Corporate Governance Inside Legislation & Jurisdiction
Krisenintervention – Verträge im Lichte gestiegener Energiekosten
Viele Unternehmen und ihre Aufsichtsorgane haben sich insbesondere in den letzten Jahren immer wieder neuen Herausforderungen im Hinblick auf die Lieferbeziehungen stellen müssen, mit denen sie vorher noch nicht oder nur in begrenztem Umfang konfrontiert worden waren. Jeder Lieferbeziehung liegen Verträge zugrunde, die derzeit auf eine harte Probe gestellt werden und vor erhöhtem Anpassungsbedarf stehen. Für Unternehmen bieten sich aus rechtlicher Sicht verschiedene Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten, um auf diese Situationen zu reagieren.
Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie und den gravierenden Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, bestehende Geschäftsbeziehungen sowie Liefer- und Produktionsfähigkeit sind auch aus rechtlicher Sicht zahlreiche Fragestellungen aufgekommen, welche zuvor nur in seltenen Fällen eine zentrale Rolle in Lieferbeziehungen gespielt haben. Der Begriff „höhere Gewalt“ bzw. „Force Majeure“ erlangte wie auch entsprechende Höhere-Gewalt-Klauseln in bestehenden sowie neu abzuschließenden Verträgen zunehmend an Bedeutung. Außerdem zeigten sich Vorzüge, aber gleichzeitig auch Nachteile von langjährigen Rahmenverträgen, verbindlichen Liefer- und Bezugsverpflichtungen sowie Preisanpassungsklauseln, jeweils unter Berücksichtigung der unternehmerischen Risikoverteilung in der jeweiligen Vertragsbeziehung.
Diese und weitere rechtliche Themen spielen auch im Zusammenhang mit der derzeit anhaltenden Energiekrise eine Rolle. Hierbei stehen insbesondere die gestiegenen Energiekosten und die Inflation im Fokus der Überlegungen und die Frage, ob sowohl bestehende als auch zukünftig abzuschließende Verträge an die geänderten Umstände anzupassen sind. Nachstehend erfolgt eine Übersicht zu verschiedenen Rechtsinstituten, welche bei Auswirkungen der Energiekrise auf vertragliche Beziehungen von Relevanz sind. Höhere Gewalt:
Unter höherer Gewalt versteht die Rechtsprechung ein betriebsfremdes, von außen herbeigeführtes, unvorhersehbares, unvermeidbares und außergewöhnliches Ereignis. Beispiele für Ereignisse höherer Gewalt sind Kriege, Kriegsgefahren, Reaktorunfälle oder auch Naturkatastrophen. Bei der Prüfung und Ausgestaltung einer Höhere-Gewalt-Klausel ist vor allem darauf zu achten, welche Ereignisse konkret genannt sind und ob gegebenenfalls eine Ergänzung notwendig erscheint (z.B. Ergänzung um die Begrifflichkeiten der Pandemie/Epidemie (COVID-19)).
Auf einer ersten Stufe sind die bestehenden Verträge zu prüfen. Sehen diese eine Höhere-Gewalt-Klausel vor? Sofern dies der Fall sein sollte, welche Regelungsinhalte und Rechtsfolgen sind Gegenstand dieser Klausel? Von besonderer Bedeutung können in diesem Zusammenhang auch Klauseln sein, welche einen Selbstbelieferungsvorbehalt vorsehen. Hierunter fallen Regelungen, die ein Ereignis höherer Gewalt bei einem Vorlieferanten des Unternehmens ebenfalls als Ereignis höherer Gewalt beim betroffenen Unternehmen selbst klassifizieren. Dadurch kann das Ausfallrisiko in verbundenen Lieferketten und Zulieferungen zu einem gewissen Teil miterfasst werden.
Auf einer zweiten Stufe stehen die Rechtsfolgen. Das Vorliegen eines Ereignisses höherer Gewalt führt im Grundsatz zu einer wechselseitigen Befreiung der Vertragsparteien von den vertraglichen Leistungspflichten, und zwar für die Dauer der höheren Gewalt. Hieraus ergibt sich kein Schadenersatzanspruch. Weiterhin können Kündigungsmöglichkeiten geregelt werden, welche beispielsweise vorsehen, dass ab einer gewissen anhaltenden Dauer des Ereignisses die Parteien zur Kündigung des Vertragsverhältnisses berechtigt sind.
Störung der Geschäftsgrundlage:
Eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ist anzunehmen, wenn es zu schwerwiegenden Änderungen von Umständen nach Vertragsschluss gekommen ist, die ein weiteres Festhalten am Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt für die Parteien unzumutbar machen.
Diese Norm wird von der Rechtsprechung nur in seltenen Fällen anerkannt, z.B. bei Hyperinflation (über 50%) oder einem Anstieg der Herstellungskosten um das 15-Fache, zumal im Grundsatz ein Interesse daran besteht, an bestehenden Verträgen festzuhalten („pacta sunt servanda“). Als Rechtsfolge besteht primär ein Anspruch auf Vertragsanpassung; die Beendigung des Vertragsverhältnisses stellt die Ultima Ratio dar.
Erhöhte Energiepreise und somit erhöhte Herstellungskosten fallen grundsätzlich in die alleinige Risikosphäre des Lieferanten der Produkte. Es obliegt dem Unternehmer selbst, die Produktionskosten zu kalkulieren, Entscheidungen hinsichtlich verbindlicher Festpreise zu treffen und hierfür das unternehmerische Risiko zu tragen. In Bezug auf die bereits eingetretenen und für 2023 zu erwartenden Energiepreissteigerungen können gute Gründe vorliegen, dass ausnahmsweise eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt, die es unzumutbar macht, an den vereinbarten Preisen und somit den geschlossenen Verträgen festzuhalten.
(Preis-)Anpassungsklausel:
Weiterhin besteht die Möglichkeit, (Preis-)Anpassungsklauseln in Verträge aufzunehmen, um direkt bei Vertragsabschluss einen Mechanismus für etwaige Anpassungen der Preis- oder Lieferungsmodalitäten vorzusehen. Da solche Anpassungsklauseln für deren Wirksamkeit bestimmte festgelegte Kriterien erfüllen müssen, ist eine hinreichende inhaltliche Konkretisierung bezüglich der Voraussetzungen, des Umfangs und der Rechtsfolge erforderlich. Eine solche Unwirksamkeitskontrolle wird insbesondere bei der Verwendung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und im Rahmen der Geltung des Preisklauselgesetzes relevant und stellt den Verwender vor erhöhten Prüfungsaufwand.
Unmöglichkeit:
Die gestiegenen Energiekosten können bei Unternehmen zudem die Auswirkung haben, dass die Leistung nur noch mit unzumutbaren Anstrengungen erbringbar ist und ihnen somit ein Leistungsverweigerungsrecht (§ 275 BGB) zusteht. Auch an die Anwendbarkeit dieser Regelung werden sehr hohe Anforderungen gestellt. Es ist unter anderem ein Kosten-Nutzen-Vergleich vorzunehmen und zu prüfen, ob von einer „krassen Ineffizienz“ der jeweiligen Leistung auszugehen ist, wobei eine reine Unwirtschaftlichkeit nicht ausreichend ist. Im Rahmen von exorbitanten Preissteigerungen ist zudem darauf zu achten, dass das Interesse des Vertragspartners an der Leistungserbringung grundsätzlich bestehen bleibt und in die Abwägung einzubeziehen ist.
Kündigung aus wichtigem Grund:
Die gesetzliche Regelung des § 314 BGB sieht die Möglichkeit einer Kündigung aus wichtigem Grund vor, wenn der einen Vertragspartei ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar ist und sofern es sich bei dem Vertrag um ein Dauerschuldverhältnis handelt. Ein für viele Unternehmen hervorzuhebendes Problem bilden hier Sukzessivlieferungsverträge, da diese zwar wiederkehrende Lieferungen von bestimmten Warenmengen zum Gegenstand haben, jedoch von Beginn an eine feste Bezugsverpflichtung bzw. Liefermenge festlegen. Die Anwendung dieser Regelung erfordert eine Abgrenzung der den Vertragspartnern zukommenden Risikosphären, denn die Kündigungsgründe müssen im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen.
Hardship-Klausel:
Die sogenannten Hardship-Klauseln, welche insbesondere im internationalen Verkehr vermehrt zur Anwendung kommen, ähneln in gewissen Punkten den Höhere-Gewalt-Klauseln. Sie sind relevant für langfristige Verträge der Industrie bei Änderung der technischen, wirtschaftlichen oder rechtlichen Voraussetzungen. Zumeist sehen sie einen Anspruch auf Vertragsanpassung bei grundlegender Veränderung der Verhältnisse vor, wobei dieser unbestimmte Rechtsbegriff entsprechend von den Vertragsparteien zu definieren ist, um den Anwendungsbereich zu konkretisieren. Einseitige Risiken führen zumeist nicht zur Anpassung, z.B. wenn Marktpreis für Erdgas unter den vereinbarten Festpreis fällt.
Unternehmen können auf der einen Seite selbst in der Position sein, Preise gegenüber den Kunden bzw. Vertragspartnern zu erhöhen. Auf der anderen Seite ist es möglich, dass Unternehmen mit Preiserhöhungen von Vertragspartnern konfrontiert sind. Hier bieten die oben dargestellten Rechtsinstitute verschiedene Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten.
Höhere Gewalt:
In beiden Positionen sind zunächst die vertraglichen Regelungen sowie die festgelegten Rechtsfolgen zu prüfen. Die Höhere-Gewalt-Klausel selbst bietet keine Möglichkeit für Preiserhöhungen gegenüber dem Vertragspartner, sondern es kommt lediglich das Aussetzen der gegenseitigen vertraglichen Leistungsverpflichtungen in Betracht. Auf der anderen Seite kann der Vertragspartner unter Berufung auf die höhere Gewalt keine Preiserhöhung fordern.
Störung der Geschäftsgrundlage:
Als Angriffsmöglichkeit kann sich das Unternehmen auf eine schwerwiegende Äquivalenzstörung berufen, ausführen, dass ein Festhalten am Vertrag hinsichtlich der vereinbarten Preise unzumutbar geworden ist, und eine entsprechende Vertrags- und Preisanpassung fordern. Ob die Umstände jedoch tatsächlich eine Störung der Geschäftsgrundlage darstellen, ist anhand eines jeden Einzelfalls zu prüfen. Als Verteidigungsmöglichkeit sollten die Unternehmen eine vom Vertragspartner geforderte Vertragsanpassung in Form einer Preiserhöhung verweigern und umfangreiche Nachweise der Unzumutbarkeit einfordern. In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass die Bindung an vereinbarte Festpreise weiterhin fortbesteht und eine Lieferung zu den Festpreisen zu fordern ist; etwaige Preiserhöhungen liegen in der alleinigen Risikosphäre des Vertragspartners.
Unmöglichkeit:
Das Berufen auf die Unmöglichkeit führt lediglich zu einem Leistungsverweigerungsrecht, bietet jedoch keine Möglichkeit für Preiserhöhungen.
Kündigung aus wichtigem Grund:
Bei Dauerschuldverhältnissen bietet die Kündigung aus wichtigem Grund ebenfalls keine Möglichkeit für Preiserhöhungen, jedoch für eine Beendigung und gegebenenfalls einen Neuabschluss von Verträgen zu geänderten Konditionen. Wird das Unternehmen mit einer Kündigung des Vertragspartners wegen Preiserhöhungen konfrontiert, sollten diese zurückgewiesen und vertragsgemäße Leistungserfüllung verlangt werden unter Androhung der Geltendmachung etwaiger Schadenersatzansprüche bei Nichtleistung.
(Preis-)Anpassungsklausel und Hardship-Klausel:
Sollten entsprechende Klauseln bereits Vertragsinhalt geworden sein, kann sich das Unternehmen hierauf berufen und eine Preisanpassung fordern. Sofern das Unternehmen selbst mit Preiserhöhungen konfrontiert wird, sind diese unter Verweis auf das Nichtvorhandensein einer Preisanpassungsklausel abzuwehren. Im Rahmen eines Neuabschlusses von Verträgen sind etwaige Anpassungsklauseln und Rechtsfolgen eingehend zu prüfen.
Ob die jeweiligen Voraussetzungen der Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten tatsächlich vorliegen, bleibt jeweils einer rechtlichen Einzelfallprüfung vorbehalten.
Hinweis Energielieferverträge:
Im Hinblick auf Energielieferverträge selbst finden neben den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften spezialgesetzliche Vorschriften Anwendung. Energielieferverträge sind im Hinblick auf vertragliche Regelungen zur Preisanpassung oder Vertragsbeendigung und deren Wirksamkeit von den Unternehmen zu prüfen. Strom- und Gaslieferanten könnten beispielsweise von ihrem vertraglichen Recht zur ordentlichen Kündigung zum Ablauf des jeweiligen Vertragszyklus Gebrauch machen und die Unternehmen vor das Problem eines Vertragsneuabschlusses stellen. Des Weiteren sollten sich Unternehmen über die Risiken und Folgen eines Lieferstopps informieren und entsprechende Vorkehrungen treffen.
Andreas Leclaire Partner | Commercial Law | Deloitte Legal Deutschland
Lara Sophie Worbs Senior Manager | Commercial Law | Deloitte Legal Deutschland
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