Corporate Governance Inside
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DCGK 2022: Kodexreform mit Fokus Nachhaltigkeit und Finanzmarktintegrität
Mit dem neuen Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK 2022) adressiert die Regierungskommission das Thema Nachhaltigkeit und betont die Stärkung der Finanzmarktintegrität. Für beide Themenbereiche enthält der neue DCGK wertvolle Empfehlungen für die Unternehmens- und Aufsichtsratspraxis.
Im Bundesanzeiger wurde am 27. Juni 2022 der aktualisierte Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK 2022) in seiner neuen Fassung vom 28. April 2022 vom Bundesjustizministerium bekannt gemacht (https://dcgk.de//files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/220627_Deutscher_Corporate_Governance_Kodex_2022.pdf). Der DCGK 2022 richtet sich an den Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften sowie an Gesellschaften mit Kapitalmarktzugang i.S.v. § 161 Abs. 1 Satz 2 AktG. Er enthält Grundsätze, Empfehlungen und Anregungen zur Leitung und Überwachung dieser Gesellschaften, die dazu beitragen sollen, dass diese im Unternehmensinteresse geführt werden. Der Kodex besitzt über die Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG eine gesetzliche Grundlage. Nach § 161 Abs. 1 Satz 1 AktG haben der Vorstand und der Aufsichtsrat dieser Gesellschaften jährlich in einer sog. Entsprechenserklärung darzustellen, dass den Empfehlungen des DCGK entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht. Der DCGK 2022 bildet die Grundlage für die Abgabe von Entsprechenserklärungen nach dem 27. Juni 2022. Eckpunkte der Kodexrevision DCGK 2022 sind die stärkere Fokussierung des Themas Nachhaltigkeit sowie notwendige Anpassungen aufgrund des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) und des zweiten Führungspositionen-Gesetzes (FüPoG II) zur Vorstandsbesetzung.
Fokus ökologische und soziale Nachhaltigkeit
Die Notwendigkeit zur expliziten Berücksichtigung der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit in der Kodexreform 2022 resultiert aus den Prioritäten des „European Green Deal“ sowie der Erkenntnis, dass aus Anlegersicht Nachhaltigkeitsrisiken letztlich Investitionsrisiken sind. Das Thema soziale und ökologische Nachhaltigkeit wird im neuen DCGK 2022 ganzheitlich adressiert. Unternehmensstrategie und -planung (A.1) sowie Internes Kontrollsystem (IKS) und Risikomanagementsystem (RMS) sollen nun auch explizit nachhaltigkeitsbezogene Ziele und Daten abdecken (A.3) und das Kompetenzprofil des Aufsichtsrates soll nun ausdrücklich die Nachhaltigkeitsexpertise umfassen (C.1). Das Thema wird damit richtigerweise als integraler Bestandteil der Unternehmensführung und -überwachung verstanden. Zu begrüßen ist die klare Anforderung an die Offenlegung der Umsetzung des Kompetenzprofils der Aufsichtsräte in Form einer Qualifikationsmatrix (C.1 Satz 4), um den Aktionären und weiteren Stakeholdern die Beurteilung deren fachlicher Kompetenz zu erleichtern.
Naheliegende vergleichbare Akzentuierungen für den Vorstand hat der Kodex nicht aufgenommen. Keine Ergänzungen finden sich zu den auch auf Vorstandsebene notwendigen Nachhaltigkeitskompetenzen. Wünschenswert wäre gewesen, dass der Kodex zur in der Praxis anspruchsvollen Verknüpfung von Nachhaltigkeitsstrategie und Vorstandsvergütung Empfehlungen oder Hinweise gibt.
Fokus Finanzmarktintegrität
Aktuelle Ereignisse haben verdeutlicht, dass für die Integrität der Finanzmärkte die Ordnungsmäßigkeit der Finanzberichterstattung, die Wirksamkeit interner Kontrollsysteme zur Finanzberichterstattung, die Sorgfalt bei der Abschlussprüfung und uneingeschränkte Testate des Abschlussprüfers wesentliche Bausteine sind. Die mit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) verdeutlichten Pflichten zur Einrichtung eines angemessenen und wirksamen IKS und RMS sowie die neuen Anforderungen zur Einrichtung und Besetzung von Prüfungsausschüssen sowie zur Überwachung der Qualität der Abschlussprüfung machten die Anpassungen der betreffenden Grundsätze und Empfehlungen des DCGK notwendig. Festzuhalten sind über den Wortlaut des Gesetzes hinausgehende Akzentuierungen, die einer „good corporate governance“ entsprechen. Angemessenheit und Wirksamkeit des IKS und des RMS setzen deren interne Überwachung voraus (Grundsatz 4) und die internen Systeme sollen auch nachhaltigkeitsbezogene Ziele und Daten abdecken (A.3). Nach der neuen Empfehlung A.5 sollen im Lagebericht die wesentlichen Merkmale des gesamten internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems beschrieben werden und zur Angemessenheit und Wirksamkeit dieser Systeme soll Stellung genommen werden. Ergänzt wurde Grundsatz 5 durch die Klarstellung, dass IKS und RMS auch ein an der Risikolage des Unternehmens ausgerichtetes Compliance-Management-System umfassen. Im Kodexentwurf vom 21. Januar 2022 war Grundsatz 5 zur Vorstandsverantwortung für Compliance gestrichen worden, aber wohl aufgrund des Feedbacks im Konsultationsverfahren wieder aufgenommen und erweitert. In der Unternehmenspraxis ist Compliance unverändert wichtig!
Vor dem Hintergrund der durch das FISG verschärften Anforderungen an den Sachverstand von Prüfungsausschussmitgliedern ist das Streben nach Transparenz positiv zu vermerken, wozu nach der Empfehlung D.3 entsprechend nun in der Erklärung zur Unternehmensführung die Namen der Mitglieder mit besonderem Sachverstand und deren Kompetenzen anzugeben sind. Zu bedauern ist, dass das Aufgabenprofil des Prüfungsausschusses, das bisher im DCGK 2018 als Empfehlung D.3 enthalten war, im finalen DCGK 2022 ersatzlos gestrichen wurde – da für börsennotierte Unternehmen die inhaltliche Ausfüllung der Aufgaben des Prüfungsausschusses zweifelsohne ein wesentlicher Bestandteil verantwortungsvoller Unternehmensüberwachung bildet und damit einen eigenen Grundsatz verdient hätte.
Zu begrüßen ist die Aufnahme der bisher ungeschriebenen Best Practice zur Art und Weise der Zusammenarbeit des Prüfungsausschusses mit dem Abschlussprüfer als neue Anregung D.10. Demnach soll der Prüfungsausschuss mit dem Abschlussprüfer die Einschätzung des Prüfungsrisikos, Prüfungsstrategie und Prüfungsplanung sowie die Prüfungsergebnisse diskutieren. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses soll sich regelmäßig mit dem Abschlussprüfer über den Fortgang der Prüfung austauschen und dem Ausschuss hierüber berichten. Der Prüfungsausschuss soll regelmäßig mit dem Abschlussprüfer auch ohne den Vorstand beraten. Die Empfehlung D.10 leistet zukünftig einen wertvollen Beitrag zur Intensivierung der Zusammenarbeit von Prüfungsausschuss und Abschlussprüfer, um die Effektivität der Überwachung der Qualität der Rechnungslegung zu gewährleisten.
Praxisthema der Angabepflichten nach DCGK 2022.A5 zu IKS und RMS
Die Angabepflicht nach DCGK 2022.A5 stellt nun eine Herausforderung in der Unternehmenspraxis dar. So umfasst diese Empfehlung zur Lageberichterstattung das gesamte interne Kontrollsystem und Risikomanagementsystem einschl. des Compliance-Management-Systems. Erstere sollen, soweit nicht bereits gesetzlich geboten, auch nachhaltigkeitsbezogene Ziele mit abdecken. Die handelsrechtlichen Vorgaben zur Lageberichterstattung beschränken sich auf das interne Kontroll- und das Risikomanagementsystem im Hinblick auf den Rechnungslegungsprozess (vgl. § 289 Abs. 4, § 315 Abs. 4 HGB). Damit geht die Empfehlung A.5 des DCGK 2022 an die Lageberichterstattung erheblich über die handelsrechtlichen Vorgaben hinaus.
Soweit die Angaben gemäß dieser Empfehlung über die gesetzlichen Vorgaben und deren Konkretisierung durch DRS 20 hinausgehen, stellen sie sog. lageberichtsfremde Angaben i.S.d. IDW PS 350 dar. Der Abschlussprüfer kann sich entscheiden, diese lageberichtsfremden Angaben inhaltlich zu prüfen. Andernfalls sind sie von den gesetzlichen Vertretern im Lagebericht eindeutig als ungeprüft abzugrenzen oder vom Abschlussprüfer im Bestätigungsvermerk als nicht inhaltlich geprüfte Angaben zu benennen; im Prüfungsurteil zum Lagebericht ist darzustellen, dass sich dieses Prüfungsurteil nicht auf deren Inhalt erstreckt. Angaben gemäß Empfehlung A.5 des DCGK 2022, die vom Abschlussprüfer nicht inhaltlich geprüft werden, stellen sog. sonstige Informationen i.S.d. ISA [DE] 720 dar. Der Abschlussprüfer ist daher verpflichtet, diese entsprechend ISA [DE] 720 zu lesen und zu würdigen. Stellt der Abschlussprüfer dabei fest, dass die Angaben nach Empfehlung A.5 wesentliche falsche Darstellungen enthalten (bspw. in Bezug auf die Stellungnahme der gesetzlichen Vertreter im Lagebericht zur Angemessenheit und Wirksamkeit der Systeme), hat der Abschlussprüfer die in ISA [DE] 720 beschriebenen Konsequenzen zu beachten.
Unabhängig davon, ob die Angaben nach Empfehlung A.5 inhaltlich geprüft werden oder nicht, müssen die gesetzlichen Vertreter eine Grundlage für ihre Stellungnahme zu Angemessenheit und Wirksamkeit der Systeme haben. Grundlage für diese Stellungnahme können z.B. die in dem internen Kontrollsystem und im Risikomanagementsystem enthaltenen Überwachungssysteme i.V.m. Prüfungen der internen Revision oder externer Prüfer sein.
Für die laufenden Abschlusssaison 2022 werden bei betroffenen börsennotierten Gesellschaften Vorstand, Aufsichtsräte und Abschlussprüfer diskutieren müssen, wie mit den Formulierungen der gesetzlichen Vertreter umzugehen ist, mit denen der Angabepflicht von A.5 des DCGK 2022 entsprochen werden soll, die über die handelsrechtlichen Vorgaben hinausgeht. Ein Lösungsansatz kann sein, die Angaben nach DCGK 2022.A5 in die Erklärung zur Unternehmensführung zu verlagern, die inhaltlich nicht der gesetzlichen Abschlussprüfung unterliegt und im Testat als ungeprüfte „sonstige Information“ gekennzeichnet wird. Ob mit der faktischen „Nichtprüfung“ der Aussage zur Angemessenheit von IKS und RMS den Erwartungen der Abschlussadressaten entsprochen wird, erscheint fraglich. Das IDW hat sich dazu entschlossen, einen Prüfungsstandard zu entwickeln, der sich mit der Behandlung dieser neuen Lageberichtsangaben im Rahmen der Abschlussprüfung befasst. Dadurch soll auch die potenzielle Erwartungslücke der Abschlussersteller und Abschlussadressaten über die Möglichkeiten und Grenzen der Befassung des Abschlussprüfers mit diesen Angaben verringert werden.

Fazit
Die Kodexreform 2022 setzt mit den Fokusthemen Nachhaltigkeit und Stärkung der Finanzmarktintegrität die richtigen Schwerpunkte. Für beide Themenbereiche enthält der neue DCGK wertvolle Empfehlungen für die Unternehmens- und Aufsichtsratspraxis. Die Anpassungen aufgrund des FüPoG II sind als „Housekeeping“ einzuordnen. Für die Zukunft sind im angemessenen Umfang Präzisierungen zu wünschen, z.B. Anregungen zur expliziteren Verknüpfung von Nachhaltigkeitsaspekten, Unternehmensstrategie und Vorstandsvergütung oder die Klarstellung der Aufgaben des Prüfungsausschusses als Grundsatz. Es zeigt sich aber, dass die Angabepflichten nach DCGK 2022.A5 zur Angemessenheit und Wirksamkeit von IKS und RMS Vorstand, Aufsichtsrat und Abschlussprüfer vor praktische Herausforderungen stellen. Das IDW möchte diese Themen mit einem neuen Prüfungsstandard adressieren. Abgesehen von diesem Hinweis zu den Auswirkungen der Angabepflicht nach DCGK 2022.A5 kann die Kodexreform 2022 insgesamt als gut gelungen eingeordnet werden. Insbesondere setzt sie wichtige Akzente zur Verankerung der Nachhaltigkeit in Unternehmensführung und -überwachung.
Dr. Claus Buhleier Partner, Center für Corporate Governance | Deloitte Deutschland
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