Corporate Governance Inside
Herausforderungen Energie und Nachhaltigkeit heute
Nachhaltig bessere Corporate Governance durch aktuelle Reformen?
Das Tätigkeits- und Besetzungsprofil des Aufsichtsrats wird durch die Neufassung des FISG nachhaltiger.
Im Sommer 2022 wurde das vor 15 Jahren eingerichtete „Aufsichtsrats-Panel“ zum 22. Mal durchgeführt, um wiederum ein Meinungsbild zu aktuellen Themen zu erhalten. Im Fokus der diesjährigen Befragung standen das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) und die Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK).
Stärkung der internen Corporate Governance durch das FISG und die Neufassung des DCGK
Sowohl das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) als auch die Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) richten sich an Vorstände und Aufsichtsräte bei börsennotierten AG. Zunächst zum FISG: Diese Unternehmen müssen nach § 91 Abs. 3 AktG ein angemessenes und wirksames Internes Kontrollsystem (IKS) und Risikomanagementsystem (RMS) implementieren. Ferner enthält § 107 Abs. 4 AktG ein neues Informationszugriffsrecht des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses, der bei Unternehmen des öffentlichen Interesses zwingend einzurichten ist, gegenüber den Leitern dieser internen Corporate-Governance-Systeme. Überdies kann nach § 109 Abs. 1 AktG der Vorstand von gemeinsamen Sitzungen zwischen dem Aufsichtsrat und dem Abschlussprüfer künftig ausgeschlossen werden. Die Überwachungstätigkeiten des Prüfungsausschusses wurden in § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG explizit um die Überwachung der Qualität der Abschlussprüfung erweitert. Diese bestrebte Stärkung der Corporate Governance steht in einem engen Zusammenhang mit der Novelle des DCGK 2022. Hierbei reagiert der Kodex auch auf die neue EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), wobei ebenfalls auf das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und die geplante EU-Richtlinie zu nachhaltigkeitsbezogenen Sorgfaltspflichten in der Wertschöpfungskette (CSDD) hinzuweisen ist. Nach dem DCGK 2022 sollen ökologische und soziale Nachhaltigkeitsaspekte im Tätigkeitsprofil von Vorständen und Aufsichtsräten berücksichtigt werden. Im Einzelnen sollen Nachhaltigkeitsziele in der Unternehmensstrategie und -planung sowie im IKS und RMS (der Kodex versteht hierunter auch ein Compliance-Management-System) beachtet werden. Als neuer Grundsatz muss der Aufsichtsrat bei der Überwachung und Beratung des Vorstands auch Nachhaltigkeitsaspekte einbeziehen. Nachhaltigkeit spiegelt sich künftig auch im Kompetenzprofil des Aufsichtsrats und des Prüfungsausschusses wider. Insofern greifen die Regulierungen des FISG und die Neuerungen des DCGK bei börsennotierten AG sehr gut ineinander, um die Qualität der Corporate Governance zu erhöhen.
Aufbau des Panels
Mit dem diesjährigen Aufsichtsrats-Panel wurden 97 Mandatsträger:innen aus insgesamt über 291 Gesellschaften persönlich zu ihren Erfahrungen aus der Aufsichtsratstätigkeit im Kontext des FISG und der Neufassung des DCGK befragt. Bei den Interviewten handelt es sich um 67 Männer und 30 Frauen (34,0%). Interessant ist auch: Das Durchschnittsalter der befragten Männer (63,3 Jahre) lag deutlich über dem der weiblichen Aufsichtsräte (57,5 Jahre).
Einschätzungen des Aufsichtsrats zu ausgewählten FISG-Novellierungen
Zunächst wurden die Einschätzungen zum erweiterten IKS und RMS (inkl. eines CMS) und zum neuen Informationszugriffsrecht erfragt. 69 Personen (71,1%) bewerten die Neuerungen zum IKS, RMS und CMS durch das FISG entweder mit „vollster Zustimmung“ oder „mit Zustimmung“. Mehrheitlich wurde die regelmäßige Überwachung des CMS durch den Aufsichtsrat als „Best Practice“ bestätigt (87,6%). Der Informationsaustausch mit den Leitern der jeweiligen internen Corporate-Governance-Systeme wird ebenfalls bei 84,4% der Befragten als zufriedenstellend wahrgenommen, was den beschränkten praktischen Mehrwert des FISG verdeutlicht. Entsprechendes gilt für die aktienrechtliche Klarstellung, dass der Prüfungsausschuss die Qualität der Abschlussprüfung überwachen muss. Dies entspräche, so 72,4% der Befragten, ohnehin der üblichen Unternehmenspraxis. Die Notwendigkeit einer aktienrechtlichen Ausschlussmöglichkeit des Vorstands von den Sitzungen zwischen Aufsichtsrat und Abschlussprüfer wird hingegen uneinheitlich beurteilt, wobei 42,3% der Befragten eine kritische oder sogar sehr kritische Einschätzung kundtun. Hier wird insbesondere die unglückliche gesetzliche Formulierung (Ausschluss des Vorstands als Regelfall) hervorgehoben. Die Kodexempfehlung, wonach der Prüfungsausschuss mit dem Abschlussprüfer die Einschätzung des Prüfungsrisikos, der Prüfungsstrategie und -planung und die Prüfungsergebnisse erörtern soll, ist bei 72,4% der Befragten bereits übliche Praxis.
Einschätzungen des Aufsichtsrats zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsthemen bei der Beratung und Überwachung
Die neue Empfehlung des DCGK zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten im Tätigkeitsprofil des Aufsichtsrats erfährt breite Zustimmung unter den Befragten. 67 Personen (61,0%) bewerten diese mit (vollster) Zustimmung. Nur weniger als ein Drittel (21,6%) der Teilnehmer entgegneten, dass der Kodex (und EU-Regulierung) mit der neuen Regulatorik in „Detaillierung und Formalisierung“ „über das Ziel hinausschießt“. Interessanterweise wurden bereits in der Vergangenheit häufig ökologische und soziale Ziele im Rahmen der Strategieberatung des Vorstands durch den Aufsichtsrat einbezogen (80,4%). Wenig überraschend dominieren ökologische, insbesondere Klimaneutralitäts- und Emissionsreduktionsziele die aktuellen Beratungsgespräche mit dem Vorstand. Hintergrund hierfür dürften die EU-Regulierungen zum Green-Deal-Projekt (neue CSRD, Taxonomie-Verordnung, geplante CSDD) sein. Bei der Überwachung der internen Corporate-Governance-Systeme werden, so nur die knappe Mehrheit der Befragten (58,2%), ökologische und soziale Ziele bereits berücksichtigt. Hier dürfte also Änderungspotenzial für die Praxis bereits 2022 (Entsprechenserklärung) bestehen.
Einschätzungen des Aufsichtsrats zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeit im Kompetenzprofil
Die Kodexnovellierung zum erweiterten Kompetenzprofil des Aufsichtsrats inklusive des Prüfungsausschusses wird sehr ambivalent beurteilt. Angeführt wird einerseits zustimmend die grundsätzliche Notwendigkeit entsprechender Gremienkompetenz, die in Bezug auf Nachhaltigkeit auch durch intensive Fortbildung aufgebaut werden kann. Die kritischen Stimmen beklagen hingegen insbesondere Besetzungsprobleme, zunehmendes Expertentum und unklare Kompetenzbegriffe. Allerdings sehen 67,0% der Befragten eine ökologische und/oder soziale Nachhaltigkeitsexpertise im Gremium bereits als gegeben an. Hierbei überwiegt die Expertise des beruflichen Erfahrungswissens aus anderen Unternehmen (z.B. Arbeitnehmervertreter). Bemerkenswert ist, dass der derzeitige Stand der Integration von Nachhaltigkeit in die internen Corporate-Governance-Systeme verbessungswürdig ist. So schätzen nur 41 Personen (43,1%) den Stand der bisherigen Integration von Nachhaltigkeit besser als befriedigend ein. Konkrete Verbesserungsmöglichkeiten werden aber bei fast allen Befragten (91,4%) angeführt.
Fazit
Mit den Ergebnissen der 22. Aufsichtsrats-Panel-Befragung wurde ein aktuelles Stimmungsbild zu den Herausforderungen rund um die Themen FISG und Nachhaltigkeit im DCGK geliefert. Die Ergebnisse der Befragung von Mandatsträger:innen verdeutlichen, dass die FISG-Novellierungen zum Aufsichtsrat aus Sicht der Befragten in der Unternehmenspraxis zu wenig gravierenden Veränderungen führen dürften. Vielmehr zählen diese Konkretisierungen des FISG bereits zur „Best Practice“ bei Unternehmen mit guter Corporate Governance. Dagegen lassen sich wesentliche Verbesserungspotenziale bei der Umsetzung der neuen Empfehlungen und Grundsätze des DCGK zur Nachhaltigkeit erkennen. Hierbei wurde verdeutlicht, dass die Berücksichtigung von Umwelt- und Sozialaspekten bei der Überwachung des internen Corporate-Governance-Systems durch den Aufsichtsrat künftig verstärkt werden muss. Die aktuelle Energiekrise, der Ukraine-Krieg sowie die Erstanwendung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) zum 1.1.2023 (bzw. 2024) werden die Aufmerksamkeit des Aufsichtsrats zu ökologischen und sozialen Themen verstärken.
Hier können Sie sich die vollständigen Ergebnisse der Panelbefragung 2022 als PDF herunterladen:
Dr. Arno Probst Leiter Board Programs | Deloitte Deutschland
Prof. Dr. Patrick Velte Professur für Betriebswirtschaftslehre, insb. Accounting, Auditing und Corporate Governance, Leuphana Universität Lüneburg
Hier können Sie das gesamte Magazin als PDF herunterladen:
Die aktuelle Energiekrise, der Ukraine-Krieg sowie die Erstanwendung des LkSG zum 1.1.2023 (bzw. 2024) werden die Aufmerksamkeit des Aufsichtsrats zu ökologischen und sozialen Themen verstärken.