Corporate Governance Inside
Resilient Leadership
Zurück in die „neue Normalität“ – aber welche?

Viele Unternehmen schalten nun vom unmittelbaren Krisenmodus um auf harte Restrukturierung.
Herausforderungen für Unternehmen beim Wiederanlauf
Infolge der weltweiten COVID-19-Pandemie stehen nicht nur der Staat und die Gesellschaft, sondern vor allem auch die Wirtschaft und Unternehmen seit Wochen vor einschneidenden Herausforderungen. Im Rahmen der nunmehr fortschreitenden Lockerung des Lockdowns stellen sich zahlreiche Fragen: Mit welchen geänderten Rahmenbedingungen müssen Unternehmen kurz-, aber auch mittel- und langfristig klarkommen und wie schnell läuft die Wirtschaft insgesamt wieder an und auf welche Weise? Welchen Einfluss hat COVID-19 auf das eigene Geschäftsmodell und wie müssen in der Folge Organisation und Kernprozesse an diese „neue Normalität“ angepasst werden? Diese Dinge werden sicher in diesen Wochen auch in der „Post-COVID-Strategiediskussion“, die Aufsichtsräte und Beiräte mit ihren Geschäftsführungen führen werden, ebenso wie in den Gesprächen über geänderte Unternehmensplanungen eine wesentliche Rolle spielen.
Kurzfristig und im Zuge einer ersten Reaktion mussten betroffene Unternehmen Kosten reduzieren, Lieferketten stabilisieren und die notwendige Liquidität für das Überstehen des Lockdowns sicherstellen. Bewährte Instrumente wie Kurzarbeit kamen zur Anwendung, staatliche (Sofort-)Hilfsprogramme wurden und werden in Anspruch genommen. Während viele Organisationen sehr schnell Zugang zu den ad hoc aufgelegten neuen Programmen bekamen, kämpfen zahlreiche Unternehmen auch heute noch mit den Voraussetzungen und Anforderungen im Rahmen einer Bewilligung. Notwendige Dokumentationspflichten für die Kreditprüfung durch die Hausbanken sind hier ein wesentliches Problem. Hinzu kommt, dass viele bereits vor der Pandemie durch eine sich abzeichnende rezessive Entwicklung und die Herausforderungen und Kosten der digitalen Disruption finanziell angeschlagen waren und dadurch die Bedingungen für die Bewilligung der Fördermittel jedenfalls nicht ohne Weiteres erfüllen können.
Doch wie geht es mittel- und langfristig weiter? Viele Unternehmen schalten nun vom unmittelbaren Krisenmodus um auf harte Restrukturierung. Auf Kurzarbeit folgen Arbeitsplatzabbau und Cost Cutting. Aber ist es damit alleine getan?
Die notwendigen Veränderungen – teilweise ausgelöst, teilweise beschleunigt durch Corona – gehen für viele Unternehmen viel tiefer. Das Corona-Virus wird das private Konsum-, aber auch das grundsätzliche Nachfrageverhalten nachhaltig verändern. Viele Unternehmen sollten sich daher vor dem Start tiefgreifender Restrukturierungsschritte erst sehr gründlich mit dieser „neue Normalität“ beschäftigen. Egal, ob es um das Thema Reisen, Tourismus oder Gastronomie und die dadurch direkt oder indirekt betroffenen Branchen geht, um die veränderten Zahlungspräferenzen von Kunden und damit um ein Beispiel für die „digital consumer transformation“ oder um eine grundsätzlich vorsichtigere Konsumentenhaltung – die neuen Rahmenbedingungen müssen erfasst und das eigene Geschäftsmodell kritisch reflektiert werden. Hinzu kommt: Es ist davon auszugehen, dass die nun kommenden staatlichen Investitionsprogramme zur Wiederbelebung der Wirtschaft das Thema Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellen werden. Die COVID-19-Krise wird deshalb für einige laufende Veränderungsprozesse wie ein Katalysator wirken. Als Beispiel ist hier sicherlich die Automobilbranche zu nennen, die sich vor der Krise mitten in der weitreichenden Transformation befand – die nun möglicherweise eine Beschleunigung erfahren wird.
Neben einer Anpassung des Geschäftsmodells gibt es eine weitere große Herausforderung für Unternehmenslenker: die Navigation in Zeiten hoher Unsicherheit.
Zurzeit ist völlig unklar, ob wir eine V-Kurve mit schneller Erholung sehen werden, eine U-Kurve mit längerer Erholung oder vielleicht sogar einen L- oder W-Verlauf mit lang anhaltender Krise. Für diese unterschiedlichen Szenarien müssen sich Unternehmen wappnen. Da es aus heutiger Sicht keine klare und eindeutige Antwort auf die Hochlauffrage gibt, sollten sich Unternehmen auf die nun startende Phase mit mehreren Szenarien vorbereiten.
Die resultierenden Umsatzverläufe werden unterschiedlich ausgeprägte Restrukturierungsmaßnahmen verlangen, die konditional an die Szenarien gekoppelt sind. Richtungsentscheidungen werden dabei teilweise „auf Sicht“ getroffen werden müssen, sobald sich Entscheidungsparameter verfestigen. Diese konditionale Restrukturierungsstrategie macht die ohnehin bereits extrem anspruchsvolle Situation für Unternehmenslenker noch schwieriger. Allerdings ist sie alternativlos – zu groß ist das Risiko, die Organisation und die Strukturen zu schnell anzupassen, um dann festzustellen, dass sich Markt und Kunden doch anders als ursprünglich angenommen entwickeln.
Sind die Szenarien erfasst, können konkrete Restrukturierungsmaßnahmen definiert werden. Hier gibt es ein breites Spektrum von Ansatzpunkten. Ausgehend von den Annahmen für einen veränderten Markt müssen Standortstruktur, Lieferketten und ggfs. auch die strategische Positionierung mit Geschäftsbereichen hinterfragt werden. Gleiches gilt für Produktportfolios und Preisgestaltung. Nicht zu vergessen sind aus Liquiditätssicht auch steuerliche Aspekte, wenn z.B. ein globaler Footprint verändert wird und Gewinne sich innerhalb von Firmenstrukturen verschieben. Im Rahmen dieser Überlegungen sollten auch die Business-Continuity-Prozesse einer Überprüfung unterzogen werden – mit möglicherweise notwendigen Anpassungen für z.B. Zulieferstruktur und Cash Pools.
In der Folge sind organisatorische Modifikationen vorzunehmen, sowohl in der Aufbauorganisation als auch in den wesentlichen Geschäftsprozessen. Diese Anpassungen können dann Personalreduzierungen bedeuten, genauso aber auch das Erfordernis, Arbeitnehmer neu zu qualifizieren. Aktuelle Anforderungen an die „Workforce Safety“ müssen in diese Überlegungen einfließen, ebenso wie die durch Corona akzeptierten neuen Kommunikations- und Arbeitsplatzrahmenbedingungen (z.B. Videokonferenzen, Homeoffice usw.). Auch Fragen rund um Corporate Divestments bzw. eine Anpassung der M&A-Strategie hin zu Zukäufen von Digitalkompetenz können die Folge sein. Anpassungen von Marketingausgaben sollten sehr kritisch reflektiert werden. Zwar ist hier schnell ein erheblicher Kostenbeitrag identifiziert, aber die Erfahrung zeigt, dass ein zu tiefer Schnitt an dieser Stelle mittelfristig den Umsatzentwicklungen der Unternehmen schaden kann. Denn: Auch und vielleicht gerade in der Krise beobachten private und gewerbliche Konsumenten den Markt sehr genau. Mit gezieltem Marketing können Unternehmen auch in der Krise gegen den Markt wachsen.
Die Summe der Maßnahmen, deren Effekte auf Ergebnis und Liquidität, aber auch die Einmalkosten für die Umsetzung sind in einem integrierten Planungsmodell zu erfassen und nach Szenarien und Entscheidungsmeilensteinen zu strukturieren. Auf dieser Basis können Unternehmenslenker dann die Kommunikation mit den wesentlichen Stakeholdern durchführen (u.a. Arbeitnehmerschaft, Kapitalgeber usw.) und die für die Restrukturierung notwendige Liquidität quantifizieren. Wie in jeder Restrukturierung gilt, dass Schnelligkeit und Konsequenz in der Umsetzung eines der wesentlichen Erfolgskriterien ist – immer vorausgesetzt natürlich, dass alle wesentlichen Fragestellungen vorab gründlich bearbeitet wurden. Nur so ist ein Schaden durch operativen Aktionismus zu vermeiden.
Die Corona-Krise kann dabei – trotz der extremen Belastung für deutsche Unternehmen – auch ein disruptiver Befreiungsschlag sein. Viele, lange aufgeschobene Transformationsprojekte werden nun in der Folge mit mehr Nachdruck und höherer Konsequenz umgesetzt werden. Unternehmen können die Chance nutzen, veraltete Strukturen und die daran gebundenen Strukturkosten „abzusprengen“, sich neu aufzustellen, so den Industriestandort Deutschland zu modernisieren und für die Zukunft „fit zu machen“.
Andreas Warner Leiter Restructuring Services, Deloitte Deutschland
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Aktuelle Anforderungen an die "Work Safety" müssen in die wichtigsten Überlegungen mit einfließen.