Corporate Governance Inside
Herausforderungen Energie und Nachhaltigkeit heute
Makro Trends: die neuen konjunkturellen und geopolitischen Realitäten
Das Jahr 2022 hatte bisher ziemlich wenige positive Nachrichten parat, dafür umso mehr negative. Die Erwartungen für die Konjunktur haben sich vom Optimismus sehr zum Pessimismus gedreht. Ein bis dahin undenkbarer Krieg in Europa dauert fast schon das ganze Jahr an; infolgedessen sind die Energiepreise explodiert und die Energiesicherheit Deutschlands steht infrage; die Inflationsraten sind nach langen Jahren der Deflationssorgen auf einmal zweistellig; die globalen Lieferketten sind unterbrochen, auch China und die USA sind im Abschwung und über dem Prozess der Globalisierung schwebt durch die neuen geopolitischen Risiken ein großes Fragezeichen.
All diese Ereignisse und Trends werden die wirtschaftlichen Aussichten für 2023 prägen. Sie werden aber auch darüber hinaus das wirtschaftliche Spielfeld für Unternehmen verändern. Geopolitik wird für sie von einem Hintergrundfaktor ohne direkte Auswirkungen zu einem kritischen Faktor für die strategische Ausrichtung und das Risikomanagement. Erste deutliche Anzeichen einer Umorientierung der Unternehmen sind dabei unübersehbar. Konjunkturell dürfte das Jahr 2023 für Deutschland vor allem in seiner ersten Hälfte durch die hohe Inflation und ihre Wirkungen auf die realen Einkommen der Bevölkerung sehr schwierig werden. Besserung ist erst in der zweiten Jahreshälfte zu erwarten.
Wirtschaftliche Situation: im Abwärtstrend
Der aktuelle Deloitte CFO Survey, der im September 2022 unter 124 CFOs deutscher Großunternehmen durchgeführt wurde, zeigt, dass sich der im Frühjahr erwartete Abschwung nun materialisiert. Die wirtschaftliche Lage sowie die Konjunkturaussichten für Deutschland und die Eurozone sind stark negativ, die für USA und China sind zumindest im Vergleich noch positiv. Die Geschäftsaussichten der Unternehmen in Deutschland nähern sich den Tiefstständen der ersten Corona-Welle an. Entsprechend sind auch die Pläne für Beschäftigung und Investitionen in den negativen Bereich gefallen.
Der im Frühjahr erwartete Abschwung materialisiert sich nun.
Abb. 1 – Aktuelle Geschäftsaussichten
Frage: Wie beurteilen Sie Sie die momentanen Geschäftsaussichten Ihres Unternehmens im Vergleich zu den Aussichten vor drei Monaten?

Quelle: Deloitte CFO Survey Herbst 2022.
Die Folgen des Krieges bestimmen nach wie vor die Risikolandschaft, jetzt kommt aber der wirtschaftliche Abschwung hinzu.
Dies ist konsistent mit anderen konjunkturellen Indikatoren. Der ifo Index ist im Oktober noch einmal leicht gefallen, der Einkaufsmanagerindex (PMI) markiert ein 29-Monats-Tief und der GFK-Konsumklima-Index fiel auf historische Tiefststände unter den Werten in der Corona Pandemie, auch wenn er sich im Oktober immerhin leicht stabilisieren konnte.
Allerdings gibt es auch noch durchaus Faktoren, welche die Konjunktur stützen. Die Beschäftigung in Deutschland ist auf einem Rekordhoch, die Konsumenten gehen in die wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit stabilen Finanzen und die Auftragsbücher in der Industrie sind noch voll. Auch wenn neue Aufträge rückläufig sind, könnte die Industrie dank des hohen Auftragsbestands theoretisch acht Monate ohne neue Aufträge weiter produzieren.
Risiken für die Unternehmen
Im Deloitte CFO Survey zeigt sich, dass die Folgen des Kriegs in der Ukraine nach wie vor die Risikolandschaft bestimmen, jetzt aber der wirtschaftliche Abschwung hinzukommt. Steigende Energiekosten als Folge des Krieges stellen weiterhin für fast drei Viertel der befragten Unternehmen ein hohes Risiko dar. Dazu treten jetzt aber auch die Furcht vor steigenden Lohnkosten und das Dauerthema Fachkräftemangel. Vor dem Hintergrund von Kaufkraftverlusten durch Inflation und Rezessionssorgen ist im Vergleich zum Frühjahr auch die schwächere Inlandsnachfrage ein wesentlich signifikanterer Risikofaktor geworden. Die Gefahr steigender Rohstoffkosten hat dagegen abgenommen, was daran liegen dürfte, dass die schlimmsten Befürchtungen für die Rohstoffpreise sich nicht bewahrheitet haben und beispielsweise der Ölpreis deutlich niedriger liegt als im Frühjahr oder Sommer.
Aus der Industrieperspektive betreffen die gestiegenen Energiekosten vor allem die Automobil-, die Chemie- und die Pharmaindustrie. Während geopolitische Risiken im Gesamtdurchschnitt an Bedeutung verloren haben, sind diese für Großunternehmen mit einem Umsatz von über 1 Mrd.€ noch immer das Top-Risiko. Für mehr binnenmarktorientierte Sektoren, wie zum Beispiel Real Estate, ist die schwache Inlandsnachfrage das größte Risiko.
Abb. 2 – Risiken
Frage: Welche der folgenden Faktoren stellen für Ihr Unternehmen in den nächsten zwölf Monaten ein hohes Risiko dar?

Quelle: Deloitte CFO Survey Herbst 2022.
Ausblick 2023: (leichte) Rezession kaum vermeidbar
Unter diesen Vorzeichen steht der deutschen Wirtschaft ein schwieriges Winterhalbjahr bevor. Im vierten Quartal 2022 und im ersten Quartal 2023 dürften das Wachstum negativ sein und die Inflation ihren Höhepunkt erreichen. Der Kaufkraftentzug durch die hohe Inflation ist hier voraussichtlich die stärkste Bremse für die Wirtschaft, während die hohe Unsicherheit sich schädlich auf die Investitionen der Unternehmen auswirken dürfte.
Eine schrittweise Besserung dürfte dann ab dem zweiten Quartal 2023 eintreten, falls die Inflation aufgrund von Basiseffekten zurückgeht und sich die Energiekrise nach den Wintermonaten entspannt. Insgesamt geht die Prognose von Deloitte Research von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung in Deutschland um 0,4 Prozent 2023 (nach 1,4Prozent Wachstum 2022) aus. Die Inflation geht im Basisszenario von knapp 8 Prozent 2022 auf 7 Prozent zurück.
Diese leichte Rezession könnte eine schwere werden, wenn die deutsche Wirtschaft mit einer Gasmangellage konfrontiert wird und Produktion stillgelegt werden muss. Für diesen Fall könnte mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung zwischen 2 und 3 Prozent gerechnet werden. Allerdings deuten die bisher erfolgten Energieeinsparungen auf europäischer Ebene und die vollen Gasspeicher (95 Prozent gefüllt im November) auch dank des warmen Oktobers darauf hin, dass eine Gasmangellage mit der Folge von Energierationierungen unwahrscheinlicher geworden ist.
Die neue geopolitische Risikolandschaft
Geopolitische Entwicklungen waren bisher kein bestimmendes Thema für das Risikomanagement von Unternehmen, mit der Ausnahme von Risiken in Emerging Markets. Spätestens seit der Finanzkrise sind politische Risiken jedoch auch in den westlichen Demokratien angekommen und zeigen sich in Ereignissen wie dem Brexit oder dem amerikanisch-chinesischen Handelskonflikt.¹
Für die deutschen Unternehmen ist dieser geopolitische Umbruch eine grundlegende Herausforderung. Immerhin ist Deutschland unter den großen Volkswirtschaften mit Abstand die am meisten internationalisierte. Die deutschen Exporte machen 48 Prozent des BIP aus, während die entsprechenden Werte für USA und China bei 10,2 bzw. 20 Prozent liegen.² Eine höhere Resilienz gegen die geopolitischen Verwerfungen, vor allem im Bereich Lieferketten und Absatzmärkte, und die Vermeidung von Klumpenrisiken stehen deswegen sehr weit oben auf der unternehmerischen Prioritätenliste.
Geopolitische Risiken: Rücken- oder Gegenwind für den Standort Deutschland?
Erste Auswirkungen im Bereich der Investitionen im Ausland zeigen sich bereits. Laut dem aktuellen CFO Survey schiebt immerhin ein Fünftel der Unternehmen momentan geplante Auslandsinvestitionen auf. Gleichzeitig gibt es einen Wandel bei den Investitionszielen. Die Unternehmen planen, deutlich mehr in Deutschland und deutlich weniger in China zu investieren, wenn man die Ergebnisse mit denen aus der Vor-Corona-Zeit vergleicht. Insofern scheint das Thema Reshoring beziehungsweise Verkürzung der Lieferketten die Planung der Unternehmen deutlich zu beeinflussen.
Allerdings ist dieser Trend nicht gleichförmig. Trotz dieser Beliebtheit des Standorts Deutschlands zeigt sich auch, dass speziell die energieintensiven Industrien, hier vor allem die Chemieindustrie, auch verstärkt Investitionen in den USA planen. Die Vermutung liegt sehr nahe, dass dieser Trend durch die Energiepreise und Fragen der Energiesicherheit getrieben wird. Die Chemieindustrie ist auch zusammen mit der Autoindustrie diejenige, in der das Thema Friendshoring am höchsten im Kurs steht.
Strategien gegen geopolitische Risiken
Auf der unternehmerischen Ebene zeigt sich die zunehmend kritische Bedeutung der geopolitischen Risiken. Fast die Hälfte der Unternehmen möchte über eine Diversifizierung der Lieferketten die eigene Resilienz erhöhen, jeweils ungefähr ein Fünftel plant die Relokalisierung von Lieferketten oder gar einen vollständigen Rückzug von Märkten mit geopolitischen Risiken. Die Geopolitik hält aber auch Einzug in die strategische Planung. Jeweils 40 Prozent der Unternehmen beabsichtigen ein verstärktes Monitoring von politischen Risiken mit Updates für Vorstand und Aufsichtsrat sowie eine stärkere Integration in Strategieentscheidungen.
Auch hier zeigen sich starke sektorale Unterschiede. Vor allem die hoch internationalisierte Chemieindustrie und die Maschinenbaubranche sind die Vorreiter in diesem Bereich. Bei Ersterer peilen 90 Prozent der Unternehmen eine stärkere Diversifizierung der Lieferketten an, während drei Viertel die Geopolitik vermehrt in ihrer Strategie integrieren möchten.
Abb. 3 – Strategie gegen geopolitische Risiken
Frage: Welche Strategien planen Sie um resilienter gegenüber geopolitischen Risiken zu sein?

Quelle: Deloitte CFO Survey Herbst 2022.
Die Reaktionen der Unternehmen auf die konjunkturellen und geopolitischen Trends und Risiken sind erste Anzeichen, dass sich strategische Planung und Risikomanagement ändern. Es ist zu erwarten, dass dieser Prozess erst angefangen hat. Ohne eine stärkere Berücksichtigung und Integration dieser externen Risiken in die Kernfunktionen von Unternehmen ist eine höhere Resilienz in dieser neuen Phase extrem hoher Unsicherheit im externen Umfeld kaum erreichbar.
¹ Deloitte Future Talk Podcast. Gespräch mit Beat Habegger, November 2022, https://www2.deloitte.com/de/de/pages/trends/deloitte-future-talk-podcast-series.html.
² World Bank. Indicator – World Bank Data. Zugriff am 20.11.2022, https://data.worldbank.org/indicator.
Dr. Alexander Börsch Chefökonom & Director Research
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