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Überblick möglicher Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die IFRS-Rechnungslegung
Mit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine am 24. Februar 2022 hat die geopolitische Konfliktlage eine neue Stufe erreicht. Neben den unmittelbaren Auswirkungen des Krieges auf Unternehmen, die in der Ukraine, in Russland und Weißrussland tätig sind, verschärft er die weltweit bestehenden wirtschaftlichen Herausforderungen wie steigende Inflation und Unterbrechung der globalen Lieferketten. Die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen können wesentliche Auswirkungen auf die Finanzberichterstattung haben. Dieser Beitrag befasst sich übersichtsartig mit Fragestellungen der IFRS-Finanzberichterstattung, auf die Aufsichtsräte für Abschlussstichtage nach dem 24. Februar 2022 ein besonderes Augenmerk legen sollten.
Hat der Russland-Ukraine-Krieg Auswirkungen auf die Konsolidierung von Tochterunternehmen?
Auswirkungen auf die Konsolidierung ergeben sich immer dann, wenn ein Mutterunternehmen ein Tochterunternehmen nicht mehr beherrscht. Einschränkungen der Beherrschung können sich in der vorliegenden Situation sowohl durch rechtliche als auch durch faktische Restriktionen ergeben. Es ist jeweils im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob die Kriterien für eine Beherrschung nach IFRS 10 Konzernabschlüsse weiterhin vorliegen. Ist dies nicht der Fall, weil bspw. Gläubiger durch geänderte rechtliche Rahmenbedingungen mehr Rechte erhalten und das Mutterunternehmen dadurch in seinen Beherrschungsmöglichkeiten wesentlich beschränkt wird, müssen Unternehmen unter Umständen die betroffenen Gesellschaften entkonsolidieren. In diesem Fall ist zu prüfen, ob zumindest noch eine gemeinschaftliche Vereinbarung im Sinne des IFRS 11 Gemeinschaftliche Vereinbarungen oder ein maßgeblicher Einfluss im Sinne des IAS 28 Beteiligungen an assoziierten Unternehmen und Gemeinschaftsunternehmen gegeben ist. Sofern dies vorliegt, sind die entsprechenden IFRS anzuwenden. Verbleibt eine sonstige Finanzbeteiligung, ist diese nach den Vorschriften des IFRS 9 Finanzinstrumente zu bilanzieren.
Welche Auswirkungen können sich ergeben, wenn ein Unternehmen seine Geschäftsaktivitäten einstellt oder einzelne Produktionsstätten aufgibt?
Viele internationale Konzerne haben sich seit Kriegsbeginn dazu entschieden bzw. waren faktisch dazu gezwungen, sich aus Russland zurückzuziehen. Das Aufgeben von Regionen oder Geschäftsbereichen sowie die Veräußerung von langfristigen Vermögenswerten lösen nach IFRS regelmäßig Ausweis- und Bewertungskonsequenzen aus. Wenn zu veräußernde Vermögenswerte die Kriterien für einen Ausweis als zur Veräußerung gehaltene langfristige Vermögenswerte nach IFRS 5 Zur Veräußerung gehaltene langfristige Vermögenswerte und aufgegebene Geschäftsbereiche erfüllen, sind sie gesondert in der Bilanz auszuweisen und zum Zeitpunkt der Umklassifizierung zunächst auf ihre Werthaltigkeit zu prüfen und dann mit dem niedrigeren Wert aus Buchwert und beizulegendem Zeitwert abzüglich Veräußerungskosten zu bewerten. Vermögenswerte, die aufgegeben, also bspw. verschrottet werden sollen, werden zwar nicht als zur Veräußerung gehalten dargestellt; es ist aber auch hier zu prüfen, ob sie ggf. wertgemindert sind. Darüber hinaus müssen Unternehmen prüfen, ob Veräußerungsgruppen ggf. als aufgegebene Geschäftsbereiche auszuweisen sind. Dies kann bspw. dann der Fall sein, wenn die Aktivitäten in einer ganzen Region aufgegeben werden. Die Bewertung zum beizulegenden Zeitwert abzgl. Veräußerungskosten kann in der aktuellen Situation eine große Herausforderung darstellen. Für eine sachgerechte Bewertung werden zukunftsbezogene Informationen benötigt, die sich aufgrund der bestehenden großen Unsicherheit und der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung derzeit allerdings nur eingeschränkt ermitteln lassen. Dadurch erlangen makroökonomische Prognosen eine größere Relevanz für die Cashflow-Planung der Unternehmen.
Welche Auswirkungen ergeben sich auf die für die IFRS-Rechnungslegung erforderlichen Prognosen?
Prognosen spielen in der IFRS-Rechnungslegung bei Ansatz, Bewertung und Offenlegung eine große Rolle, sei es bei der Überprüfung der Werthaltigkeit von nicht-finanziellen Vermögenswerten (wie auch dem Geschäfts- oder Firmenwert) nach IAS 36 Wertminderung von Vermögenswerten oder latenten Steueransprüchen nach IAS 12 Ertragsteuern, bei der Ermittlung von erwarteten Kreditausfällen und natürlich bei der Beurteilung der Fähigkeit eines Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit. Es ist daher mehr denn je wichtig, dass die den Bewertungen und Prognosen zugrundeliegenden Annahmen und Sensitivitätsrechnungen umfassend dokumentiert und im Anhang und in der Kapitalmarktkommunikation insgesamt erläutert werden.
Welche Auswirkungen können Lieferkettenunterbrechungen und höhere Energiekosten auf das Bilanzbild haben?
Durch den Krieg sind viele Unternehmen Lieferkettenunterbrechungen, Materialengpässen, erhöhten Energie- und Lieferkosten sowie Transportverzögerungen ausgesetzt. Besonders betroffen sind Exporte aus Russland und der Ukraine, wie z.B. Öl, Erdgas, Sonnenblumenöl oder Weizen. Da die Kosten für deren Bezug deutlich gestiegen sind, häufig aber die Absatzpreise nicht im gleichen Maße erhöht werden können, kann dies unmittelbare Auswirkungen auf die Bewertung des Vorratsvermögens haben. Es ist daher zu prüfen, ob eine Abschreibung des Vorratsvermögens auf den Nettoveräußerungswert notwendig ist. Zudem sollten Unternehmen ihre langfristigen Fertigungs- und Lieferaufträge sowie Dauerschuldverhältnisse auf ihre Wirtschaftlichkeit hin überprüfen. Sofern die Leistung tatsächlich erbracht werden muss, weil die zugrundeliegenden Verträge bspw. keine Force-Majeure-Klausel enthalten, ist zu evaluieren, ob die unvermeidbaren Kosten aus den Verträgen noch durch die vereinbarten Gegenleistungen gedeckt sind. Übersteigt die Belastung die zu erwartende Gegenleistung, ist für eine Wertminderung bzw. eine etwaige Rückstellung der niedrigere Betrag aus Kosten der Erfüllung des Vertrags und einer etwaigen Strafzahlung wegen Nichterfüllung heranzuziehen. Bevor jedoch eine Rückstellung für belastende Verträge zu bilden ist, müssen zunächst direkt mit den Verträgen in Verbindung stehende Vermögenswerte wie Produktionsmaschinen oder Vorräte im Wert gemindert werden. Erst nach einer Abwertung von Sachanlagen und Vorräten ist zu evaluieren, ob darüber hinaus noch eine Rückstellung zu erfassen ist.
Welche Auswirkungen ergeben sich aus der Krise auf die Bewertung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen?
Auch die Forderungsbewertung kann durch den Krieg beeinflusst sein. Nutzt ein Konzern bspw. für die Ermittlung der erwarteten Verluste einer Gruppe von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen mit gemeinsamen Risikomerkmalen (z.B. in einer geografischen Region) eine Wertberichtigungsmatrix, in die Kreditausfälle der Vergangenheit eingeflossen sind, so kann es sein, dass die historischen Verluste vor dem Hintergrund des Kriegs keine sinnvolle Basis für die Bewertung mehr darstellen. IFRS 9 verlangt, dass die Verlustquoten einer Wertberichtigungsmatrix angepasst werden, um aktuelle Bedingungen und Schätzungen zukünftiger wirtschaftlicher Bedingungen widerzuspiegeln. Wenn die Forderungen im zuvor betrachteten Gesamtportfolio aufgrund des Krieges keine ähnlichen Kreditrisikomerkmale mehr aufweisen, müssen die Forderungen und damit auch die Wertberichtigungsmatrix auf einer veränderten Ebene betrachtet werden, z.B. gesondert für die Ukraine anstelle einer gemeinsamen Betrachtung der Region Osteuropa. Die Wertberichtigungsmatrix muss im Hinblick auf die bisherigen zugrundeliegenden Erwartungen überprüft und aktualisiert werden. Dies kann angesichts der bestehenden Unsicherheiten (z.B. Auswirkungen der Sanktionen, Folgewirkungen des Krieges usw.) ein erhebliches Maß an Ermessensausübung erfordern. Zudem wird es notwendig sein, bei der Bestimmung der erwarteten Kreditverluste mehrere wirtschaftliche Szenarien zu betrachten, da selbst über den meist kurzen Fälligkeitszeitraum von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen eine größere Unsicherheit der potenziellen wirtschaftlichen Bedingungen besteht.
Welche Auswirkungen hat eine mögliche Hyperinflation auf die Rechnungslegung?
Die steigenden Inflationsraten in der Ukraine, Russland und den angrenzenden Staaten könnten dazu führen, dass die betroffenen Staaten künftig nach IFRS Hochinflationsländer darstellen. Dies würde zu einer deutlich erhöhten Komplexität führen, da in diesem Fall IAS 29 Rechnungslegung in Hochinflationsländern zu beachten wäre. Der Standard sieht für Hochinflationsländer retrospektiv anzuwendende gesonderte Bewertungsvorschriften vor. Folglich müssen betroffene Tochterunternehmen internationaler Konzerne rechtzeitig reagieren und die geänderten Bewertungsvorschriften in den Berichtsprozessen an ihre Muttergesellschaft berücksichtigen. Dies sollte rechtzeitig kommuniziert und prozessual umgesetzt werden, da die Daten regelmäßig nicht „auf Knopfdruck“ verfügbar sein werden.
Head of Accounting & Reporting Advisory Services, Deloitte Deutschland
Leiter | IFRS and Corporate Reporting Centre of Excellence, Deloitte Deutschland
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