Corporate Governance Inside
Die große Disruption
Krisenmanagement während des Russland-Ukraine-Krieges
Unternehmens-Task-Force als zentrales Element des Krisenmanagements zur Sicherung strategischer Optionen für das Ukraine-/Russland-Geschäft
Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen die Russische Föderation und andere Personen bzw. Institutionen schränken die geschäftsbezogene Handlungsfähigkeit internationaler Investoren in beiden Ländern immer stärker ein.
Der Aufbau einer zentralen, unternehmensweit agierenden und interdisziplinär besetzen Task Force, die unmittelbar an das Leitungsgremium des Unternehmens berichtet, hat sich bewährt. Einerseits kann so auf die Dynamik der Ereignisse vor Ort unmittelbar reagiert werden, andererseits können wesentliche notwendige unternehmerische Entscheidungen zentral vorbereitet und schnell zur Umsetzung gebracht werden. Mittel- bis langfristig kann die Task Force darüber hinaus die notwendige Orientierung beim Umgang und bei der Bewertung makroökonomischer und geopolitischer Risiken sowie der hieraus resultierenden Implikationen für das eigene Geschäftsmodell geben.
Kurzfristige Sofortmaßnahmen zum Schutz der Mitarbeitenden, Vermögenswerten und Infrastruktur sowie langfristig für die Entwicklung und Bewertung von Handlungsoptionen
Der Schutz der Mitarbeitenden, die Aufrechterhaltung der operativen Tätigkeiten und die Sicherung von Vermögenswerten sind zentrale Aufgaben des Krisenmanagements. Insbesondere in den ersten Wochen des Krieges standen geeignete Sofortmaßnahmen zum unmittelbaren Schutz bzw. Transfer von Mitarbeitenden aus bedrohten Landesteilen in der Ukraine im Fokus vieler Task Forces betroffener Unternehmen.
Mit zunehmender Dauer der Auseinandersetzungen bekommen Szenario- und Business-Continuity-Planungen zur Erhöhung der Unternehmensresilienz einen immer höheren Stellenwert. Das Management der Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb und geschäftskritische Drittparteien muss ebenso sichergestellt werden wie die Einhaltung relevanter internationaler Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Firmen und Personen in Russland.
Die aktuell besondere Dynamik aus westlichen Sanktionen und russischen Gegenmaßnahmen erfordert permanente Prüfungen der rechtlichen und regulatorischen Auswirkungen auf das eigene Geschäft und muss ebenso gesteuert werden wie das Management von Energierisiken und IT- oder Cyber-Risiken für die eigenen Unternehmensstandorte weltweit.
Unterstützend für all diese Maßnahmen ist eine wirkungsvolle Krisenkommunikation erforderlich. Sie dient dazu, die Unsicherheiten in dieser Krise zu verringern und das Vermögen sowie die Marke des Unternehmens wirkungsvoll zu schützen.
Der Schutz der Mitarbeitenden, die Aufrechterhaltung der operativen Tätigkeiten und die Sicherung von Vermögenswerten sind zentrale Aufgaben des Krisenmanagements.
Der Verlauf und die Dauer des Krieges, die Spirale aus verhängten Sanktionen und russischen Gegenmaßnahmen als auch volatile Marktreaktionen prägen die wirtschaftlichen Aussichten.
Zwei weitere Themenfelder für die Task Force
Orientierung beim Umgang mit geopolitischen Risiken und Unsicherheiten
Ein weiteres Thema, das über die Task Force gesteuert werden sollte, ist der Umgang mit den Unsicherheitsfaktoren und Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die deutsche Wirtschaft und weltweit.
Der Verlauf und die Dauer des Krieges, die Spirale aus verhängten Sanktionen und russischen Gegenmaßnahmen als auch volatile Marktreaktionen prägen die wirtschaftlichen Aussichten mit Auswirkungen u.a. auf Energie- und Rohstoffpreise, Materialverfügbarkeiten, Unternehmensinvestitionen oder die Verbrauchernachfrage. Ferner können in der Task Force auch mit externer Expertise und Ressourceneinsatz die Auswirkung auf die eigenen und globalen Wertschöpfungsketten als auch verschiedene Inflations- und Wirtschaftswachstumsszenarien in Deutschland, Europa und weltweit simuliert sowie unternehmerische Entscheidungen vorbereitet werden. Aktuell sieht es zunehmend weniger nach einer baldigen Lösung des Konflikts aus und Szenarien, die ein Anhalten des Krieges einschließen ohne absehbare diplomatische Lösungen und ggf. mit weiteren Sanktionen werden wahrscheinlicher – bis hin zu einem lang anhaltenden Kriegsszenario mit erheblichen globalen Auswirkungen. Langfristige Folgen des Krieges könnten die fünf bereits zu beobachtenden wirtschaftlichen Trends und Risiken verstärken:
- Stärkere Lokalisierung der Lieferketten – durch deutlich höhere politische Risiken geraten globale Handelsregeln unter Druck, es kommt zu einer stärkeren regionalen Ausrichtung mit regionalen Handelsabkommen oder auch nationalen Lieferketten.
- Tech-Nationalismus – durch Konzentration auf die inländische Entwicklung strategisch wichtiger Technologien und Steigerung der Unabhängigkeit von z.B. chinesischer Technik und Produktion.
- Wirtschaftspolitische Interventionen – durch z.B. eine stärkere Konzentration auf Industriepolitik und Verteidigung sowie zunehmend stärkeres staatliches Engagement in strategischen Bereichen wie z.B. Gesundheit, Technologie oder Energie.
- Risiko eines neuen Inflationsregimes mit dauerhaft höherer Inflation – durch anhaltende Herausforderungen in der Lieferkette mit Rohstoff-, Lebensmittel- und Halbleiterknappheit; weitere Faktoren sind höhere Energiepreise und angespannte Arbeitsmärkte durch den demografischen Wandel.
- Deglobalisierung/Entkopplung – durch das Risiko höherer globaler Handelsbarrieren und den sich verstärkenden Trend zum intraregionalen Handel (strategische Autonomie der EU), eine stärkere Regulierung internationaler Investitionen, unklare Auswirkungen auf den Dienstleistungshandel und ein insgesamt langsameres Wachstum des Welthandels.
Goldene 20er-Jahre oder Stagflation?
Unterbrochene Lieferketten, Inflationsentwicklung und die Wirkungen der steigenden Investitionen auf die Produktivität werden die Wirtschaft auch mittelfristig treiben. Sie sind die größten Risikofaktoren in einem ansonsten positiven Basisszenario mit dem erwähnten kräftigen Wachstum von knapp über 5 Prozent in Deutschland und 4,6 Prozent, die die OECD für die Eurozone im nächsten Jahr erwartet.
Schematisch lassen sich die mittelfristigen Entwicklungspfade der Wirtschaft entlang der Achsen Inflation und Wachstum festmachen. Hohe Inflation kann sich mit hohem Wachstum zu einer überhitzten Wirtschaft verbinden. Dies könnte passieren, wenn sich die Produktionsbeschränkungen sehr schnell lösen und die Nachfrage aufgrund der hohen Ersparnisse überschießt. Befürchtungen in diese Richtung gibt es für die Vereinigten Staaten, aktuell scheint das Szenario für Deutschland und Europa nicht übermäßig wahrscheinlich. Das Spiegelbild wäre niedrige Inflation und niedriges Wachstum, also Stagnation. Für dieses Szenario spricht aktuell ebenfalls nicht viel; höchstens eine schnelle und unerwartete Straffung der Geldpolitik.
Cyber Resilience: Stärkung der Response-Fähigkeiten für den Ernstfall
Die Cyber-Bedrohungslage ist durch die russische Invasion in der Ukraine und die durch die westliche Staatengemeinschaft verabschiedeten Sanktionen massiv angestiegen, darin sind sich alle Beobachter und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) einig. Unternehmen, staatliche Einrichtungen, Behörden und kritische Infrastruktur können Ziele verstärkter Cyber-Angriffe werden.
Die Task Force kann auch hier die entsprechenden Maßnahmen zum Schutz und zur Abwehr derartiger Angriffe wirksam zentral koordinieren und priorisieren, weil der Faktor Zeit eine besondere Rolle für die erfolgreiche Cyber-Abwehr spielt.
Für das Management von Cyber-Risiken schafft sie so neben Handlungssicherheit und Reaktionsfähigkeit im unmittelbaren Cyber-Vorfall Mehrwert und Transparenz über zu treffende Entscheidungen bei z B. folgenden Fragestellungen:
- Response-Fähigkeit – Welche Kompetenzen und Fähigkeiten werden wie schnell benötigt?
- Business Impact – Welche ökonomischen Auswirkungen hat ein Abschalten der IT/OT?
- Compliance – Welche Compliance-Auswirkungen können relevant sein?
- IT-Service-Continuity-Management – Ist sie vollumfänglich gewährleistet, wie steht es um vorhandene Notfallpläne und deren Wirksamkeit?
- Abschalten von IT/OT-Szenarien – Wie funktioniert eine sofortige Umstellung von digitalisierten auf manuelle Geschäftsabläufe?
- Cyber-Versicherung – Ermittlung der Deckungshöhe und wie ist mit einer möglichen Kriegsausschlussklausel umzugehen?

Beispiel – Einsatz der Task Force zur Sicherung strategischer Optionen für das Russland-Geschäft
Als Reaktion auf die Sanktionen des Westens initiiert Russland konstant eine Reihe von Gegenmaßnahmen, die den Kapitalverkehr für in Russland ansässige Unternehmen einschränken. Verschiedene staatliche Maßnahmen und Eskalationsstufen dienen dazu, aus russischer Sicht die Fortführung eines geregelten Wirtschaftsbetriebs und die Grundversorgung der Bevölkerung auf allen Ebenen weitestgehend sicherzustellen. Gleichzeitig wird seitens der russischen Administration ein Drohpotenzial bis hin zur „Enteignung“ aufgebaut für den Fall, dass die Geschäftstätigkeit in Russland eingestellt werden sollte.
Dividendenzahlungen an die jeweilige Muttergesellschaft oder liquiditätsstützende Maßnahmen durch diese werden auf längere Sicht aufgrund der gegenseitigen Sanktionsmaßnahmen nicht mehr über tradierte Zahlungssysteme möglich sein.
Mittels ihrer Task Force prüfen Unternehmen derzeit aktiv Alternativen, wie ggf. die russische Landesgesellschaften weiterhin betrieben und die lokalen Mitarbeitenden weiter beschäftigt werden können, um insbesondere deren Schutz und den Schutz der Vermögenswerte sicherzustellen.
Zentrale ausgewählte Fragen für die unternehmerische Entscheidungen in diesem Zusammenhang sind:
- Welche Risiken sind mit der Aufrechterhaltung der Geschäftstätigkeit in Russland verbunden – u.a. Sanktions-, Reputations-, Logistik-, Wechselkurs- und Zahlungsausfallrisiken?
- Wie können Mitarbeitende und das Firmenvermögen geschützt werden?
- Wie kann ggf. eine reduzierte Geschäftstätigkeit in Russland aussehen?
- Wie kann ein konkreter Rückzugsplan ausgestaltet werden?
- Welche Optionen existieren für lang laufende Verträge und garantierte Verfügbarkeiten?
- Wie können Risikobewertung der Geschäftsprozesse und Kontrollen angepasst werden, wenn Unternehmensstandards z.T. nicht mehr eingehalten werden können?
- Können Vermögenswerte und Vermögensgegenstände in ein EU-Land verbracht werden?
- Was ist eine angemessene Kommunikationsstrategie für die Mitarbeitenden in Russland und anderen Unternehmensstandorten als auch z.B. mit den russischen Behörden, eigenen Shareholdern und dem Kapitalmarkt?
Sollte am Ende der Bewertung und Einschätzung der spezifischen Risiken für die eigene Geschäftstätigkeit die unternehmerische Entscheidung stehen, sich aus dem russischen Markt zurückzuziehen, kann die Task Force den konkreten Rückzugsplan mit internen und externen Partnern erstellen und die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen bewerten.
Erstellung eines konkreten Rückzugplans und Bewertung der damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen
Für den konkreten Rückzugsplan empfehlen wir eine holistische Betrachtungsweise der Auswirkungen aus Sicht der Unternehmenszentrale, der lokalen Landesgesellschaften und der Standorte in Russland. Wesentliche Fragestellungen in diesem Zusammenhang für die Evaluierung und Umsetzung der strategischen Optionen für das Russland-Geschäft sind aus unserer Sicht unter anderem die folgenden:
Evaluierung und Umsetzung der strategischen Optionen
- Systematische Bewertung der Organisationsstrukturen, wesentlicher Geschäftsprozesse und Eigentums- bzw. Beteiligungsverhältnisse in der Russischen Föderation
- Szenarioplanung – Was ist die beste Option zum weiteren Vorgehen, Stand-by-Modus, Liquidation oder Management-Buy-out mit Buy-back-Optionen?
- Indikative Ermittlung der erwarteten finanziellen Auswirkungen der Anpassung des Geschäftsmodells, z.B. der Liquiditätsplanung, Remanenzkosten a) Bewertung der buchhalterischen Auswirkungen der Ausgliederung der russischen Unternehmensteile b) Auswirkung auf IT-Landschaft und Unternehmens-IP
- Explizite Berücksichtigung rechtlicher und vertragsrechtlicher Implikationen der Änderung bestehender Vertragsverhältnisse a) Erwägungen einschl. möglicher Auswirkungen auf Management und Mitarbeitende und erforderliche Zusammenarbeit mit russischen Behörden b) Haftungs-/Schadenersatzfragestellungen c) Staatliche Unterstützungsprogramme
- Auswirkungen auf die Reputation
- Kommunikationsstrategie für die interne und externe Kommunikation
Die aktuelle Russland-Ukraine-Krisensituation zeichnet sich durch zahlreiche Risiken, hohe Komplexität, Dynamik und Unsicherheit für die unternehmerische Entscheidungsfindung aus. Es gilt, das Weiterbestehen der Organisation durch gezielte Maßnahmen sicherzustellen, die Krisensituation zu managen und angemessen zu informieren. Die dargestellten Risiken und ausgewählten Einsatzfelder zeigen die Bedeutung einer richtig ausgestatteten und schlagkräftigen Unternehmens-Task-Force als zentrales Element des Krisenmanagements zum Schutz der Mitarbeitenden, Vermögenswerte und Unternehmensinfrastruktur. Wenn Sie weitere Informationen zu Deloittes multidisziplinärem Krisenmanagement-Ansatz oder zum Aufbau oder Ergänzung Ihrer eigenen Task Force wissen möchten, unterstützen Sie die Autoren sehr gerne.
Michael Müller Partner, Risk Advisory | Deloitte Deutschland
Björn Bienert Senior Manager, Risk Advisory | Deloitte Deutschland
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