Corporate Governance Inside
Digitale Transformation
Digitalisierungskompetenz im Aufsichtsrat
Interview mit Herrn Klaus Jaenecke
"Ich erwarte Bereitschaft, sich gezielt auf Sitzungen vorzubereiten."
Wir haben mit Klaus Jaenecke gesprochen, u.a. Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hansgrohe SE und der Ringmetall SE sowie Vorsitzender der Vereinigung ArMiD – Aufsichtsräte im Mittelstand in Deutschland e.V., Frankfurt, über seine Sicht auf die Digitalisierungskompetenz im Aufsichtsrat.
Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, dass Aufsichtsratsmitglieder über Digitalisierungskompetenzen verfügen?
Know-how, definiert als persönliches praktisches Wissen und Erfahrungen, ist essenziell im Gremium, um Überwachung und Beratung effizient auszuführen. Dieses Know-how besteht aus zwei Komponenten: einem soliden digitalen Grundwissen und der Bereitschaft, digitale Entwicklungen kontinuierlich zu verfolgen und zu verstehen. Beide Aspekte sind besonders wichtig für die konstruktiv-kritische Fähigkeit, die richtigen Fragen stellen zu können, insbesondere in meiner Welt von Unternehmen des gehobenen Mittelstands, die Umsatzgrößen zwischen 100 und 500 Millionen Euro aufweisen und nicht über die Ressourcen verfügen, die in DAX-Unternehmen üblich sind. In der heutigen Geschäftswelt gibt es kaum noch ein Unternehmensthema, das keinen Bezug zur digitalen Infrastruktur oder zu digitalen Aspekten innerhalb der Unternehmensstrategie aufweist.
Welche konkreten Fähigkeiten und Kenntnisse im Bereich der Digitalisierung sollten Aufsichtsratsmitglieder besitzen, um effektiv in ihrer Rolle agieren zu können?
Ich erwarte die Bereitschaft, sich gezielt auf Sitzungen vorzubereiten. Dies beinhaltet auch die Proaktivität, auf das Unternehmen oder gegebenenfalls auf externe Partner zuzugehen, um notwendige Informationen zu erhalten. Aufsichtsratsmitglieder sollten die Pflicht zur Informationserhebung ernst nehmen. Wichtige Themen tauchen in der Regel nicht plötzlich auf, daher ist eine gründliche Vorbereitung nicht nur unerlässlich, sondern auch möglich. Zum Beispiel im Bereich der Cybersicherheit. Es ist inzwischen Gemeinwissen, dass es nicht um das Ob, sondern nur um das Wann einer Attacke geht. Es ist sehr hilfreich, wenn eine Person mit besonderen Kenntnissen und Erfahrungen im Bereich der Digitalisierung eine Lead-Funktion innerhalb des Aufsichtsrats übernimmt, um das Know-how des gesamten Gremiums in diesem Bereich zu stärken.
Wie können Aufsichtsratsmitglieder ihre Digitalisierungskompetenzen stärken, insbesondere wenn sie wenig Erfahrung in diesem Bereich haben?
Aufsichtsratsmitglieder können ihre Kompetenzen im Bereich der Digitalisierung auf pragmatische Weisen stärken. Zunächst ist es wichtig, den Stellenwert einer effektiven digitalen Infrastruktur für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu akzeptieren. Darüber hinaus sollten sie erkennen, dass digitale Prozesse in der Zukunft zu einer weiteren Leistungsfähigkeit des Unternehmens beitragen können. Es ist auch entscheidend, künstliche Intelligenz (KI) als eine Art „Copilot“ zu akzeptieren, der dabei helfen kann, Entscheidungen zu treffen und Prozesse zu optimieren. Ein Gedankenspiel im Rahmen eines Strategieworkshops könnte hilfreich sein, um das Bewusstsein für die Bedeutung der Digitalisierung zu schärfen: Was wäre, wenn eine Disruption im Aufsichtsrat stattfinden würde und natürliche Mitglieder durch Algorithmen oder KI ersetzt werden könnten? Solche Überlegungen können die Augen für die Potenziale und Notwendigkeiten der Digitalisierung öffnen.
Welche Verantwortung trägt der Aufsichtsrat bei der Förderung der Digitalisierungskompetenz in der gesamten Organisation?
Der Aufsichtsrat trägt m.E. nur die Verantwortung für die strategische Diskussion in Bezug auf die Förderung der Digitalisierungskompetenz. Zwar liegt die direkte Entwicklung dieser Fähigkeiten innerhalb der Organisation beim Geschäftsführer oder Vorstand, doch der Aufsichtsrat sollte idealerweise als wichtiger Ansprechpartner und Inspirator in diesem Prozess fungieren.
Wie sollte der Aufsichtsrat die digitale Transformation strategisch begleiten und welche Schritte sollten unternommen werden, um den Wandel erfolgreich umzusetzen?
1. Es ist wichtig, die Bereiche zu identifizieren, in denen die digitale Transformation den größten Effekt haben kann, und diese deutlich zu priorisieren.
2. Der Aufsichtsrat sollte sicherstellen, dass die digitalen Entwicklungsprozesse präzise aufgesetzt sind und deren Umsetzung kontinuierlich verfolgt wird; z.B. als halbjährlicher TOP der AR-Sitzung.
3. Die Organisation von Strategietagen und die Einbeziehung externer Impulse mit den Projektverantwortlichen, um auch den hohen Stellenwert zu betonen.
4. Direktes Angehen von Widerständen: Der Aufsichtsrat sollte proaktiv auf Aussagen wie „Geht nicht, können wir nicht“ reagieren und Lösungen einfordern, um solche Hürden zu überwinden.
Wie hat sich die Rolle des Aufsichtsrats im Zuge der digitalen Transformation verändert und welche Chancen haben sich daraus ergeben?
Die Rolle hat sich grundsätzlich nicht verändert, aber die Veränderungsgeschwindigkeit des geschäftlichen Umfelds hat deutlich zugenommen. Das stellt hohe Anforderungen an das Zeitkontigent für die Gremientätigkeit. Wichtig sind positive Neugier und keine Angst vor dem Neuen … Wer ChatGPT noch nicht getestet hat, ist zunehmend im Nachteil.
Welche spezifischen Herausforderungen stellt die Digitalisierung an den Aufsichtsrat und wie gehen Sie damit um?
Das geht besonders an die Vorsitzenden: Knowledge-Gaps (das Sitzen-bleiben auf veralteten Erfahrungen) im Gremium aggressiv bekämpfen und beseitigen!
Welche Möglichkeiten bieten digitale Technologien dem Aufsichtsrat, um seine Effektivität und Effizienz zu steigern?
Dazu gehört seit geraumer Zeit die Nutzung digitaler Plattformen für eine verbesserte Informationsversorgung und Kommunikation zwischen Unternehmen/Vorstand und AR. Darüber hinaus ermöglicht kollaboratives Arbeiten der Räte, zum Beispiel durch die gemeinsame Bearbeitung und Kommentierung von Briefing-Memos vor Sitzungen in Tools wie Confluence, eine effektivere Vorbereitung und Fokussierung auf Sitzungsthemen. Schließlich können generative Sprachmodelle genutzt werden, um eigene Recherchen zu beschleunigen, Beiträge zu verfassen und Analysen durchzuführen.
Inwieweit kann durch die Einführung neuer KI wie ChatGPT die Arbeitsweise im Aufsichtsrat verändert werden? Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich?
ChatGPT und ähnlich Bots werden die Arbeitsweise im Aufsichtsrat erheblich verändern. Sie erfordern ein differenzierteres Denken auf höherem intellektuellem Niveau und eine sorgfältige Abwägung von Chancen und Risiken, etwa in Bezug auf den Datenschutz. Zudem ist die Fähigkeit erforderlich, Themen rund um Algorithmen bewerten zu können, um deren Analysen und Empfehlungen beurteilen zu können. Während die Aktualität und die Möglichkeit, in Zukunft spezialisierte Chatbots, zum Beispiel für ESG-Analysen, einzusetzen, als Chancen gesehen werden können, muss dies dennoch kritisch beurteilt werden, um potenzielle Risiken zu identifizieren und zu managen.
Klaus Jaenecke u.a. Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hansgrohe SE und der Ringmetall SE sowie Vorsitzender der Vereinigung ArMiD – Aufsichtsräte im Mittelstand in Deutschland e.V.
Hier können Sie das gesamte Magazin als PDF herunterladen:
"ChatGPT und ähnliche Bots werden die Arbeitsweisen im Aufsichtsrat erheblich verändern."