Corporate Governance Inside
Die große Disruption
Mammutaufgabe Energiewende
Schon vor Ausbruch des Ukraine-Krieges hatte sich der Klimaschutz zum Top-Thema der Politik entwickelt.
Aktuell befinden sich unsere Volkswirtschaft und die Weltwirtschaft in einem unguten Szenario, welches gleich mehrere Krisen in sich vereint. Neben den Nachwirkungen der „gefühlt“ weitgehend überstandenen Corona-Pandemie, die immer noch die Lieferketten erheblich belastet, und der anhaltenden Klimakrise, die konsequentes und zielgerichtetes Handeln erfordert, hat der Angriff Russlands auf die Ukraine dazu geführt, dass viele lang geübte Handelswege vollständig überdacht werden müssen. Das stellt Unternehmen und ihre Aufsichtsorgane vor selten da gewesene Herausforderungen.
Aufsichtsräte müssen mit den Geschäftsführungen ihrer Unternehmen über die Folgen der energiepolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen sprechen und darüber, welche Maßnahmen in diesem Kontext zur Zukunftssicherung erforderlich sind.
Schon vor Ausbruch des Ukraine-Krieges hatte sich der Klimaschutz zum Top-Thema der Politik entwickelt. Dies wurde beispielsweise in der Neu-Benennung des Wirtschaftsministeriums sichtbar, welches nunmehr als Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bezeichnet wird. Die Bundesregierung will die ambitionierten Klimaschutzziele vor allem durch den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien erreichen. In Anbetracht des Krieges in der Ukraine und der Sanktionen gegen Russland sowie seine Verbündeten und der damit im Zusammenhang stehenden extremen Preisausschläge bei fossilen Energieträgern soll der Ausbau noch stärker beschleunigt werden als ohnehin geplant.
Anders als noch vor wenigen Jahren erhält die deutsche Politik dabei inzwischen erheblichen Rückenwind aus der Privatwirtschaft. Die deutschen Industrieunternehmen sind auch aufgrund der Anforderungen von Investoren und Kunden sowie der Sustainable-Finance-Taxonomie gewillt, ihre Geschäftstätigkeit auf die Erreichung der Klimaschutzziele auszurichten. Sichtbar wird die Motivation der deutschen Privatwirtschaft bspw. in der zunehmenden Verwendung von grünem Strom und einer mitunter bereits heute vorzufindenden Nachhaltigkeitsberichterstattung, welche deutlich über die gesetzlichen Anforderungen hinausgeht. Beide Beispiele unterstreichen die Bereitschaft der Privatwirtschaft, in den Klimaschutz zu investieren.
Die Bereitschaft der deutschen Unternehmen, Investitionen in den Klimaschutz vorzunehmen, findet bislang ihre Begrenzung darin, dass die politischen Maßnahmen zum Klimaschutz in Deutschland die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich nicht wesentlich einschränken sollten. Dies passiert jedoch aktuell durch Energiepreise und Preise für Emissionszertifikate, die in Deutschland schon vor Ausbruch des Ukraine-Krieges deutlich stärker gestiegen waren als im internationalen Mittel und zu den höchsten Kosten weltweit gehören. Unabhängig von den kurz- und mittelfristigen Auswirkungen dieses Konflikts haben sich Industrieunternehmen und Energieversorger nun mit den Auswirkungen und der Gestaltung der Energiewende auseinanderzusetzen. Auf die Frage in unserem Deloitte Frühjahrs-CFO-Survey „Welche der folgenden Faktoren stellen für Ihr Unternehmen in den nächsten zwölf Monaten ein hohes Risiko dar?“ hat sich im letzten Halbjahr eine deutliche Verschiebung ergeben. Geopolitische Risiken, dicht gefolgt von Energie- und Rohstoffkosten stehen im Fokus der Unternehmen aller Branchen.

Quelle: Deloitte CFO Survey Frühjahr 2022.
Betrachtet man die Herausforderungen der Energiewende in Deutschland, so waren die gesteckten Ziele bereits vor der Invasion in die Ukraine ambitioniert.
Im Folgenden wird vor allem auf die Auswirkungen der aktuellen Lage auf die Energiewende und die Erreichung der klimapolitischen Ziele der Bundesregierung eingegangen. Im Vordergrund steht dabei der Beitrag der Energieversorgungsunternehmen, die immer noch für einen erheblichen Anteil der Gesamtemissionen stehen. Zur Erreichung der Ziele des Bundes-Klimaschutzgesetzes für 2030 für Emissionsreduktionen muss sich das Tempo Letzterer in den kommenden Jahren zudem insgesamt mehr als verdoppeln und dann bis 2030 nahezu verdreifachen.
Betrachtet man die Herausforderungen der Energiewende in Deutschland, so waren die gesteckten Ziele bereits vor der russischen Invasion in die Ukraine ambitioniert. Insbesondere der für rund 30 Prozent der Emissionen verantwortliche Energiesektor befindet sich bereits in einem tiefen Wandel, der nun mit zusätzlichen ungeahnten Herausforderungen konfrontiert wird. Es gilt, die starke Abhängigkeit der Versorgung mit russischem Pipelinegas möglichst schnell zu reduzieren bzw. zu beseitigen und einen differenzierteren Mix aus Herkunftsländern für Gas zu erreichen. Zudem bleibt es aller Voraussicht nach bei dem bis 2030 geplanten beschleunigten Kohleausstieg.
Die Umstellung des Energiesektors ist damit ein wesentlicher Schlüsselfaktor für das Erreichen der Klimaziele. Der Ausbau und die Bereitstellung von Erneuerbare-Energie-Erzeugungsanlagen sowie der Ausbau der bestehenden Netze sind hierbei die Kernherausforderungen der Energieversorger, um eine langfristige Energieerzeugung, die wesentlich weniger von geopolitischen Einflüssen abhängig ist, zu erreichen. Die bereits laufende Umstellung der Energieversorgung wird nun durch die russische Invasion nochmals beschleunigt bzw. in ihrer Ausprägung verändert, da Gas als Alternative zur Kohleverstromung weniger attraktiv wird.
Der durch das Drohszenario Gaslieferstopp entstandene politische Druck wird dazu führen müssen, dass die komplizierten und langwierigen Genehmigungsverfahren von der Politik angegangen werden. Denn die Lage ist politisch instabil und kann sich vom einen auf den anderen Tag ändern. Unter Berücksichtigung der Investitionszyklen für Energieerzeugungsanlagen, Netze und zugehörige Genehmigungsverfahren sind acht Jahre bis 2030 nur ein relativ kurzer Zeitraum, um derart große und wichtige Ziele zu erreichen, selbst wenn die Verfahren erheblich beschleunigt werden.
Im Auge zu behalten ist neben der Klimaverträglichkeit auch, dass die Energiekosten für Industrie und Verbraucher bezahlbar bleiben müssen. In der Umstellungsphase bis 2030 ist jedoch wahrscheinlich mit nicht unerheblichen Mehrbelastungen zu rechnen, die mittelfristig auch Standortnachteile für Deutschland gegenüber anderen Nationen, insbesondere den USA, mit sich bringen können. Dennoch gibt es keine sinnvolle Alternative zum Aufbau einer klimaverträglichen, sozial gerechten und geopolitisch diversifizierten Energie- und Rohstoffversorgung. Hier ist die Politik gefordert zu helfen, den Übergang für Industrie und Verbraucher bezahlbar und verkraftbar zu gestalten. Aristoteles hat einmal gesagt: „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“ Und genau darum geht es in der aktuellen Krise. Viele Dinge können von den Unternehmen und Verbrauchern nicht bzw. kaum direkt beeinflusst werden. Aber der Kurs, auf dem sich die Industrie und die Verbraucher bewegen, den können sie beeinflussen und gestalten. Und somit ist der Kurs in diesem Sinne die Richtung, in die wir unsere Energiepolitik entwickeln. Und die Geschwindigkeit, mit der wir Beschlossenes umsetzen. Denn klar ist: Langfristig wirkt sich der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien als primäre heimische Energiequelle günstig auf die Strompreise aus und sichert so gegen steigende und volatile Gas- und Ölpreise auf dem Weltmarkt ab. Doch angesichts der immensen Investitionen, die in den nächsten Jahren in Erzeugungs- und Netzinfrastruktur zu stemmen sind, werden sich Industrie und Verbraucher mit dauerhaft hohen Preisen für Energie anfreunden müssen. Und so steckt in jeder Krise auch eine Chance, in welcher die Gewinner von morgen definiert werden. Wem es heute gelingt, die konkrete Bedrohung abzuwenden und die Weichen in eine zukunftsweisende Richtung zu stellen, der wird zu den Gewinnern der Zukunft gehören. Oder wie John F. Kennedy formulierte: „Einen Vorsprung im Leben hat, wer da anpackt, wo die anderen erst einmal reden.“ Wer bereit ist, sich auf neue Technologien einzulassen und die ausgetrampelten Pfade einer fossilen Energieerzeugung hinter sich zu lassen, wird wohl dafür belohnt werden. Dieser Weg ist sicher für manche Branchen steiler als für andere. Doch die große Herausforderung kann nur gemeistert werden, wenn diesbezüglich ein allgemeiner gesellschaftlicher Konsens besteht. Konsens darüber, dass Emissionsfreiheit erforderlich ist, dass Energie teurer wird, das Genehmigungsverfahren beschleunigt und vereinfacht werden, dass Unabhängigkeit von Drittstaaten in der Erzeugung von sauberer Energie notwendig ist. Dies alles dient letztlich nicht zuletzt auch der Wohlstandserhaltung.
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Im Auge zu behalten ist neben der Klimaverträglichkeit auch, dass die Energiekosten für Industrie und Verbraucher bezahlbar bleiben müssen.