Corporate Governance Inside
Interview mit Karsten Löffler
Sustainable Finance Initiativen in Brüssel und Berlin

"Die Zukunftsfähigkeit von Geschäftsstrategien und ihre Berücksichtigung in den Entscheidungskalkülen von Investoren und Finanzierern stehen im Fokus von Sustainable Finance. "
Karsten Löffler, Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung
Karsten Löffler ist Head of Frankfurt School UNEP Collaborating Centre for Climate & Sustainable Energy Finance, Vorsitzender des Sustainable Finance-Beirats (SFB) der Bundesregierung und ist als Mitglied der EU Platform on Sustainable Finance bzw. dem Vorgängergremium Technical Expert Group on Sustainable Finance an der Ausarbeitung der EU Taxonomie beteiligt.
Herr Löffler, der Begriff „Sustainable Finance“ ist derzeit in aller Munde. Als Mitglied in den maßgeblichen Gremien auf EU- und nationaler Ebene tragen Sie viel zu diesem Thema bei. Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Entwicklungen?
Karsten Löffler: Aus der Praxisperspektive ist die EU-Taxonomie die grundlegende Entwicklung der letzten Zeit. Bei Sustainable Finance geht es aber um mehr: den Finanzsektor besser in die Lage zu versetzen, Nachhaltigkeitsrisiken und die Wirkung der Finanzierungs- und Investmentaktivitäten auf Umwelt und Gesellschaft zu verstehen und zu managen. Das Ziel ist, bestmöglich zur Finanzierung der in Teilen bereits laufenden nachhaltigen Transformation und zu den Klimazielen beizutragen. Die EU-Kommission wird mit der im ersten Quartal 2021 erwarteten Neuauflage ihrer Sustainable Finance-Strategie neue Impulse und einen Fahrplan für weitergehende Aktivitäten geben, Regulierung eingeschlossen.
Zentraler Bestandteil dieser Entwicklungen ist sicherlich die Sustainable Finance Taxonomie, die künftig u.a. zu neuen Berichtspflichten für Finanzinstitute und Unternehmen der Realwirtschaft führen wird. Welche Ziele verfolgt die EU-Kommission hiermit und wie wirkt sich Erstere voraussichtlich auf die betroffenen Unternehmen aus? KL: Die Taxonomie hat das Ziel, Investoren den Anteil nachhaltiger wirtschaftlicher Aktivitäten in solchen Finanzprodukten offenzulegen, die eine nachhaltige Anlagestrategie verfolgen. So soll Greenwashing vorgebeugt werden. Praktisch gesehen ist die Taxonomie ein Nachschlagewerk für Finanzmarktakteure, um auf einfache Art und Weise die Nachhaltigkeit eines Investments zu beurteilen. Das spart im Finanzmarkt Transaktionskosten. Die Taxonomie ist dabei ein reines Transparenzinstrument – sie trifft keinerlei Aussage über die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit einer ökonomischen Aktivität und die Zulässigkeit als Investment. Ohne dass die Daten gemäß der Taxonomie-Verordnung auf Unternehmensebene erhoben werden, kann der Finanzsektor seinen eigenen Berichtspflichten nicht seriös nachkommen. Hieraus folgen eine neue Form der Berichterstattung und die Ausweitung des Finanzdatenhaushalts auf umweltbezogene Daten. Dieser Prozess kann je nach Sektor durchaus anspruchsvoll sein, weshalb in einem ersten Schritt formal nur Unternehmen betroffen sind, die eine nicht-finanzielle Erklärung abgeben müssen. Durch die Berichtsanforderung im Kapitalmarkt und bei Kreditinstituten ist jedoch damit zu rechnen, dass Unternehmen darüber hinaus einen Anreiz haben, gemäß der Taxonomieverordnung zu berichten.
Die EU Sustainable Finance Technical Expert Group hat ferner Empfehlungen für einen EU-Green-Bond-Standard entwickelt. Wieso war dies erforderlich? KL: Der EU-Green-Bond-Standard wurde entwickelt, um die bestehenden Marktstandards um verbindliche Kriterien zu ergänzen. Dazu gehören klarere Berichtsanforderungen sowie die Zertifizierung von Erstellern von Prüfberichten, sogenannten Second Party Opinions. Die TEG empfiehlt die freiwillige Anwendung des EU-GBS.
Der Sustainable Finance-Beirat entwickelt derzeit Empfehlungen für die Bundesregierung, wie Deutschland zu einem führenden Sustainable Finance-Standort werden kann. Wie kam es zur Einsetzung des Beirats und wie ist der derzeitige Stand der Erörterungen?
KL: Der Sustainable Finance-Beirat (SFB) geht auf einen Beschluss des Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Entwicklung vom 25. Februar 2019 zurück. Das Ziel der Einsetzung des SFB ist vor allem, die Bundesregierung bei der Entwicklung einer deutschen Sustainable Finance-Strategie zu beraten, die dem vorgegebenen Ambitionsniveau gerecht wird. Als Ergebnis seiner ersten Beratungen veröffentlichte der SFB im März 2020 einen Zwischenbericht. Gegenwärtig arbeitet der SFB intensiv an der Konkretisierung der Empfehlungen, die voraussichtlich im Laufe des ersten Quartals 2021 veröffentlicht werden.
Die BaFin hat ein vielbeachtetes Merkblatt zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken in Finanzinstituten veröffentlicht. Welche Rolle spielt dies für die Erörterungen des Sustainable Finance-Beirats und wie wirkt sich dieses Merkblatt auf Unternehmen der Realwirtschaft aus? KL: Das BaFin-Merkblatt spielt für die Erörterungen des SFB eine wichtige Rolle, indem es den Umfang der Erwartungen der deutschen Finanzmarktaufsicht an die beaufsichtigten Institute transportiert. Die zentrale Frage ist, ob Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen ausreichend im aufsichtsrechtlichen Rahmen berücksichtigt sind. Denn die Aufsicht hat ein genuines Interesse, zu verstehen, welche Nachhaltigkeitsrisiken in den Portfolios der Finanzinstitute vorhanden sind und welche potenziellen Finanzmarktstabilitätsfragen sich in diesem Zusammenhang stellen könnten. Das Merkblatt ist ein logischer Schritt im Rahmen der schon länger laufenden Aktivitäten von Aufsichtsorganen zu diesem Thema vor allem in Europa, die 2015 mit der vielbeachteten Rede von Mark Carney bei Lloydʼs of London einen ersten Höhepunkt erreichten und das Konzept der Tragödie des kurzen Betrachtungshorizonts bekannt machte. Die Auswirkungen auf die Unternehmen der Realwirtschaft sind indirekt. Um gegenüber der Aufsicht ausreichend tiefgehend berichten zu können, werden Finanzinstitute entsprechende Aspekte in ihre Risikobeurteilungen aufnehmen. Ein besonderes Augenmerk dürfte auf der Zukunftsfähigkeit der Geschäftsmodelle in einer Low-Carbon-Welt liegen. Sustainable Finance ist mehr als ein Trend, der bald vorübergeht: Es ist ein Zukunftsthema, das sich maßgeblich auf Geschäftsmodelle, Finanzierungsmöglichkeiten und künftige Entwicklung von Unternehmen auswirkt. Welche Rolle sehen Sie hier für den Aufsichtsrat? KL: Der Aufsichtsrat spielt eine wichtige Rolle, als Kontrolleur und Berater des Vorstands, bei der angemessenen Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Strategie. Ein tiefes Verständnis der strukturellen Änderungen von Wirtschaft und Gesellschaft ist notwendig, um die Weichenstellung für die unternehmerische Weiterentwicklung rechtzeitig und vor allem aktiv zu begleiten. Dazu braucht es entsprechendes Wissen im Aufsichtsrat, zum Beispiel im Hinblick darauf, wie Vergütungs- und Anreizsysteme für den Vorstand orientiert an Nachhaltigkeitsindikatoren strukturiert werden können.
Das Interview führte Dr. Matthias Schmidt StB, Senior Manager Audit & Assurance, Sustainability Assurance – Center of Expertise, Deloitte Deutschland.