen miteinzubeziehen.

Dr. Alexander Börsch Chefökonom und Leiter Research, Deloitte Deutschland

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