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Überblick zu den neuen Standards zur Berichterstattung über Nachhaltigkeit in der EU
Mit der am 5. Januar 2023 in Kraft getretenen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) wird die Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte in der Europäischen Union (EU) grundlegend neu geordnet. Die neuen Anforderungen sind schrittweise ab dem Geschäftsjahr 2024 anzuwenden und schreiben die Berücksichtigung der neu entwickelten European Sustainability Reporting Standards (ESRS), die ein erstmals harmonisiertes Rahmenwerk zur Nachhaltigkeitsberichterstattung in der EU darstellen, vor. Die ESRS decken – im Einklang mit den Vorgaben der CSRD – ein breites Spektrum an ESG-Themenbereichen ab und umfassen zwei übergreifende Standards, fünf zu Umweltthemen, vier zu sozialen Themen und einen zu Governance-Themen. Für die Zukunft sind darüber hinaus u.a. auch sektorspezifische Standards vorgesehen.
Hintergrund
Weltweit und insbesondere in der Europäischen Union (EU) haben sich in den letzten Jahren etliche Initiativen formiert, um die Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte zu reformieren. In der EU wird insbesondere die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die am 5. Januar 2023 in Kraft getreten ist und den künftigen Rahmen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung in der EU bildet, die Berichtspflichten sowie den Kreis der betroffenen Unternehmen signifikant ausweiten. So müssen künftig grundsätzlich alle großen Unternehmen (unabhängig von einer Kapitalmarktorientierung), kapitalmarktorientierte kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) sowie bestimmte außerhalb der EU niedergelassene Unternehmen (sog. Drittstaatenunternehmen) über Nachhaltigkeitsaspekte berichten (siehe den vorherigen Beitrag für weitere Informationen u.a. zum Anwendungsbereich und zu den gestaffelten Erstanwendungszeitpunkten der CSRD).1
Die Verabschiedung der CSRD und die Entwicklung der European Sustainability Reporting Standards (ESRS), die die Vorgaben der CSRD inhaltlich konkretisieren sollen, stellen eine Zäsur in der Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte dar. Erstmals wird es in der EU ein harmonisiertes Rahmenwerk für die Nachhaltigkeitsberichterstattung geben – vergleichbar mit der „klassischen“ Finanzberichterstattung. Dieser Beitrag beleuchtet den Governance-Rahmen der ESRS sowie deren inhaltliche Anforderungen und gibt einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen.
EFRAG entwickelt ESRS-Entwürfe für die Europäische Kommission
Die CSRD steckt den inhaltlichen Rahmen für die Berichtsinhalte ab, die Unternehmen künftig in ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung offenlegen müssen. Zur Konkretisierung der Berichtsinhalte beinhaltet die CSRD einen Auftrag an die EFRAG, die ESRS inhaltlich zu entwickeln. Die endgültige Hoheit über die Ausgestaltung der ESRS – im Einklang mit den Vorgaben der CSRD – obliegt gleichwohl dem Legislativverfahren in der EU bzw. der Europäischen Kommission, die die ESRS im Wege delegierter Rechtsakte verabschieden wird.
Bislang war es primäre Aufgabe der EFRAG, die durch das International Accounting Standards Board (IASB) entwickelten International Financial Reporting Standards (IFRS) zu würdigen und der Europäischen Kommission fachliche Empfehlungen für eine Übernahme der IFRS in EU-Recht (sog. Endorsement) zu übermitteln. Um die institutionellen Grundlagen für die Entwicklung der ESRS zu legen, wurde Anfang 2022 die Governance-Struktur der EFRAG geändert und erweitert. Unter dem Schirm des neu gegründeten EFRAG Administrative Board und der EFRAG General Assembly gibt es nun das neue EFRAG Sustainability Reporting Board (SRB), das inhaltlich durch die EFRAG Sustainability Reporting Technical Expert Group (SR TEG) unterstützt wird. Der SR TEG kommt die Rolle eines fachlichen Beraters des SRB zu, der auch für die inhaltliche Ausarbeitung der ESRS-Entwürfe verantwortlich ist. Das SRB trägt die endgültige Verantwortung für den Inhalt der ESRS-Entwürfe, bevor diese an die Europäische Kommission als „technical advice“ übergeben werden. Die ersten zwölf Standardentwürfe zu den ESRS (das sog. „Set 1“) wurden – auf Basis der im April 2022 veröffentlichten Exposure Drafts – der Europäischen Kommission am 22. November 2022 zugeleitet.2 Darauf aufbauend veröffentlichte diese am 9. Juni 2023 den Entwurf eines delegierten Rechtsakts zu „Set 1“ der ESRS. In diesem Zusammenhang wurde auch eine vierwöchige öffentliche Konsultation angestoßen. Nach Abschluss des Legislativverfahrens in der EU werden die endgültigen ESRS als delegierter Rechtsakt im offiziellen Amtsblatt der EU veröffentlicht werden, wodurch diese in Kraft treten. Für das „Set 1“ der ESRS wird dies nach aktuellem Stand noch in diesem Jahr erwartet.
Die ESRS konkretisieren den Inhalt der CSRD-Berichterstattung
Inhaltlich konkretisiert die CSRD die bestehenden Informationsanforderungen und weitet die berichtspflichtigen Inhalte im Vergleich zu den aktuell noch geltenden Regelungen der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) deutlich aus. Mit den ESRS wird es in der EU nun erstmals ein einheitliches und verbindlich anzuwendendes Rahmenwerk zur Berichterstattung über Nachhaltigkeitsinformationen geben, das inhaltlich das gesamte ESG-Spektrum (Environmental, Social, Governance) abdeckt. Hinsichtlich ihrer inhaltlichen Struktur orientieren sich die ESRS an den Empfehlungen der Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) mit den Berichtselementen „Governance“, „Strategie“, „Risikomanagement“ sowie „Kennzahlen und Zielgrößen“. Die ESRS lassen sich in drei Kategorien einteilen:
- Übergreifende Standards decken allgemeine Konzepte und Grundsätze ab und enthalten übergreifende Angabepflichten.
- Thematische Standards decken jeweils ein bestimmtes und konkret umrissenes Nachhaltigkeitsthema ab und enthalten Angabepflichten in Bezug auf nachhaltigkeitsbezogene Impacts, Risiken und Chancen.
- Branchenspezifische Standards decken Berichtsinhalte ab, die für bestimmte Branchen einschlägig sind.
Die zwölf ESRS-Entwürfe umfassen zwei übergreifende Standards, fünf zu Umwelt-, vier zu sozialen und einen zu Governance-Themen (s. Abb. 1).
Abb. 1 – „Set 1“ der ESRS

Anknüpfend an die Vorgaben der CSRD sehen die ESRS eine Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte auf der Grundlage des Prinzips der „doppelten Wesentlichkeit“ vor. Dieses umfasst die sog. Impact- sowie die finanzielle Wesentlichkeit. Ein Nachhaltigkeitsaspekt erfüllt die Kriterien der doppelten Wesentlichkeit, wenn er entweder aus Perspektive der Impacts, aus finanzieller Perspektive oder aus beiden wesentlich ist. Dabei ist grundsätzlich die Sicht der Stakeholder eines Unternehmens einzunehmen. Ein Nachhaltigkeitsaspekt ist unter dem Gesichtspunkt der Impacts wesentlich, wenn er sich auf tatsächliche oder potenzielle wesentliche Impacts des Unternehmens auf Umwelt oder Gesellschaft bezieht, bzw. aus finanzieller Sicht wesentlich, wenn er wesentliche finanzielle Auswirkungen auf das berichtende Unternehmen auslöst oder auslösen kann.
Die ESRS sehen zum Teil sehr umfangreiche Angabepflichten vor. Insgesamt umfassen die an die EFRAG übermittelten ESRS-Entwürfe über 1.000 zu berichtende Datenpunkte – verteilt auf 82 Angabepflichten. Über welche der Angabepflichten bzw. Datenpunkte konkret berichtet werden muss, hängt allerdings grundsätzlich vom Ergebnis der durchzuführenden Wesentlichkeitsanalyse ab. Neben Angaben etwa zu Transitionsplänen zur Eindämmung des Klimawandels sind auch wesentliche Impacts, Risiken und Chancen sowie Wechselwirkungen mit Strategie und Geschäftsmodell(en) zu berichten. Zudem sind ggf. bestimmte Kennzahlen und entsprechende Zielgrößen offenzulegen. Im Zusammenhang mit ESRS E1 umfasst dies beispielsweise Angaben zu den ausgestoßenen Treibhausgasen (Scope-1-, -2- und -3-Emissionen), nach ESRS E3 wäre etwa über den Wasserverbrauch zu berichten. ESRS S1 fordert beispielsweise zahlreiche Kennzahlen zur Zusammensetzung und Vergütung der eigenen Belegschaft, z.B. im Hinblick auf Diversität.
Zwar beziehen sich viele der themenspezifischen Kennzahlen zumeist auf den eigenen Betrieb des berichtenden Unternehmens, gleichwohl ist grundsätzlich auch die vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette in die Berichterstattung über Impacts, Risiken und Chancen einzubeziehen – stets unter Maßgabe des Prinzips der doppelten Wesentlichkeit. Bestimmte Erleichterungen für die erstmalige Anwendung, z.B. im Sinne von Übergangsvorschriften, sind vorgesehen. So beinhalten die ESRS-Entwürfe der Europäischen Kommission etwa insbesondere Übergangsvorschriften für Unternehmen mit weniger als 750 Beschäftigten, wonach bestimmte Berichtspflichten im ersten (Scope-3-Emissionen nach ESRS E1 und alle Angabepflichten des ESRS S1) bzw. in den ersten beiden Jahren der Berichterstattung (alle Angabepflichten der ESRS E4 und ESRS S2–S4) ausgelassen werden können.
Künftiger Arbeitsplan: Entwicklung weiterer ESRS
Neben der Entwicklung der ersten zwölf übergreifenden und themenspezifischen ESRS als „Set 1“ sieht die CSRD weitere Arbeitspakete für die EFRAG vor. Für die künftigen Berichterstattungspflichten der im Anwendungsbereich befindlichen kapitalmarktorientierten KMU ist die Entwicklung von spezifischen Listed-KMU-ESRS vorgesehen. Für nicht-kapitalmarktorientierte KMU sollen freiwillig anzuwendende Leitlinien erarbeitet werden. Bei der Klassifizierung der Unternehmen gelten die Größenkriterien der Bilanzrichtlinie – überschreitet ein Unternehmen mindestens zwei der folgenden drei Schwellenwerte:
a) Bilanzsumme = EUR 20 Mio.
b) Nettoumsatzerlöse = EUR 40 Mio.
c) durchschnittliche Zahl der während des Geschäftsjahres Beschäftigten = 250
So ist es demnach als groß einzustufen und hat die ESRS vollumfänglich anzuwenden. Angesichts der Größenkriterien dürfte klar sein, dass ein beachtlicher Teil der hinlänglich dem „Mittelstand“ zuzurechnenden Unternehmen in Deutschland hiervon betroffen sein wird – da es sich in vielen Fällen um große Unternehmen handeln dürfte.
Eine Veröffentlichung von ersten Entwürfen für branchenspezifische ESRS war ursprünglich für April bzw. Mai 2023 avisiert. Demnach sind spezifische ESRS für rund 40 verschiedene Branchen vorgesehen. Die Arbeiten hieran wurden jedoch zunächst ausgesetzt, nachdem EU-Kommissarin Mairead McGuinness (DG FISMA) verlauten ließ, die EFRAG solle verfügbare Ressourcen zunächst für die Finalisierung von „Set 1“ und für die Entwicklung entsprechender Implementierungsleitlinien verwenden.3 Eine Veröffentlichung der ersten branchenspezifischen ESRS-Entwürfe wird frühestens Ende des Jahres 2023 erwartet. Eine Veröffentlichung der Implementierungsleitlinien zu „Set 1“, die insbesondere Anwendungshinweise für die Wesentlichkeitsanalyse sowie für die Berücksichtigung der Wertschöpfungskette beinhalten sollen, wird ebenfalls noch in diesem Jahr erwartet. Auch für die Berichterstattung von Drittstaatenunternehmen außerhalb der EU sollen spezifische Drittstaaten-ESRS entwickelt werden. Ein Zeitplan für die Veröffentlichung dieser Entwürfe steht allerdings noch nicht fest.
Gleichwohl sollen gemäß den Vorgaben der CSRD die Listed-KMU-ESRS, die branchenspezifischen ESRS sowie die Drittstaaten-ESRS bis zum 30. Juni 2024 von der Europäischen Kommission als delegierte Rechtsakte erlassen werden. Es ist durchaus möglich, dass dieser Zeitplan nicht einzuhalten sein wird. Die CSRD sieht ferner vor, dass die ESRS künftig in einem Dreijahresturnus überprüft und ggf. angepasst werden sollen.

Interoperabilität mit anderen Initiativen der Nachhaltigkeitsberichterstattung
Bei der Entwicklung von Standards für die Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte ist ein zeitlicher Gleichlauf verschiedener Initiativen festzustellen. Neben den umfangreichen Vorhaben der EU sind hier vor allem die Aktivitäten des global agierenden International Sustainability Standards Board (ISSB) zu nennen. Dieses verfolgt mit der Veröffentlichung seiner Standardentwürfe (IFRS S1 zu allgemeinen Anforderungen und IFRS S2 zu Klimaaspekten – die endgültigen Standards wurden Ende Juni 2023 erwartet) das Ziel, international akzeptierte und weltweit genutzte umfassende „Mindeststandards“ im Sinne eines globalen Grundkanons für die Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte zu entwickeln. Eine solche globale Basis erscheint aus Sicht von Adressaten und Erstellern wünschenswert, da global agierende Unternehmen und Investoren sowie sonstige Stakeholder an materiell unterschiedlichen Berichtsstandards wenig Interesse haben dürften. Um allerdings eine Interoperabilität verschiedener Rahmenwerke zu erreichen, müssen diese kompatibel und konsistent sein. Zwar sollen laut CSRD in den ESRS die Arbeiten globaler Standardsetter – das ISSB wird in diesem Zusammenhang explizit genannt – berücksichtigt werden und ein Austausch zur Angleichung bestimmter Anforderungen fand und findet zwischen den Standardsettern durchaus statt. Inwieweit die endgültigen ESRS mit den endgültigen IFRS SDS dann jedoch tatsächlich kompatibel sein werden, bleibt abzuwarten.
Fazit
Die kommenden Monate und Jahre werden – neben der zuvor beschriebenen Entwicklung weiterer Standards und Leitlinien – geprägt sein durch die Beschäftigung mit etlichen zu lösenden, komplexen Fragestellungen, die sich aus der praktischen Erst- und Folgeanwendung der ESRS ergeben werden. Auch trotz – oder gerade wegen – der nach wie vor bestehenden Unsicherheiten im Hinblick auf die konkreten Inhalte der endgültigen ESRS ist den im Anwendungsbereich befindlichen Unternehmen anzuraten, sich möglichst frühzeitig mit den voraussichtlich erforderlichen Angabepflichten zu beschäftigen. Dies ermöglicht eine verlässliche Erhebung der insbesondere für die quantitativen Angaben erforderlichen Daten und die damit verbundene Einrichtung notwendiger Prozesse und Kontrollen, sodass bereits ab dem Zeitpunkt der Erstanwendung eine zuverlässige und grundsätzlich prüfungssichere Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte erfolgen kann.
1 Im Anwendungsbereich befinden sich auch bestimmte kleine, mittelgroße und große Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen. Die Berichterstattungspflichten erstrecken sich grundsätzlich auf die Ebene des Einzelunternehmens sowie auf die konsolidierte Berichterstattung des (Teil-)Konzerns, wobei bestimmte Befreiungsmöglichkeiten zugelassen sind. Kleinstunternehmen sind hingegen vom Anwendungsbereich ausgenommen.
2 Siehe für weitere Informationen zu den ESRS-Entwürfen Berger/Kiy/Worret, WPg 2023, S. 282–293.
3 Vgl. Pressemitteilung von EFRAG, https://www.efrag.org/News/Public-416/European-Commission-calls-on-EFRAG-to-prioritise-implementation-support-for-the-first-Set-of-ESRS, abgerufen am 14.06.2023.
Jens Berger Partner & Leiter des IFRS and Corporate Reporting Centre of Excellence | Deloitte Deutschland
Dr. Daniel Worret Senior Manager | IFRS and Corporate Reporting Centre of Excellence | Deloitte Deutschland
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