Corporate Governance Inside
Beitrag von Daniela Mattheus
Der zweite Financial Expert
Neue Besetzungsanforderung nach dem FISG
Mit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Finanzmarktintegritätsgesetz, FISG) steht erneut der Prüfungsausschuss – seine Zusammensetzung, Aufgaben und Informationsrechte – im Fokus. Der Prüfungsausschuss soll effektiver und damit sollen Unregelmäßigkeiten schneller erkannt werden. Dies soll – im Ansatz völlig richtig – auch durch eine fokussierte Besetzung in Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss erreicht werden. Die erforderliche Fachexpertise auf den Gebieten der Rechnungslegung und Abschlussprüfung soll gestärkt werden.
In diesem Sinne ist die Neuregelung in den §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG zu verstehen, die bei Gesellschaften, die Unternehmen von öffentlichem Interesse nach § 316a Satz 2 des Handelsgesetzbuchs sind, mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats bzw. Prüfungsausschusses mit Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung und (neu) mindestens ein weiteres Mitglied des Aufsichtsrats bzw. Prüfungsausschusses mit Sachverstand auf dem Gebiet der Abschlussprüfung verlangt. Die Mitglieder müssen in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein. Künftig genügt die Besetzung eines Aufsichtsrats bzw. Prüfungsausschusses den gesetzlichen Anforderungen also nicht mehr, wenn nur ein Gremienmitglied beide Fachgebiete beherrscht.
Für bestehende Prüfungsausschüsse bzw. Aufsichtsräte gibt es Bestandsschutz: Ein Austausch bestehender (Ersatz-)Mitglieder ist nicht erforderlich, wenn alle Mitglieder des Aufsichtsrats bzw. des Prüfungsausschusses vor dem 1. Juli 2021 bestellt worden sind; die neuen Anforderungen gelten erst bei der nächsten Nachbestellung.
Was bedeutet Sachverstand auf dem Gebiet der Abschlussprüfung?
Der Gesetzgeber knüpft den nunmehr erforderlichen Sachverstand in der Abschlussprüfung laut Gesetzesbegründung nicht zwingend daran, dass das Mitglied einem wirtschaftsprüfenden Berufsstand angehört. Viel mehr kann der Sachverstand auch durch adäquate Weiterbildungen oder Erfahrung in der Arbeit mit dem Abschlussprüfer, etwa als Finanzvorstand oder langjähriges Mitglied in einem Prüfungsausschuss, erworben worden sein. Insofern ändert sich das individuelle Profil eines ernannten Finanzexperten de lege ferenda nicht; es müssen nunmehr nur beide Fachgebiete zwingend im Gremium vertreten sein und das durch ein weiteres Mitglied.
Warum ein zweiter Financial Expert mit Sachverstand in der Abschlussprüfung?
Was also ist Ziel dieser neuen Besetzungsanforderung? Der Gesetzgeber hat damit die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses nur „minimalinvasiv“ und im Einklang mit der Richtlinienvorgabe des europäischen Gesetzgebers angepasst.
Augenscheinlich liegt darin vor allem die eindringliche Aufforderung, die Qualität der Abschlussprüfung – die das FISG nunmehr explizit als Aufgabe des Aufsichtsrats bzw. Prüfungsausschusses verankert – besser überwachen zu können. Mithin ist implizit die Frage aufgeworfen: Inwieweit muss der Prüfungsausschuss die Qualität der Abschlussprüfung – etwa durch Audit Quality Indicators – überprüfen können? Muss er hierfür selbst alle Prüfungsstandards kennen und am Ende einer Abschlussprüfung beurteilen, ob diese eingehalten worden sind? Mitnichten, denn ist dies (und so sollte es bleiben) doch wohl primäre Aufgabe der Abschlussprüferaufsichtsstelle und der Qualitätssicherungsmaßnahmen des Berufstandes. Und dennoch: Der Prüfungsausschuss muss den für sein Unternehmen „richtigen“ Abschlussprüfer auswählen, diesen während des Prüfungsprozesses begleiten und dessen Ergebnisse für seine eigene Beurteilung der Rechnungslegung und des Rechnungslegungsprozesses einordnen können. Deshalb müssen die Ausschussmitglieder in der Lage sein zu verstehen, wie der Abschlussprüfer zu seinem risikoorientierten Prüfungsansatz und dem unternehmensspezifischen Risikoprofil gelangt, seine Prüfungsschwerpunkte setzt und Key Audit Matters definiert. Hierfür ist eine Kenntnis des Prüfungsansatzes und der Prüfungsmethodik augenscheinlich ebenso hilfreich wie Sachverstand in der Rechnungslegung. Beides sollte – wie dies die Kodex-Empfehlung in D.4. DCGK für den Prüfungsausschussvorsitzenden auch verlangt – zumindest der Prüfungsausschussvorsitzende (als ein Financial Expert im Sinne des Gesetzes) in sich vereinen. Denn dieser begleitet in der Regel die Abschlussprüfung intensiv – etwa durch informelle regelmäßige Meetings mit dem Prüfer während des Prüfungsprozesses.
Folglich muss die Bedeutung des zweiten Financial Expert anderswo liegen: in der Chance für den Prüfungsausschussvorsitzenden, einen fachlichen Sparringspartner im Aufsichtsgremium für die relevanten Überwachungsaufgaben zu haben. Insofern wird für den Prüfungsausschussvorsitzenden auszuloten sein, wie diese Expertise für das Sparring genutzt werden können, also den zweiten Finanzexperten etwa in Vorabdiskussionen mit dem Abschlussprüfer und dem CFO einbindet bzw. einbinden kann.
Der Prüfungsausschussvorsitzende muss – unabhängig von der weitergehenden Kodex-Empfehlung – in jedem Fall auch die Unabhängigkeit von der Gesellschaft und dem Vorstand mitbringen; ein – neben der Fachexpertise – im Grunde für alle Mitglieder des Prüfungsausschusses weiteres wichtiges Eignungskriterium. Jenes mag zwar gesetzlich nicht verankert sein, folgt indes zwingend daraus, dass die Kontrollfunktion im Prüfungsausschuss wesentlich stärker im Vordergrund steht. Hierauf sollte bei der Auswahl des zweiten Financial Expert Wert gelegt werden.
Was sollte ein Financial Expert noch mitbringen?
Und ein Weiteres ist für einen effektiven Prüfungsausschuss mindest ebenso entscheidend: die Kenntnisse und Erfahrungen mit Blick auf interne Kontrollverfahren. Angesprochen sind hier das Risiko- und Compliance-Management, das interne Kontrollsystem und die Interne Revision – also all die Bereiche, die der Aufsichtsrat bzw. idealiter der Prüfungsausschuss nach § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG auf Wirksamkeit überwachen soll. Denn die systematische Überwachung von Risiken und (auch bilanzrechtlichen) Compliance-Verstößen setzt zuerst bei den Kontrollsystemen und deren Wirksamkeit und nicht erst bei der Finanzberichterstattung an. Umso mehr muss darauf gedrungen werden, dass der besondere Sachverstand im Prüfungsausschuss gerade und besonders auch explizit auf die Kenntnisse und Erfahrungen im Umgang mit Kontrollsystem und Risiken erweitert wird. Diese zwingende Ergänzung des Anforderungsprofils eines Finanzexperten spiegelt auch die tatsächliche Befassung mit diesen Themen im Prüfungsausschuss wider.
Last but not least darf eines in der heutigen Zeit nicht vergessen werden: Rechnungslegung, oder besser Rechenschaftslegung, vornehmlich am Kapitalmarkt, geht heute weit über Finanzkennzahlen hinaus. Die nicht-finanzielle Berichterstattung ist ebenfalls DAS Thema im Prüfungsausschuss und sollte in der Fachkompetenz seiner Mitglieder Niederschlag finden. Auch aus dieser Perspektive muss das Profil des Financial Expert schnellstens hinterfragt und um profunde „non“-financial Expertise ergänzt werden. Die Transformation in eine nachhaltige Wirtschaft wird ebenso das „Berufsbild“ des Finanzexperten transformieren und auch die (Zusammen-)Arbeit im Prüfungsausschuss nachhaltig verändern.
Rechtsanwältin Daniela Mattheus Co-Managing Partner ECBE GmbH, Aufsichtsrätin und Prüfungsausschussvorsitzende sowie Präsidentin der Financial Experts Association e. V. (FEA)
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