Corporate Governance Inside
Accounting & Tax
Rechnungslegung und COVID-19: Berichterstattung in Zeiten großer Unsicherheit
Die Weltwirtschaft wurde durch die Lock-down-Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie wesentlich und in bisher nicht gekannter Intensität getroffen. Trotz unterschiedlicher Rettungspakete und Unterstützungsmaßnahmen stehen viele Unternehmen einer großen Unsicherheit gegenüber. Die Herausforderung ist hier, die aktuelle Situation sachgerecht in der Finanzberichterstattung abzubilden und damit dem Kapitalmarkt transparent Bericht zu erstatten, um Vertrauen zu schaffen. Dies gilt sowohl in der Zwischenberichterstattung als auch im Jahresfinanzbericht. Auch für Aufsichtsräte und Prüfungsausschüsse stellt die aktuelle Situation im Hinblick auf ihre Überwachungsfunktion bezüglich der Rechnungslegung und Berichterstattung eine besondere Herausforderung dar.
Zahlreiche Bilanzierungssachverhalte – etwa die Ermittlung des erzielbaren Betrags beim Wertminderungstest (IAS 36) oder Rückstellungen – basieren auf Annahmen und Schätzungen, die alle verfügbaren Informationen berücksichtigen sollten. Der umfassenden Beschaffung und der abgewogenen Auswertung dieser Informationen kommt hierbei eine ganz besondere Bedeutung zu. Dies stellt in Zeiten großer Unsicherheit eine Herausforderung für viele Unternehmen dar. Umso wichtiger ist es, alle wesentlichen Schätzungen und Annahmen transparent im Anhang zu erläutern, um Investoren ein Verständnis der zugrunde gelegten Prämissen zu erleichtern.
Unternehmen sind nicht alle gleichermaßen von der Pandemie betroffen. In Abhängigkeit von der Branche können sich sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die Bilanz ergeben. Müssen bspw. Geschäfte oder Restaurants aufgrund von COVID-19 geschlossen werden, kann dies eine unmittelbare Auswirkung auf die Bilanzierung der Leasingverhältnisse nach IFRS 16 haben. So könnte die Wertminderung von bilanzierten Nutzungsrechten erforderlich werden. Ebenso ist zu prüfen, ob bspw. der Erlass von Leasingzahlungen unter die kürzlich veröffentlichten Erleichterungen des IASB fällt oder ob zwingend eine Modifikation zu bilanzieren ist.
Daneben müssen Unternehmen prüfen, ob ein „triggering event“ für einen Wertminderungstest vorliegt. Dafür sind die Auswirkungen der Pandemie auf die unternehmerischen Aktivitäten zu beurteilen. Liegen tatsächlich Hinweise auf eine Wertminderung vor, müssen die betroffenen Unternehmen mithilfe eines Wertminderungstests prüfen, ob eine solche des Goodwill oder anderer langfristiger Vermögenswerte erforderlich ist. Die zentrale Herausforderung ist hierbei, eine verlässliche Schätzung der zukünftigen Zahlungsmittelzuflüsse vorzunehmen. Hier kann die Bildung verschiedener Szenarien hilfreich sein.
Auch das Vorratsvermögen kann durch die Pandemie massiv im Wert gemindert sein, weil bspw. saisonale Produkte oder solche mit einer begrenzten Haltbarkeit derzeit nicht oder nur eingeschränkt veräußert werden können. Hier dürfte die Ermittlung eines angemessenen Nettoveräußerungswerts eine Schwierigkeit darstellen. Produzierende Unternehmen dürften zudem mit der Frage konfrontiert werden, wie Personal- und Materialknappheit sowie Produktionsausfälle bei der Ermittlung der Herstellungskosten des Vorratsvermögens zu behandeln sind.
Zudem haben viele Unternehmen vermehrt mit Forderungsausfällen zu kämpfen. Die Berücksichtigung der Folgen von COVID-19 bei der Ermittlung erwarteter Verluste (Expected Credit Losses) nach IFRS 9 betrifft nahezu alle Unternehmen. Der Anwendungsbereich umfasst neben allen finanziellen Vermögenswerten, die zu fortgeführten Anschaffungskosten (z.B. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen) oder erfolgsneutral zum Fair Value (z.B. Anleihen) bewertet werden, auch Leasingforderungen nach IFRS 16, aktive Vertragsposten gem. IFRS 15 sowie Kreditzusagen und Finanzgarantien, die nicht erfolgswirksam zum Fair Value bewertet werden. Für die Bewertung ist einzuschätzen, ob eine signifikante Erhöhung des Kreditrisikos vorliegt bzw. objektive Hinweise darauf hindeuten, dass eine Wertminderung besteht. Anhaltspunkte für eine signifikante Erhöhung des Kreditrisikos können u.a. eine Verschlechterung der relevanten ökonomischen Bedingungen oder eine Veränderung der Kreditkonditionen bei Neuabschlüssen sein. Die European Securities and Market Authority hat sich hierzu in einer Stellungnahme vom März 2020 umfassend geäußert und erläutert, dass bei der Beurteilung des Kreditrisikos auch der Einfluss staatlicher Maßnahmen Berücksichtigung finden sollte. Hier ist somit eine gesamtheitliche Betrachtung angezeigt.
Unternehmen, die Ausfälle oder Verluste aufgrund von COVID-19 erleiden, haben ggf. Ansprüche auf Versicherungsleistungen. Solche Ansprüche dürfen gemäß IAS 37 nur dann als separater Vermögenswert aktiviert werden, wenn der Erhalt der Erstattung von der Versicherung so gut wie sicher („virtually certain“) ist. Diese Beurteilung ist stark ermessensbehaftet und erfordert eine Analyse der Versicherungsbedingungen und aller relevanten Tatsachen und Umstände.
Auf der Passivseite der Bilanz spielen Rückstellungen in Krisenzeiten eine große Rolle. Ein klassischer Fall sind Rückstellungen für belastende Verträge. Diese ergeben sich bspw., wenn im Vorfeld der Pandemie ein Beschaffungsvertrag abgeschlossen wurde und das Preisniveau des Endprodukts durch die Pandemie unter den Beschaffungspreis gesunken ist oder das Endprodukt gar nicht mehr veräußert werden kann. Dabei ist die Rückstellung in Höhe des für die Vertragserfüllung notwendigen geringstmöglichen Betrags anzusetzen. Entsprechend sind die genauen Vertragsbedingungen (u.a. Strafzahlungen bei Nichterfüllung, höhere Gewalt) detailliert zu analysieren und zu berücksichtigen.
Zudem dürften einige Unternehmen aufgrund der belastenden wirtschaftlichen Situation Restrukturierungen erwägen, die ggf. als Restrukturierungsrückstellung gemäß IAS 37 abzubilden sind. Hierbei ist zu beachten, dass deren Bildung an verschiedene Voraussetzungen geknüpft ist, die insgesamt erfüllt sein müssen. So muss bspw. ein detaillierter Restrukturierungsplan vorliegen, der bei den Betroffenen eine gerechtfertigte Erwartung weckt, dass die Restrukturierung auch umgesetzt wird. Hier ist es wichtig, eine entsprechende Dokumentationslage zu schaffen.
Die zentrale Herausforderung ist es, eine verlässliche Schätzung der zukünftigen Zahlungsmittelzuflüsse vorzunehmen.

Als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie wurden in vielen Ländern staatliche Hilfsmaßnahmen für Unternehmen aufgesetzt. Hier ist im Einzelfall zu evaluieren, wie diese zu bilanzieren sind. Während bspw. Zuschüsse für Personalaufwendungen oder den Ausbau von Krankenhäusern grundsätzlich gemäß IAS 20 (Zuschüsse der öffentlichen Hand) zu bilanzieren sind, fallen ertragsteuerliche Erleichterungen regelmäßig in den Anwendungsbereich von IAS 12 (Ausnahme: sog. „investitionsabhängige Steuergutschriften“). Beim Kurzarbeitergeld handelt es sich hingegen um einen durchlaufenden Posten.
Unternehmen müssen sich zudem damit auseinandersetzen, wie sich der Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die Bilanzierung der Ertragsteuern gemäß IAS 12 auswirkt. Hier dürfte insbesondere zu beurteilen sein, inwieweit aktive latente Steuern vor dem Hintergrund möglicherweise ausbleibender zukünftiger Gewinne sowie der aktuellen Planungsunsicherheit noch werthaltig und ggf. auszubuchen sind.
Neben dem Abschluss hat sich die COVID-19-Pandemie auch in der (Zwischen-)Lageberichterstattung widerzuspiegeln. Der Zwischenlagebericht nach DRS 16 („Halbjahresfinanzbericht“) soll die wichtigsten Ereignisse des Berichtszeitraums für das Unternehmen und ihre Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage darstellen. Liegen bestandsgefährdende Risiken vor, sind diese als solche zu nennen und explizit in den Zwischenlagebericht aufzunehmen. Auch wesentliche Änderungen der Chancen und Risiken gegenüber dem Lagebericht zum letzten Geschäftsjahresende sind anzugeben. Insbesondere ist über wesentliche Veränderungen der Prognosen und sonstiger Aussagen zur voraussichtlichen Entwicklung zu berichten. Hierbei kann sich das Unternehmen auf die aus seiner Sicht wesentlichen Prognosen und sonstigen Aussagen beschränken. Sofern die Prognose angepasst werden müsste, wäre nach DRS 20.133 im Falle einer außergewöhnlich hohen Unsicherheit aufgrund gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen, die die Prognosefähigkeit des Unternehmens wesentlich beeinträchtigt, eine rein komparative Prognose oder eine Darstellung verschiedener Zukunftsszenarien unter der Angabe der jeweiligen Annahmen ausreichend.
Insgesamt lässt sich sagen, dass die COVID-19-Krise die oftmals im Zuge der Überwachung der Rechnungslegung durch den Aufsichtsrat in den Erörterungen mit dem Vorstand über die Finanzberichterstattung thematisierten „neuralgischen Punkte“, insbesondere da, wo „Management Judgement“ notwendig ist, besonders in den Fokus bringt. Dies erfolgt mit einer bisher nicht in der Breite gekannten Intensität. Hier sind Aufsichtsräte, Prüfungsausschüsse und Finanzexperten in ihrer Überwachungsfunktion stark gefordert.
Silvia Geberth Partner | Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin, Head of Accounting & Reporting Advisory Services, Deloitte Deutschland
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