Corporate Governance Inside

Sustainable Corporate Governance

Economic Outlook: mögliche Überraschungen für den Aufschwung

Nach dem Ende der Lockdowns im Frühsommer erlebten die Eurozone und Deutschland endlich den erwarteten Aufschwung. Während die Wirtschaftsleistung Anfang des Jahres noch schrumpfte, ging es im zweiten Quartal nach oben. Seit dem Sommer entwickelt sich die wirtschaftliche Aktivität allerdings langsamer. Das liegt weniger wie befürchtet an der Delta-Variante des Corona-Virus, sondern an einem wirtschaftlichen Faktor, nämlich unterbrochenen Lieferketten. Gleichzeitig steigt die Inflation deutlich an. Beide Aspekte werden für die Fortsetzung des Aufschwungs und wie dynamisch er sich im nächsten Jahr und darüber hinaus entwickelt entscheidend sein.

Konsum und Investitionen treiben Aufschwung

Das Einkaufsklima hat sich nach dem Ende der Lockdowns sehr positiv entwickelt, die Konsumfreude ist zurückgekehrt. Zurückgestellte, jetzt wieder erfüllbare Wünsche waren ein wichtiger Faktor, aber ebenso die Ersparnisse der Konsumenten. Dank des stabilen Arbeitsmarktes und der mangelnden Einkaufsmöglichkeiten hatten die Konsumenten in der Eurozone nach Schätzungen von Deloitte Research im Vergleich zu 2019 313 Milliarden Euro zusätzlich angespart. Die Auflösung dieser Rücklagen wird die Konjunktur in diesem und mindestens im nächsten Jahr unterstützen. Tatsächlich war im zweiten Quartal der Konsum für den weit überwiegenden Teil des Wirtschaftswachstums verantwortlich.

Gleichzeitig gibt es Anzeichen für einen starken Anstieg der Investitionsaktivitäten der Unternehmen. Diese waren seit der Finanzkrise das volkswirtschaftliche Sorgenkind. Sie entwickelten sich lange nur sehr zögerlich mit allen negativen Folgen, die eine schwache Investitionstätigkeit mit sich bringt, vor allem geringen Produktivitätssteigerungen. Jetzt stehen sie allerdings vor einem Aufschwung, der durch eine Kombination von Faktoren als Folge der Corona-Krise begünstigt wird. In der Krise fuhren Unternehmen Investitionen und Produktion herunter und wurden von der schnell wieder anspringenden Nachfrage überrascht. In der Folge gerieten sie in vielen Fällen an Kapazitätsgrenzen, die jetzt erweitert werden sollen. Im aktuellen Deloitte CFO Survey vom Herbst 2021 erreichen die Investitionsabsichten deutscher Großunternehmen den zweithöchsten Wert seit Beginn der Umfrage 2012. Für die USA zeigen ähnliche Erhebungen der US-Notenbank Fed die höchste Investitionsbereitschaft seit 30 Jahren.

Besonders erfreulich in einer längerfristigen Perspektive ist, dass der Fokus der Investitionen auf digitaler Technologie liegt. Über 80 Prozent der CFOs im Deloitte CFO Survey haben als Reaktion auf die Corona-Krise ihre digitalen Investitionen erhöht. In den USA sind die entsprechenden Werte bei IT und Software auch während der Krise konstant geblieben und seitdem stark gestiegen. Von daher werden auch die Investitionen konjunkturell den Aufschwung unterstützen, solche in digitale Technologie sollten längerfristig das Produktivitätswachstum ankurbeln.

Die dunkle Seite des Aufschwungs

Die schnell ansteigende Nachfrage auch aus den internationalen Märkten bei gleichzeitig verringerten Kapazitäten führt allerdings auch zu unerwünschten Nebeneffekten. Es kommt zu sehr ernsthaften Lieferengpässen vor allem in der verarbeitenden Industrie genauso wie zu steigenden Inflationsraten. Umfragen des ifo-Institutes zeigen, dass Lieferengpässe für über 70 Prozent der deutschen Unternehmen in der verarbeitenden Industrie die Produktion behindern, im Automobilsektor sind es über 90 Prozent. Chips und Halbleiter sind die prominentesten Beispiele, aber die Engpässe erstrecken sich auf viele weitere Vorprodukte wie Holz, Plastik oder Aluminium.

Gleichzeitig steigen Rohstoffpreise und Transportkosten. Im September lagen die Containerfrachtraten zwei- bis dreimal höher als ein Jahr davor. Container sind knapp, die Nachfrage nach Konsumgütern hoch und die Abfertigung in Häfen verlangsamt sich durch Corona-Hygieneregeln beziehungsweise es werden Häfen bei Corona-Fällen teilweise ganz geschlossen. Die globalen Rohstoffpreise lagen im Sommer um über die Hälfte höher als ein Jahr zuvor, Öl und Metalle sind wegen der rapide anziehenden globalen Nachfrage stark gestiegen.¹ Es ist insofern nur folgerichtig, dass die steigenden Rohstoffkosten laut dem Deloitte CFO Survey das inzwischen zweitwichtigste Risiko für deutsche Unternehmen sind – hinter dem Fachkräftemangel. Auch die steigenden Energiekosten werden zunehmend zu einer Belastung für die Unternehmen und steigen sehr deutlich in der Risikowahrnehmung der Verantwortlichen.

Besonders erfreulich in einer längerfristigen Perspektive ist, dass der Fokus der Investitionen auf digitaler Technologie liegt.
Das Wirtschaftswachstum verschiebt sich aufgrund unterbrochener Lieferketten auf das Jahr 2022.

Wachstum verschiebt sich

Eine Folge der unterbrochenen Lieferketten ist die Verschiebung des Wirtschaftswachstums. Trotz voller Auftragsbücher kann vor allem die Industrie der Nachfrage nicht nachkommen. Tatsächlich ist die Wertschöpfung des Industriesektors in Deutschland im Jahr 2021 rückläufig. Durch diese Produktionsprobleme entwickelt sich auch das Wachstum verhaltener. Die entsprechenden Prognosen für 2021 sind bereits revidiert worden. Das ifo-Institut geht nur noch von 2,5 statt 3,3 Prozent Wachstum im laufenden Jahr aus. Dafür soll es 2022 spiegelbildlich höher als davor angenommen ausfallen und gut 5 Prozent betragen.² Die Annahme dabei ist, dass sich die Lieferketten wieder einrenken, die Auftragsbestände im nächsten Jahr abgearbeitet werden und für entsprechend höheres Wachstum sorgen können.

Die unterbrochenen Lieferketten und die Steigerung der Rohstoff- und Energiepreise bleiben auch nicht ohne Auswirkungen auf die Inflation. Fast schon totgesagt, erreicht sie aktuell lange nicht mehr gesehene Höhen. Mit 4,1 Prozent lag sie im September auf dem höchsten Wert seit Anfang der 1990er-Jahre in Deutschland und mit 3,4 Prozent in der Eurozone auf dem höchsten Wert seit 2008. Die teureren Vorprodukte wirken sich noch einmal ausgeprägter bei den Steigerungen der Großhandelspreise aus. Diese sind in Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt im September mit 13 Prozent so stark gestiegen wie seit 47 Jahren nicht mehr.

Goldene 20er-Jahre oder Stagflation?

Unterbrochene Lieferketten, Inflationsentwicklung und die Wirkungen der steigenden Investitionen auf die Produktivität werden die Wirtschaft auch mittelfristig treiben. Sie sind die größten Risikofaktoren in einem ansonsten positiven Basisszenario mit dem erwähnten kräftigen Wachstum von knapp über 5 Prozent in Deutschland und 4,6 Prozent, die die OECD für die Eurozone im nächsten Jahr erwartet.

Schematisch lassen sich die mittelfristigen Entwicklungspfade der Wirtschaft entlang der Achsen Inflation und Wachstum festmachen. Hohe Inflation kann sich mit hohem Wachstum zu einer überhitzten Wirtschaft verbinden. Dies könnte passieren, wenn sich die Produktionsbeschränkungen sehr schnell lösen und die Nachfrage aufgrund der hohen Ersparnisse überschießt. Befürchtungen in diese Richtung gibt es für die Vereinigten Staaten, aktuell scheint das Szenario für Deutschland und Europa nicht übermäßig wahrscheinlich. Das Spiegelbild wäre niedrige Inflation und niedriges Wachstum, also Stagnation. Für dieses Szenario spricht aktuell ebenfalls nicht viel; höchstens eine schnelle und unerwartete Straffung der Geldpolitik.

Economic Trend Briefings
Dieser Blog analysiert aktuelle makroökonomische Entwicklungen sowie Folgen von politischen Ereignissen.

Die beiden verbleibenden Szenarien scheinen aus heutiger Sicht wahrscheinlicher. Auf der negativen Seite steht die Stagflation, die zu vielfältigen Befürchtungen auf den Finanzmärkten führt und einer Rückkehr in die 1970er-Jahre ähneln würde. Eine hohe Inflation würde in diesem Fall mit niedrigem Wachstum einhergehen. In den 1970er-Jahren wurde die Stagflation durch einen Angebotsschock ausgelöst, nämlich die Ölpreiskrise. Dies zumindest ist eine Ähnlichkeit zu dem Angebotsschock der unterbrochenen Lieferketten heute. Und tatsächlich dürfte zumindest das vierte Quartal 2021 in Deutschland von Stagflation gekennzeichnet sein, nachdem die Wirtschaft kaum noch wachsen dürfte, die Inflation aber eher noch am Steigen ist. Dieses Szenario könnte über das Quartal hinaus andauern, wenn die unterbrochenen Lieferketten weiter bestehen, die Nachfrage steigt oder die Löhne durch die derzeitige Inflation stark anwachsen.

Die positivste mittelfristige Aussicht ist das sogenannte Goldilocks- oder Goldlöckchen-Szenario, benannt nach einem englischen Märchen. Hier kombiniert sich starkes Wachstum mit moderater Inflation und oft auch niedrigen Zinsen. Der entscheidende Faktor wird hierbei die Produktivitätsentwicklung werden. Wenn die hohe Investitionsneigung der Unternehmen sich in steigende Produktivität umsetzt, wird zum einen das Wachstum angetrieben, zum anderen aber auch die Inflationsentwicklung gebremst. Hohe Lohnabschlüsse hätten bei ebenfalls hohem Produktivitätswachstum keine inflationären Wirkungen. Ein Ende der Lieferkettenprobleme wäre für dieses Szenario ebenfalls ein wichtiger Faktor.

In dieser Hinsicht steht die Stagflation für die negativen Risiken der Basisannahmen, das Goldlöckchen-Szenario für die positiven, beide weisen aber auch über 2022 hinaus. Ein sehr viel stärkeres Produktivitätswachstum könnte auch langfristig sehr positive Wirkungen entfalten und das Wachstumspotenzial deutlich steigern. Insofern sollten Aufsichtsräte die Indikatoren Inflation und Produktivität für negative und für positive Überraschungen sehr genau im Blick behalten.

¹ OECD: Keeping the Recovery on Track. OECD Economic Outlook Interim Report, September 2021.

² ifo-Institut: ifo Konjunkturprognose Herbst 2021: Lieferengpässe in der Industrie bremsen gesamtwirtschaftliche Erholung, https://www.ifo.de/node/65147, abgerufen am 29.10.2021

Dr. Alexander Börsch Chefökonom & Director Research

Hier können Sie das ganze Magazin als PDF herunterladen:

Teilen Sie diesen Artikel: