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Die Tätigkeit des Aufsichtsrats in der Umsatzsteuer

Lange wurde die Frage, ob die Vergütungen von Aufsichtsratsmitgliedern der Umsatzsteuer unterliegen, von Rechtsprechung und Finanzverwaltung bejaht. Bereits 1972 entschied der BFH, dass die Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft als Arbeitnehmervertreter gegen Zahlung einer Aufsichtsratsvergütung steuerpflichtig ist. Die Selbstständigkeit des Aufsichtsratsmitglieds schien so offensichtlich, dass diese weder von der Finanzverwaltung noch von der Literatur bezweifelt wurde.

Folglich wurde auch eine Unterscheidung, ob das Mitglied einem fakultativen oder obligatorischen Aufsichtsrat angehört oder ob die Überwachungstätigkeit gegenüber einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ausgeübt wird, nicht vorgenommen. Erst durch die neuere EuGH-Rechtsprechung aus dem Jahr 2019 geriet die bis dahin unangezweifelte Ansicht von Rechtsprechung, Finanzverwaltung und Literatur ins Wanken. Der EuGH entschied in einem niederländischen Fall, dass das Mitglied eines Aufsichtsrats mit einer nicht variablen Festvergütung nicht als Unternehmer tätig ist, da es kein Vergütungsrisiko trägt. Dem EuGH folgend musste der BFH seine Ansicht zur Selbstständigkeit des Aufsichtsratsmitglieds einschränken und änderte seine ständige Rechtsprechung entsprechend. Entscheidend ist danach, wer das wirtschaftliche Risiko trägt. Ein wesentliches Kriterium für die Beantwortung dieser Frage ist die Vergütung des Aufsichtsratsmitglieds (fix- oder variable Vergütung) und wie sich pflichtwidriges Verhalten auf die Vergütung auswirkt. Gleichgültig ist hingegen, ob das Aufsichtsratsmitglied bei einer anderen Konzerngesellschaft – wie bspw. der Mutter – angestellt oder von dieser entsandt ist, da hierdurch kein Abhängigkeitsverhältnis begründet wird. Im Anschluss an die Entscheidung des BFH folgten mehrere finanzgerichtliche Entscheidungen, die alle die Unternehmereigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds verneinten. Anfang Juli 2021 schloss sich die Finanzverwaltung der geänderten Rechtsprechung an und sorgte für weitere Klarstellungen.

Kernaussagen des BMF-Schreibens "Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern“

Das Schreiben der Finanzverwaltung enthält im Wesentlichen drei Kernaussagen, die für Aufsichtsratsmitglieder, Mitglieder von Ausschüssen nach § 107 Abs. 3 AktG und Mitglieder von Gremien, die der Kontrolle der Geschäftsführung einer juristischen Person oder Personenvereinigung (im Folgenden „Mitglieder“ genannt) dienen, bei der Beurteilung der Frage, ob sie im Sinne der Umsatzsteuer selbstständig tätig sind, entscheidend sind.

  1. Erhält das Mitglied eine nicht variable Festvergütung? In diesen Fällen trägt das Mitglied kein Vergütungsrisiko und ist somit nicht selbstständig tätig – die Abrechnung erfolgt ohne Ausweis von Umsatzsteuer. Um eine nicht variable Festvergütung handelt es sich insbesondere bei pauschalen Aufwandsentschädigungen, die für die Dauer der Mitgliedschaft bspw. im Aufsichtsrat gezahlt werden. In der Negativabgrenzung bedeutet das, dass (pauschale) Sitzungsgelder, die das Mitglied nur erhält, wenn es tatsächlich an der Sitzung teilnimmt, sowie Entschädigungen, die sich nach dem tatsächlichen Aufwand bemessen, keine Festvergütung darstellen und zur Selbstständigkeit der Tätigkeit des Mitglieds führen. In diesen Fällen unterliegt die Vergütung der Umsatzsteuer.
  2. Erhält das Mitglied eine Mischvergütung? Besteht die Vergütung des Mitglieds sowohl aus festen als auch variablen Bestandteilen, ist es grundsätzlich selbstständig tätig, wenn die variablen Bestandteile im Kalenderjahr mindestens 10 Prozent der gesamten Vergütung einschließlich erhaltener Aufwandsentschädigungen betragen. Reisekostenerstattungen sind bei der Ermittlung der 10-Prozent-Grenze nicht zu berücksichtigen, da sie keine Vergütungsbestandteile darstellen. Erfreulicherweise stellt die Finanzverwaltung klar, dass sich die zu ermittelnde 10-Prozent-Grenze nur auf das individuelle Mandat bezieht. Im Endeffekt ist damit das Mitglied gemeinsam mit dem jeweiligen Unternehmen in der Lage, zu bestimmen, ob der Unternehmerstatus des Mitglieds mit dem Vorteil des Vorsteuerabzugs und dem Nachteil der damit zu erledigenden Compliance-Verpflichtungen aufrechterhalten bleiben oder aber die Selbstständigkeit entfallen soll. Im letzteren Fall sollte der variable Teil der Vergütung p.a. keine 10 Prozent oder mehr ausmachen. Abhängig von der Vergütungsstruktur kann das im Einzelfall dazu führen, dass ein Mitglied für die Tätigkeit in einem Aufsichtsrat Umsatzsteuer abführen muss, in einem anderen aber nicht.
  3. Handelt es sich bei dem Mitglied um einen Beamten oder einen anderen Bediensteten einer Gebietskörperschaft? Hier gelten Sonderregelungen, da dieser Personenkreis dazu verpflichtet ist, die erhaltene Vergütung bis auf einen bestimmten Anteil an ihren jeweiligen Dienstherrn abzuführen. Die Finanzverwaltung beanstandet es daher nicht, wenn diese Personen aufgrund ihrer ansonsten selbstständigen Tätigkeit als unselbstständig behandelt werden – die Abrechnung also ohne Ausweis von Umsatzsteuer erfolgt. Die Frage, warum die Sonderregelung nicht auch auf Arbeitnehmervertreter anwendbar sein soll, bleibt offen.

Abgerechnet wird zum Schluss – die Frage ist, wie? BMF-Schreiben vom 19. August 2021

Häufig kommt es vor, dass nicht die Mitglieder selbst, sondern die entsprechenden Unternehmen die Abrechnung über die Vergütung erstellen. Oftmals wird daher im sogenannten Gutschriftverfahren abgerechnet. Wird die Abrechnung mit offenem Steuerausweis und damit falsch ausgestellt, weil das Mitglied mangels Selbstständigkeit kein umsatzsteuerlicher Unternehmer ist, da es eine Festvergütung erhält, führt das nicht zum unberechtigten Steuerausweis, da es an einer Leistung eines Unternehmers mangelt. Ein Abrechnungsdokument an einen umsatzsteuerlichen Nichtunternehmer steht einer Rechnung nicht gleich und kann daher keine Steuerschuld für einen unberechtigten Steuerausweis begründen. Vorteilhaft ist das in der Praxis vor allem für diejenigen Unternehmen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Das gilt insbesondere für den gesamten Finanzsektor wie Banken und Versicherungen. Häufig gilt das auch für gemeinnützige Einrichtungen und Krankenhäuser.

Ab wann gilt was?

Grundsätzlich gilt die neue Verwaltungsanweisung in allen offenen Fällen. Erfreulicherweise räumt die Finanzverwaltung den Betroffenen eine Frist bis zum 31. Dezember 2021 ein, im Rahmen derer sie es nicht beanstandet, wenn die Beteiligten das bisherige Verständnis der Finanzverwaltung auf Leistungen anwenden, die bis einschließlich 31. Dezember 2021 ausgeführt werden. In diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, wann die Leistung des Mitglieds tatsächlich erbracht wird. Regelmäßig ist das nicht mit dem Ablauf des Kalenderjahres der Fall, sondern mit der jeweiligen Hauptversammlung. Nach Ablauf der Nichtbeanstandungsfrist ist damit zu rechnen, dass ein Großteil der (Aufsichtsrats-)Tätigkeiten dem Bereich der Umsatzsteuer entzogen wird.

Praxishinweis – Gespräche jetzt miteinander führen statt später mit dem Finanzamt

Auf Grundlage der neuen Verwaltungsansicht sollten die Beteiligten die bestehenden Regelungen daraufhin überprüfen, ob die Vergütungen der Umsatzsteuer unterliegen. Wird bereits bislang die 10-Prozent-Grenze des variablen Vergütungsanteils des Mitglieds überschritten (bei Überschreitung handelt das Mitglied umsatzsteuerrechtlich als Unternehmer und unterliegt der Steuerpflicht), sollte geprüft werden, ob es auch künftig dabei bleiben soll oder ob sich in diesen Fällen nicht eine Überarbeitung des Vergütungssystems – auch aus Sicht der beaufsichtigten Gesellschaft – anbietet. Denn nur, wenn die 10-Prozent-Grenze nicht erreicht wird und die Gesellschaft nicht oder nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist, können sich finanzielle Vorteile ergeben. Auch aus Sicht des Mitglieds kann die Unterschreitung der 10-Prozent-Grenze des variablen Vergütungsanteils attraktiv sein, da sämtliche Erklärungspflichten und der damit einhergehende Deklarationsaufwand entfallen. In den Fällen, in denen das Mitglied in die „Nichtselbstständigkeit“ rutscht, droht allerdings eine entsprechende Vorsteuerkorrektur. Gleichgültig, ob es sich um ein Aufsichtsratsmitglied oder um ein anderes der genannten Mitglieder handelt und ob die jeweilige Gesellschaft zum Vorsteuerabzug berechtigt ist oder nicht oder nur teilweise, sollten die Beteiligten die Zeit bis zum 31. Dezember 2021 nutzen, um eine eindeutige Regelung zu schaffen.

Dr. Ulrich Grünwald Partner | Tax & Legal, Deloitte Deutschland

Dr. Diana-Catharina Kurtz

Senior Manager | Tax & Legal, Deloitte Deutschland

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