Corporate Governance Inside
Sustainable Corporate Governance
Nachhaltigkeit: Herausforderung für den Aufsichtsrat

"Nachhaltigkeit ist im Aufsichtsrat angekommen, Intensität und Tiefe der Befassung wird aber noch deutlich zunehmen.“
Dr. Arno Probst | Leiter Board Programs, Deloitte Deutschland
Bei unserer diesjährigen Befragung von Aufsichtsräten gemeinsam mit der Zeitschrift „Der Aufsichtsrat“ aus dem Handelsblatt Fachverlag geht es im Schwerpunkt um den Themenkomplex Nachhaltigkeit. Damit sollen die Erfahrungen der Mandatsträger im Hinblick auf den praktischen Umgang mit diesem sehr aktuellen Thema und sich daraus ergebenden Fragestellungen erfasst werden.
Bezüglich des Teilnehmerkreises setzt sich der Generationswechsel im Panel erkennbar fort: 14 Interviewpartner (19,2%) konnten erstmals gewonnen werden. Zusammen mit denen, die zum zweiten Mal (19, entspricht 26,0%) teilgenommen haben, sind damit 45 Prozent der Interviewpartner in den vergangenen zwei Jahren neu hinzugekommen. Die von allen Befragten gehaltene Mandatsanzahl hat mit 2,86 einen neuen Tiefpunkt erreicht und bestätigt damit, dass erfreulicherweise zunehmend eine Konzentration auf einige wenige aktive Mandate zu beobachten ist. In der Gesamtschau konnte die Erfahrung aus insgesamt 210 Gesellschaften erhoben werden. Und: Bei den Interviewten handelt es sich um 49 Männer und 24 Frauen (32,9%, + 7% zu 2020). Interessant ist auch: Das Durchschnittsalter der befragten Männer (65,1 Jahre) lag deutlich über dem der befragten Frauen (52 Jahre). Man kann von einem Generationswechsel sprechen.
Panel-Ergebnisse
1. Hintergrund
Der Themenkomplex Nachhaltigkeit wurde in drei mehrfach unterteilten Abschnitten untersucht. Neben Fragen zur Betroffenheit des Geschäftsmodells der Mandatsunternehmen der Teilnehmer im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte (alle „Environmental, Social & Governance“-[ESG-]Implikationen) und die Intensität der Befassung im Aufsichtsrat insgesamt standen Einschätzungen zur Bedeutung und prüferischen Behandlung der Nachhaltigkeitsberichterstattung sowie zu den aktuell diskutierten weitergehenden Überlegungen der EU zur Sustainable Corporate Governance im Vordergrund. Den Ausgangspunkt der Befragung bildet die aktuell starke Präsenz des Themas in der gesellschaftlichen bzw. wirtschaftspolitischen Diskussion: Zum einen ergeben sich daraus Herausforderungen bezüglich der Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle von Unternehmen und die langfristig erfolgreiche Unternehmensstrategie, zum anderen stellen sich Fragen im Hinblick auf die Ausweitung der damit verbundenen Regulatorik und Anforderungen an die Unternehmensberichterstattung sowie die Corporate-Governance-Systeme. Der Aufsichtsrat als Sparringspartner des Vorstands und Überwachungsorgan ist dabei doppelt gefordert.
2. Betroffenheit und Befassung im Aufsichtsrat
Etwa ein Drittel (34%) der Unternehmen ist nach Meinung ihrer Aufsichtsräte stark vom Thema Nachhaltigkeit betroffen und erwartet sehr grundlegende Veränderungen des Geschäftsmodells durch Nachhaltigkeitsentwicklungen, verbunden mit einschneidenden Maßnahmen. Ein weiteres Drittel (31,9%) geht von einer mittleren Betroffenheit aus, die viele Einzelmaßnahmen erfordert, aber keine grundlegenden Auswirkungen auf das Geschäftsmodell hat. 12,1 Prozent der Befragten sehen ihr Geschäftsmodell sogar als „nachhaltigkeitsgetrieben“ an, d.h., sie profitieren von den aktuellen bzw. zu erwartenden Entwicklungen. Lediglich etwa ein Fünftel der Unternehmen sieht sich nur wenig beeinflusst vom Thema. Im Zuge der Beantwortung wurden insgesamt weitere persönliche Anmerkungen gegeben: sicher auch ein Zeichen für die Aktualität und z.T. emotionale Betroffenheit der Mandatsträger selbst. Dabei wurde interessanterweise deutlich, dass mit 43 Prozent der Nennungen der Schwerpunkt der Anmerkungen im Bereich der ökologischen Aspekte lag, während die Bereiche Social (13,7%) und Governance (12,5%) deutlich weniger Resonanz hervorbrachten, vermutlich ein nicht überraschendes Bild der praktischen Wahrnehmung dieser Themenvielfalt. In einem zweiten Schritt wurden die Interviewten aufgefordert, ihre aktuelle Praxis der Befassung und Diskussion zur Nachhaltigkeit im Aufsichtsrat einzuschätzen. Die Durchschnittsbewertung der 73 hierzu sich Äußernden beträgt im arithmetischen Mittel 3,87 . Damit bewerten die Befragten die Praxis der Befassung in ihren Aufsichtsräten im Durchschnitt mit einer Tendenz zu „intensiv“ (Skalawert 4). Eine deutliche Mehrheit der Interviewten (zusammen 63%) sieht die Gremienbefassung zwischen „intensiv“ und „sehr intensiv“ (19,2%) an. Lediglich 5,5 Prozent sprechen von einer wenig intensiven Befassung, 16,4 Prozent schätzen die Befassungsintensität als „neutral“ ein. Damit ist das Thema immerhin in die Diskussion einer deutlichen Mehrheit der Aufsichtsräte signifikant eingezogen, auch wenn man sich wundern mag, dass etwa ein Fünftel der Teilnehmer damit offenbar (noch) wenig bis gar nicht befasst ist. Befragt nach der Qualität der geführten Diskussionen zur Nachhaltigkeit haben 74 Prozent der Befragten konkrete Verbesserungsvorschläge angeführt. Dabei steht mit 23 Nennungen der grundsätzliche Wunsch nach einer noch intensiveren Befassung mit dem Thema Nachhaltigkeit im Vordergrund. Die weiteren Nennungen betreffen insbesondere die Konkretisierung von Diskussions- und Themeninhalten (22), die Ressourcen zur Bearbeitung (5), Mindset und Haltung zum Thema Nachhaltigkeit (8) wie auch die Qualifizierung des Gremiums für das Thema (8) sowie die Zielvorgaben an den Vorstand (4). Es gibt also noch viel Verbesserungspotenzial aus Sicht von etwa drei Viertel der Befragten. Überwältigende 84,9 Prozent der Teilnehmer gehen entsprechend davon aus, dass die Intensität der Befassung des Aufsichtsrats mit dem Thema dauerhaft zunehmen wird. Bei der Frage, welche konkreten Herausforderungen Gegenstand der Gremienbefassung waren, geben mit 73,6 Prozent fast drei Viertel der Befragten die Auswirkungen auf Geschäftsmodell und Strategie an, gefolgt von der CSR-Berichterstattung inklusive deren Überwachung im Rahmen der Corporate-Governance-Systeme (54,2%). Daneben gibt es eine Vielzahl von weiteren Themen, wobei wiederum die ökologischen Aspekte im Vordergrund stehen, aber auch beispielsweise Green Finance und Soziales.
3. CSR-Berichterstattung
In einem zweiten Fragenblock wurde die aktuelle CSR-Berichterstattung durch den Aufsichtsrat thematisiert. Erster Schwerpunkt war es, aus einer Auswahl von sieben vorgegebenen Aussagen rund um die CSR-Berichterstattung diejenigen auszuwählen, die aus der eigenen Mandatsperspektive besonders relevant erscheinen. Hier sticht hervor, dass eine überwältigende Mehrheit (90,1%) die Aussage über die große Herausforderung bei der verlässlichen Erhebung der qualitativen und quantitativen Daten und deren Nachweise im Rahmen der Corporate-Governance-Systeme bestätigt. Zudem sehen 76,1 Prozent einen Trend der deutlichen Zunahme der Bedeutung der nicht-finanziellen Berichterstattung. Auch wenn heute noch 43,7 Prozent der Nennungen der nicht-finanziellen Berichterstattung „bei Weitem“ nicht den Stellenwert der Finanzberichterstattung zumessen, trifft mit 42,3 Prozent fast die gleiche Anzahl die Aussage, dass die nicht-finanzielle Berichterstattung künftig in der Relevanz mit der Finanzberichterstattung gleichauf sein wird. In diesem Zusammenhang wird daher auch die Notwendigkeit eines international einheitlichen Regelwerkes (vergleichbar den IFRS in der Finanzberichterstattung) zur Orientierung und Vergleichbarkeit betont (66,2%).
4. Sustainable Corporate Governance
Als drittes Thema stand die Einschätzung der befragten Aufsichtsräte zu weiteren Reformüberlegungen zur rechtlichen Verankerung der Nachhaltigkeit im Rahmen der Corporate Governance im Vordergrund. Bei diesem aktuell diskutierten „Sustainable Corporate Governance“-Rahmen geht es u.a. darum, Unternehmensleitungen auf die Interessen aller relevanten Stakeholder (nicht nur Shareholder) zu verpflichten. Als „Vorbote“ dieses Gedankens wurde in den Niederlanden kürzlich ein spektakuläres Gerichtsurteil gefällt, das verschiedene Interessengruppen und Verbände gegen das Unternehmen Shell erstritten haben und Shell zunächst zu einer beschleunigten Reduzierung des CO2-Ausstoßes verpflichtet hat. Die Befragten sollten als Erstes aus einer Auswahl von nur zwei Aussagen ihrer grundsätzlichen Auffassung zu diesen Überlegungen Ausdruck verleihen. Dabei wurde deutlich, dass mit 54,2 Prozent der Antwortenden mehr als die Hälfte eine derartige gesetzliche Verpflichtung vor dem Hintergrund der Shareholder-Interessen für zu weitgehend halten. Lediglich ein knappes Fünftel (19,4%) kann sich eine Erweiterung auf Stakeholder-Interessen vorstellen. Dabei steht in den weiteren Äußerungen der Gedanke im Vordergrund, dass es allein auf freiwilliger Basis nicht gelingen wird, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, wobei allerdings auch bei den Befürwortern Wirtschaftlichkeitsaspekte angemahnt werden. Interessant ist, dass weitere 26,4 Prozent der Befragten sich für keine der zwei vorgegebenen Alternativen haben entscheiden können. Dies zeigt einmal mehr die ambivalenten Auffassungen der Teilnehmer bei diesem Thema.
Ergebnis und Ausblick
Mit den Ergebnissen der Aufsichtsrats-Panel-Befragung liegt ein aktuelles Stimmungsbild zu den Herausforderungen rund um das Thema Nachhaltigkeit für den Aufsichtsrat vor. Es zeigt, dass das Thema inzwischen in den Aufsichtsräten weitgehend „angekommen“ ist. Intensität und Qualität der Gremienbefassung sind aber – wie zu erwarten – noch ausbaufähig. Auf erhebliche Vorbehalte der Mandatsträger treffen die politischen Bestrebungen zur verstärkten rechtlichen Verankerung der Stakeholder-Interessen in der Corporate Governance. Summa summarum lässt sich aber sagen: Der „Nachhaltigkeits-Zug“ des Aufsichtsrats nimmt durchaus Fahrt auf, vielleicht auch im Kontext eines Generationenwechsels nicht nur in unserem Panel? Das ist auch nötig, denn es ist einiges in der Pipelie: Mit Regulierungsentwürfen der EU-Kommission zur „Sustainable Corporate Governance“ wird in den kommenden Wochen zu rechnen sein. Analog zum deutschen Lieferkettengesetz ist zum einen der Erlass einer Richtlinie zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement auf EU-Ebene geplant. Diese soll voraussichtlich weitaus restriktiver ausfallen als das deutsche Lieferkettengesetz (z.B. zivilrechtliche Haftung für ein unzureichendes Risikomanagement in der Wertschöpfungskette). Zum anderen wird derzeit kontrovers auf EU-Ebene diskutiert, zusätzlich auf Ebene des Vorstands und Aufsichtsrats Regulierungen zu erlassen, um die Anreize für ein Nachhaltigkeitsmanagement zu stärken. Möglich wären die zwingende Implementierung von Nachhaltigkeitsexpert:innen auf Ebene des Vorstands und Aufsichtsrats, die zwingende Berücksichtigung von Umwelt- und Sozialfaktoren in der Vorstandsvergütung analog zum deutschen Vorgehen nach dem ARUG II 2019 sowie die Erweiterung der unternehmerischen Risikomanagementsysteme um Umwelt- und Sozialfaktoren in den Mitgliedstaaten. Insofern könnte die Nachhaltigkeit zur DNA der künftigen Aufsichtsratsarbeit werden.
Hier können Sie sich die vollständigen Ergebnisse der Panelbefragung 2021 als PDF herunterladen:
Dr. Arno Probst
Leiter Center für Corporate Governance, Deloitte Deutschland
Prof. Dr. Patrick Velte
Professur für Betriebswirtschaftslehre, insb. Accounting, Auditing und Corporate Governance, Leuphana Universität Lüneburg
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