Corporate Governance Inside
Audit & Assurance
Geopolitische Risiken – das Risikomanagement als Wegbereiter strategischer Entscheidungen
Klimakrise, Corona-Pandemie, zunehmende Handelsbarrieren, ein aufflammender Kalter Krieg und ein offener Krieg in der Ukraine – es scheint, als hätte die Welt einmal mehr in den Krisenmodus geschaltet. Alte Realitäten verschieben sich und müssen geopolitisch neu geordnet werden. Die Welt befindet sich im ständigen Fluss. Zumindest diese Gewissheit hatten schon die alten Griechen. Selten in den letzten zehn Jahren waren die wirkenden Kräfte jedoch so enorm, hat sich die Notwendigkeit für derart drastische politische Entscheidungen ergeben. Der Abbruch politischer und wirtschaftlicher Beziehungen mit Russland, die Umkehr der Energiepolitik des letzten Jahrzehnts und die weltweite Suche nach neuen Partnern für die dringend benötigten Rohstoffe läuten eine Zeitenwende in der Geopolitik ein.
Das macht es auch Unternehmenslenkern und insbesondere international agierenden Unternehmen schwer, in diesem dichten globalen Geflecht zu navigieren. Dies gilt zum einen für die unmittelbare Reaktion auf die genannten Ereignisse, zum anderen für die langfristige Planung. Umso wichtiger werden fundiert vorbereitete strategische Entscheidungen für die Unternehmen, die unter Abwägung aller geopolitischen Risiken die richtigen Schlüsse für die nächsten Jahre ziehen sollen. Wesentliches Instrument der ökonomischen Entscheidungsfindung ist die strategische Planung. Allzu oft jedoch fließen hier die Erkenntnisse des eigenen Enterprise Risk Management nicht mit in die Überlegungen ein. Dem Risikomanagement wird klassisch noch die Aufgabe der Werterhaltung zugeschrieben, also die Verwaltung des Status quo. Nur selten wird dessen volles Potenzial ausgeschöpft, neben werterhaltend auch wertschaffend tätig zu werden. Hinzu kommt, dass bestandsgefährdende Entwicklungen in Unternehmen eben meistens nicht aus einer Fehleinschätzung einzelner operativer Risiken heraus entstehen, sondern vielmehr aus der Fehleinschätzung des Zusammenspiels strategischer und geopolitischer Risiken resultieren. Das Risikomanagement hat in den letzten Jahren nicht nur aufgrund exogener Faktoren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die früher gängige Meinung, es sei nur eine Pflichtübung, der man zur Erfüllung der Anforderungen aus dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) nachkommen müsse, gilt längst als tradiert. Spätestens mit der Verabschiedung des Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetzes (FISG) und der damit verbundenen Einführung des § 91 Abs. 3 AktG (verpflichtende Implementierung eines Risikomanagementsystems) wurde die Bedeutung des Risikomanagements auch von der Legislative nochmals hervorgehoben. Gleichermaßen hob das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) die Bedeutung des Risikomanagements für Gesellschaften mit beschränkter Haftung ebenfalls hervor und machte auch hier die Risikofrüherkennung zur Pflicht. Die Überwachungspflicht des Risikomanagements bestand für Aufsichtsräte nach § 107 Abs. 3 AktG aber bereits vor der Einführung des FISG. Typischerweise lässt sich der Aufsichtsrat bei dieser Überwachungspflicht entweder durch die Interne Revision (DIIR 2 – Prüfung des Risikomanagements durch die Interne Revision) oder durch einen externen Wirtschaftsprüfer (IDW PS 981 – Grundsätze ordnungsmäßiger Prüfung von Risikomanagementsystemen) unterstützen. Bewährt hat sich in der Praxis ein rollierender Ansatz über drei bis fünf Jahre, der interne und externe Überwachung kombiniert. Dabei wurden durch das FISG die direkten Auskunftsrechte der Mitglieder des Prüfungsausschusses erweitert. Künftig wird es ihnen möglich sein, beispielsweise direkte Auskünfte beim Leiter Risikomanagement einzuholen (§ 107 Abs. 4 Satz 4 AktG).
Wesentliches Instrument der ökonomischen Entscheidungsfindung ist die strategische Planung.
Gerade für international agierende Unternehmen ist die geopolitische Landkarte zunehmend komplexer geworden.
Die Entwicklung der Bedeutung von Risikomanagement und Risikofrüherkennung hat auch das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) genau verfolgt und den IDW PS 340 n.F. „Die Prüfung des Risikofrüherkennungssystems“ im vergangenen Jahr grundlegend überarbeitet. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften gehört die Prüfung des Risikofrüherkennungssystems nach § 317 Abs. 4 HGB als verpflichtender Bestandteil zur Jahresabschlussprüfung dazu. Der IDW PS 340 n.F. setzt deutlich höhere Maßstäbe an Risikofrüherkennungssysteme als sein Vorgänger. So müssen die betroffenen Unternehmen jetzt beispielsweise die sogenannte Risikotragfähigkeit und die dazugehörige Gesamtrisikoposition ermitteln. Ziel ist es, eine Vorstellung vom maximalen Risikoausmaß zu erhalten, welches das Unternehmen in einem Worst-Case-Szenario tragen kann. Daran wird dann die Risikostrategie des jeweiligen Unternehmens ausgerichtet. Zur Ermittlung der Gesamtrisikoposition der Risikotragfähigkeit (Gesamtrisiko-Exposure) sind nunmehr auch sämtliche Risikokategorien, also auch strategische Risiken heranzuziehen. Unter Letzteren werden die unsicheren Auswirkungen aufgrund wesentlicher Zukunftstrends wie demografische und technologische Entwicklungen sowie gesellschaftliche und politische Entwicklungen verstanden. Sie leiten sich für jedes Unternehmen individuell aus der jeweiligen Unternehmensstrategie und dem Wettbewerbsumfeld ab.¹ Hierzu zählen auch die geopolitischen Risiken. Diese lassen sich grob in zwei Kategorien teilen:
- Risiken mit globalen Auswirkungen
- Risiken mit lokal begrenzten Auswirkungen (Begrenzung auf bestimme Länder, Regionen)
Sie sind meist langfristiger Natur und bedürfen daher auch langfristiger strategischer Entscheidungen zur Mitigation der Risiken. Folgende geopolitischen Risiken beschäftigen aus unserer Sicht aktuell die Unternehmen im besonderen Maße:
Auswirkungen des Krieges in der Ukraine
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat in vielfacher Hinsicht Auswirkungen auf die kurzfristigen und strategischen Planungen der Unternehmen. Neben dem Rückzug aus russischen Märkten und den damit verbundenen Umsatzeinbußen sind auch die teilweise mit der Ukraine eng verwobenen Lieferketten zu berücksichtigen. Egal ob Vorprodukte in der Automobilindustrie oder Agrarerzeugnisse, die Lieferketten werden auch in absehbarer Zeit äußerst angespannt bleiben. Hinzu kommen die Zeitenwende in der Energiepolitik und die schrittweise Abkehr vom russischen Öl und Gas. Das alles lässt die Energiepreise auf absehbare Zeit nicht sinken.
Weitere Entwicklung der Corona-Pandemie
Die Corona-Pandemie ist global bei Weitem noch nicht vorbei. Der neuerliche, äußerst strikte Lockdown in Shanghai hat einmal mehr gezeigt, wie angespannt auch hier die Weltlage noch ist. Expatriates haben bereits angekündigt, China verlassen zu wollen, und vor dem Hafen in Shanghai stauten sich die Schiffe, da Anlanden verboten war. Hieraus ergeben sich zwei Handlungsstränge für mit China verbundene Unternehmen: Sie werden langfristig Wege überlegen müssen, um hochqualifiziertes Personal weiterhin für Auslandseinsätze in Staaten wie China gewinnen zu können, und zum anderen stellt sich auch hier die Frage nach der Belastbarkeit der eigenen Lieferketten und dem Maß an Abhängigkeit, das man bereit ist einzugehen.
Weitere geopolitische Risiken für 2022
- Weitere Auswirkungen des Brexit
- Umgang mit Klimakrise
- Verhältnis USA/China/EU
- Zunahme der Handelsbarrieren
- Staatlich gelenkte Cyber-Attacken
Bei all diesen geopolitischen Überlegungen nimmt das Risikomanagement für Unternehmen eine immer zentralere Rolle ein. In der Risikomanagementfunktion gilt es künftig, das Wissen zur Analyse und Vorbereitung strategischer Entscheidungen zu bündeln. Der Risikomanager der Zukunft wird immer stärker auch in eine Analystenrolle hineinwachsen und damit Entscheidungen des Top-Managements vorbereiten. Dies kann gelingen durch die Bündelung der ohnehin vorhanden Risikoinformationen zu operativen, Compliance- und ESG-Risiken sowie den gezielten Aufbau von Kompetenzen im Bereich der strategischen Analyse. Dann nämlich kann die Risikomanagementfunktion anhand externer Key-Risk-Indikatoren (wie z.B. Zins- und Währungsindizes) Risikofrüherkennung betreiben und dabei geopolitische Risiken in die Berücksichtigung mit einfließen lassen. Anhand von Szenarioanalysen können im Anschluss gezielt strategische Entscheidungen (z.B. Standortentscheidungen) unterstützt werden. Unter Einbezug geopolitischer Risiken kann dann, ganz im Sinne des IDW PS 340 n.F., auch eine Gesamtrisikoexposition des Unternehmens ermittelt und zu Steuerungszwecken verwendet werden.
Fazit
Die geopolitischen Risiken für Unternehmen haben in den letzten Monaten weiter zugenommen. Gerade für international agierende Unternehmen ist die politische Landkarte zunehmend komplexer geworden. Ein modernes, zukunftsgerichtetes Risikomanagementsystem kann jedoch wertvolle Unterstützungsleistungen im Rahmen der strategischen Entscheidungsfindung leisten. Die Entwicklung in der Praxis zeigt klar weg vom rein reaktiven, verwaltenden System hin zum proaktiven, in die Zukunft gerichteten Risikomanagement, das zunehmend weitere Risikobereiche des Unternehmens bündelt und in die Betrachtung der Gesamtrisikolage mit einbezieht (z.B. ESG-Risiken, strategische Risiken). Verstärkt wird diese Entwicklung durch die Diskussion um notwendige Anpassungen im Rahmen des IDW PS 340 n.F. Denn bestandsgefährdende Risiken resultieren eben meist nicht nur aus operativen, sondern auch aus strategischen Risiken und deren Fehleinschätzungen. Nicht nur bei börsennotierten Unternehmen wird für die Überwachungstätigkeit der Aufsichtsräte das Risikomanagement immer bedeutender. Die Prüfungsausschüsse sollten von ihrem durch das FISG gestärkten Recht zur Auskunftseinholung beim Leiter Risikomanagement Gebrauch machen und sich auch bei der Ausübung der Überwachungspflicht des Risikomanagementsystems professioneller (interner oder externer) Unterstützung bedienen, um dessen Angemessenheit und Wirksamkeit sicherstellen zu können.
¹ Vgl. Gleißner: Grundlagen des Risikomanagements, 3. Auflage, S. 125 ff.
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