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Klimarisiken im IFRS-Abschluss

Unzweifelhaft spielen Unternehmen zur Erreichung der von den Vereinten Nationen (UN) erarbeiteten Klima- und Nachhaltigkeitsziele eine zentrale Rolle. Auch wenn bereits heute ein Großteil der Unternehmen angibt, das Thema Nachhaltigkeit sowie deren Ziele bereits in strategische Geschäftsentscheidungen einzubeziehen, existieren signifikante Unterschiede sowohl im Hinblick auf die tatsächliche Berücksichtigung der Faktoren Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) als auch auf die Offenlegung dieser Informationen im Abschluss.¹

Insbesondere die Bedrohung durch den Klimawandel steht, als eine der Dimensionen der ESG-Aspekte, derzeit im Fokus der Investoren, da sich daraus neben den transitorischen Risiken als Ausfluss des Übergangs in eine CO2-arme Wirtschaft bedeutsame physische Risiken, aber auch Chancen für Unternehmen der verschiedensten Branchen ergeben können. Es ist daher mit deutlichen Auswirkungen auf die zukünftige Geschäftstätigkeit vieler Unternehmen zu rechnen. Vor diesem Hintergrund widmen Aufsichtsräte dem Thema ESG zunehmend aus verschiedenen Blickwinkeln ihre Aufmerksamkeit.

Auch wenn aktuell sowohl auf europäischer als auch globaler Ebene die Entwicklung von Nachhaltigkeitsberichterstattungsstandards vorangetrieben wird – durch die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) im Auftrag der Europäischen Kommission und durch den am 3. November 2021 konstituierten International Sustainability Standards Board (ISSB) der IFRS-Stiftung mit Sitz der Entscheidungsgremien in Frankfurt am Main² – und damit aktuell im Fokus steht, ist dennoch festzuhalten, dass die finanziellen Auswirkungen und die Bedeutung des Klimawandels für ein Unternehmen auch materiell sein können und daher bereits heute im Rahmen des IFRS-Abschlusses zu berücksichtigen sind. Die besondere Bedeutung der Berücksichtigung klimarelevanter Aspekte in der Unternehmensberichterstattung wird auch von den großen Vermögensverwaltern, wie BlackRock und State Street, hervorgehoben. BlackRock-CEO Larry Fink und State-Street-CEO Cyrus Taraporevala positionierten sich in jeweils im Januar 2020 veröffentlichten Schreiben an die CEOs der weltweiten Konzerne klar und forderten neben mehr Einsatz gegen den Klimawandel vor allem auch eine höhere Transparenz zu ESG-Themen, da diese zukünftig immer stärker den Erfolg der Kapitalbeschaffung bestimmen werden.³ Noch spezifischer in Bezug auf die Rechnungslegung nach IFRS sind die Forderungen der Institutional Investor Group on Climate Change (IIGCC), die eine Interessenvertretung von bedeutenden europäischen Investoren im Kontext des Klimawandels ist, welche explizit einen Abgleich mit dem Pariser Klimaabkommen und dem IFRS-Abschluss fordern und hier auch Aufsichtsrat und Abschlussprüfer neben der Geschäftsleitung in der Verantwortung sehen.⁴

Daher ist es wenig verwunderlich, dass der International Accounting Standards Board (IASB) im Zuge der zunehmenden Bedeutung des Klimawandels für die Unternehmen verstärkt Anfragen von Investoren und anderen Interessengruppen erhalten hat, warum die IFRS keine spezifischen Vorschriften zur Abbildung finanzieller Risiken aus dem Klimawandel im Abschluss enthalten. Als eine Reaktion darauf veröffentlichte IASB-Mitglied Nick Anderson im November 2019 einen Artikel mit dem Titel „IFRS Standards and climate-related disclosures“⁵. Dieser bildete die Grundlage für die Veröffentlichung von Informationsmaterial zu diesem Themenbereich („Effects of climate-related matters on financial statements“⁶), welches im November 2020 veröffentlicht wurde. Dabei wird klargestellt, dass klimabezogene Risiken zwar nicht explizit in den IFRS erwähnt, allerdings in den Standards bereits durch existierende Prinzipien und Vorschriften behandelt werden.

Die finanziellen Auswirkungen und die Bedeutung des Klimawandels kann für ein Unternehmen materiell sein. Daher sind diese im IFRS-Abschluss zu berücksichtigen.

Unternehmen müssen im Berichtsprozess sicherstellen, dass klimabedingte und neu auftretende Risiken bereits bei entsprechender Relevanz im IFRS-Abschluss berücksichtigt sind.

Zuerst stellt sich allerdings die Frage nach der Wesentlichkeit im Hinblick auf zwei Dimensionen. Dabei muss zum einen evaluiert werden, inwieweit auftretende Risiken, einschließlich klimabezogener Risiken, die in den IFRS-Abschlüssen ausgewiesenen Beträge und Angaben beeinflussen können. Zum anderen müssen sich Unternehmen intensiv damit auseinandersetzen, welche Informationen über die Auswirkungen auftretender Risiken, einschließlich klimabezogener Risiken, für die bei der Erstellung des Abschlusses getroffenen Annahmen wesentlich sind und daher offengelegt werden sollten.

Insbesondere die Wesentlichkeit von Offenlegungen klimarelevanter Informationen stellt allerdings einen mit großer Unsicherheit behafteten Bereich dar. Nach den IFRS sind Informationen wesentlich, wenn vernünftigerweise zu erwarten ist, dass ihre Auslassung, fehlerhafte Darstellung oder Verschleierung die Entscheidungen von Abschlussadressaten beeinflussen können, die diese auf Grundlage der Finanzinformationen eines Abschlusses eines bestimmten Unternehmens treffen. Aus dieser Definition folgt damit auch, dass qualitative externe Faktoren wie die Branche des Unternehmens und die Erwartungen der Abschlussadressaten die Offenlegung von Informationen zu bestimmten Risiken, unabhängig von rein quantitativen finanziellen Auswirkungen, erfordern können.

Zu den potenziellen finanziellen Auswirkungen von klimabedingten und anderen neu auftretenden Risiken, die bereits im Rahmen der Finanzberichterstattung im IFRS-Abschluss zu berücksichtigen sowie offenzulegen wären und in den beiden Papieren erläutert werden, gehören bspw. Informationen zu den Berechnungen zur Prüfung des Vorliegens von Wertminderungen von Vermögenswerten einschließlich des Geschäfts- oder Firmenwerts. Zwar verlangt der relevante Standard IAS 36 Wertminderung von Vermögenswerten keine verpflichtende Offenlegung hinsichtlich der Berücksichtigung von klimabedingten Risiken in den Berechnungen im Zuge des Wertminderungstests, allerdings fordert IAS 1 Darstellung des Abschlusses die Offenlegung von Informationen, die sonst an keiner anderen Stelle im IFRS-Abschluss dargestellt wurden, aber dennoch für Investoren relevant für das Verständnis des Abschlusses sind. Die Notwendigkeit solcher Informationen wäre als hoch einzustufen, wenn zum Beispiel andere Unternehmen derselben Branche signifikante Wertminderungen infolge klimabedingter Auswirkungen erfasst haben.

Des Weiteren können klimabedingte Risiken aus vielerlei Gründen zu einer Veränderung der Nutzungsdauer von Vermögenswerten führen. So wäre es denkbar, dass sich ein Unternehmen zum Beispiel zur Erreichung des Ziels einer Verringerung von CO2-Emissionen aus technologischen Gründen dazu gezwungen sieht, bestimmte Anlagen früher stillzulegen als ursprünglich geplant.

Zudem können klimabedingte und andere neu auftretende Risiken unter anderem auch folgende potenzielle Auswirkungen mit sich bringen:

  • Änderungen des beizulegenden Zeitwerts (Fair Value) von nicht-finanziellen Vermögenswerten
  • Auswirkungen auf die Berechnung von Wertminderungen aufgrund von Kostensteigerungen oder Nachfragerückgängen
  • Änderungen der Rückstellungen für belastende Verträge aufgrund von Kostensteigerungen oder Nachfragerückgängen
  • Änderungen der Rückstellungen und Eventualverbindlichkeiten aufgrund von Bußgeldern und Strafen oder faktischer Verpflichtungen, z.B. durch veröffentlichte CO2-Reduktionssziele
  • Änderungen der erwarteten Verluste für Kredite und andere finanzielle Vermögenswerte

Folglich müssen Unternehmen im Rahmen des Berichtsprozesses sicherstellen, dass die klimabedingten und anderen neu auftretenden Risiken trotz der in der Praxis bestehenden großen Unsicherheiten und Ermessensspielräume bereits bei entsprechender Relevanz im IFRS-Abschluss berücksichtigt und zudem sämtliche für die Abschlussadressaten wesentlichen Informationen offengelegt werden und dabei auch konsistent zu den Informationen im Lagebericht sind.

Auch im Kapitalmarkt-Enforcement rücken ESG-Aspekte im IFRS-Abschluss immer stärker in den Vordergrund. Daran anknüpfend spiegelt sich die Bedeutung der Offenlegung entscheidungsnützlicher Informationen nun auch in den europäischen Enforcement-Schwerpunkten, deren Veröffentlichung durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) im Oktober 2021 erfolgt ist,⁷ wider. Als einen von vier Prüfungsschwerpunkten hat die ESMA „Klimabezogene Aspekte“ festgelegt. Der Schwerpunkt der ESMA liegt dabei neben der Berücksichtigung von klimarelevanten Risiken in der Bilanzierung, den Angaben zu signifikanten Ermessensentscheidungen sowie Schätzungsunsicherheiten und Wesentlichkeitsbeurteilungen auf der Konsistenz zwischen IFRS-Abschluss und nicht-finanziellen Informationen und damit zum Lagebericht und, sofern einschlägig, im gesonderten Nachhaltigkeitsbericht.

Die obenstehenden Ausführungen zeigen, dass das Thema „ESG“ und hier insbesondere die Klimarisiken nicht nur ein strategisches Thema ist oder bloß für Lage- bzw. Nachhaltigkeitsbericht Relevanz entfaltet, sondern auch ganz konkrete Auswirkungen auf den IFRS-Abschluss einschließlich des Anhangs haben kann. Auch die Aufsichtsorgane sollten auf diesen Aspekt der ESG-Debatte einen kritischen Blick haben und Fragen stellen.

¹ Siehe zu einer umfangreichen Untersuchung zur nicht-finanziellen Berichterstattung deutscher Unternehmen den DSRC-Abschlussbericht zur vom BMJV beauftragten Horizontalstudie sowie zu Handlungsempfehlungen für die Überarbeitung der CSR-Richtlinie: https://www.drsc.de/news/csr-studie-abschluss/, abgerufen am 18.10.2021.

² Vgl. https://www.ifrs.org/news-and-events/news/2021/11/ifrs-foundation-announces-issb-consolidation-with-cdsb-vrf-publication-of-prototypes/, abgerufen am 05.11.2021.

³ Zu den konkreten Forderungen siehe Larry Fink (BlackRock): https://www.blackrock.com/corporate/investor-relations/2020-larry-fink-ceo-letter, abgerufen am 19.10.2021, und Cyrus Taraporevala (State Street): https://www.ssga.com/library-content/pdfs/insights/CEOs-letter-on-SSGA-2020-proxy-voting-agenda.pdf, abgerufen am 19.10.2021.

⁴ Vgl. https://www.iigcc.org/download/investor-expectations-for-paris-aligned-accounts/?wpdmdl=4001&refresh=5fb691a9ba4011605800361, abgerufen am 22.10.2021.

⁵ Vgl. https://www.ifrs.org/content/dam/ifrs/news/2019/november/in-brief-climate-change-nick-anderson.pdf, abgerufen am 15.10.2021.

⁶ Vgl. https://www.ifrs.org/content/dam/ifrs/supporting-implementation/documents/effects-of-climate-related-matters-on-financial-statements.pdf, abgerufen am 15.10.2021.

⁷ Vgl. https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/esma71-99-1751_press_release_-_european_enforcers_target_covid-19_and_climate-related_disclosures.pdf, abgerufen am 29.10.2021.

Jens Berger

Leiter | IFRS and Corporate Reporting Centre of Excellence,

Deloitte Deutschland

Dr. Florian Kiy

Manager | IFRS and Corporate Reporting Centre of Excellence,

Deloitte Deutschland

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