Corporate Governance Inside
Herausforderung Unternehmensüberwachung heute
Audit Committee Chair of the Future – ein Interview mit Barbara Lambert
„Der Audit Committee Chair sollte in turbulenten Zeiten ein ‚Fels in der Brandung‘ sein, nicht jemand, der Unsicherheit verstärkt.“
Barbara Lambert ist Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsmitglied von großen, international tätigen Unternehmen, Vorsitzende von Prüfungs- und Risikoausschüssen – unter anderem bei Merck KGaA und Deutsche Börse AG. Im Rahmen unserer globalen Deloitte-Interviewreihe „Audit Committee Chair of the Future“ sprachen unsere Partner Arno Probst und Daniel Weise mit Barbara Lambert über die aktuellen Herausforderungen und Entwicklungen in der Rolle des Prüfungsausschussvorsitzes. Hier geben wir das Gespräch in Auszügen wieder. Arno Probst (AP): Frau Lambert, was ist aus Ihrer langjährigen Erfahrung als Vorsitzende von Prüfungsausschüssen das Wichtigste in dieser Rolle – und was hat sich in den letzten Jahren verändert? Barbara Lambert (BL): Die Aufgabenbereiche haben sich stark erweitert und ich sehe aktuell drei zentrale Aufgaben: Erstens die technische Überwachung – also das Financial Reporting, die Nachhaltigkeitsberichterstattung sowie das interne Kontrollsystem inklusive Compliance und Risikomanagement. Zweitens sollte der Vorsitzende des Prüfungsausschusses ein echter Sparringspartner für den CFO sein – ebenso für die Verantwortlichen der zentralen Kontrollfunktionen wie Internal Audit, Risikomanagement und Compliance. Drittens spielt die Überwachung des Abschlussprüfers eine zunehmend wichtige Rolle – insbesondere seit den gesetzlichen Anpassungen infolge des Wirecard-Falls. Hier geht es um Qualität, Unabhängigkeit und auch um die Angemessenheit der Prüfungsvergütung.
Wichtig ist: Der Prüfungsausschuss handelt im Rahmen einer Delegation durch den Aufsichtsrat. Diese Delegation bringt nicht nur Spezialisierung mit sich, sondern auch ein hohes Maß an Vertrauen. Die Rolle des Audit Committee Chair hat dadurch deutlich an Gewicht gewonnen. AP: Wenn die Verantwortung also gestiegen ist – bedeutet das auch mehr Kommunikation und Interaktion? BL: Absolut. Die Anforderungen sind deutlich gestiegen – sowohl durch regulatorische als auch wirtschaftliche Entwicklungen. Flexibilität ist heute essenziell. Es gibt wesentlich mehr Ad-hoc-Abstimmungen, weil unerwartete Themen – wie etwa geopolitische Entwicklungen oder Zölle – kurzfristig aufkommen.
Ich führe regelmäßig Vor- und Nachgespräche mit dem CFO sowie mit den Leitern der Kontrollfunktionen. Der Austausch ist intensiv und kontinuierlich – meist mindestens einmal im Monat. Dabei geht es um Updates, Herausforderungen und mögliche Risiken. Die Rolle ist heute deutlich aktiver und verlangt auch proaktives Handeln. Vier Sitzungen pro Jahr reichen da oft nicht aus – insbesondere bei komplexen Themen wie Cybersecurity, künstlicher Intelligenz oder geopolitischen Risiken. In Banken oder börsennotierten Unternehmen sind sechs Sitzungen mittlerweile Standard. AP: Was macht aus Ihrer Sicht einen besonders effektiven Prüfungsausschuss aus? BL: Ich habe für mich sieben „Goldene Regeln“ definiert:
- Proaktive Agenda-Gestaltung: Der Chair sollte die Agenda aktiv steuern – neben Standardthemen auch aktuelle Entwicklungen und Trends einbeziehen. Der Input der Ausschussmitglieder ist dabei sehr wertvoll.
- Qualität der Präsentierenden: Es ist wichtig, erfahrene Sprecher zu haben – aber auch die „nächste Generation“ einzubinden. Das fördert die Nachfolgeplanung und gibt Einblick in die Entwicklung der Organisation.
- Qualität der Unterlagen: Weniger ist oft mehr. Die Materialien sollten die richtige Flughöhe haben – mit der Möglichkeit, bei Bedarf in technische Details einzusteigen.
- Zeit für Diskussion: Präsentationen sollten maximal zwei Drittel der Zeit einnehmen – mindestens ein Drittel sollte für Diskussionen reserviert sein. Der Chair muss sicherstellen, dass sich alle Mitglieder aktiv einbringen.
- Diversität im Ausschuss: Eine gute Mischung ist entscheidend – idealerweise mit einem (ehemaligen) CFO, jemandem mit Prüfungserfahrung, juristischem Hintergrund und internationaler Perspektive.
- Selbstbewertung: Ein jährliches Self Assessment hilft, Stärken zu erkennen und gezielt Verbesserungen umzusetzen.
- Kommunikation mit Vorstand und Aufsichtsrat: Auch wenn der Ausschuss unabhängig agiert, ist ein vertrauensvoller Austausch mit CFO, CEO und dem gesamten Aufsichtsrat essenziell. Ein gutes Reporting mit der richtigen Flughöhe schafft Transparenz und Vertrauen.
Übrigens: Immer seltener ist der Aufsichtsratsvorsitzende gleichzeitig Mitglied im Prüfungsausschuss – oft ist er nur gelegentlicher Gast. Das ist ein Zeichen des Vertrauens in die Arbeit des Ausschusses und insbesondere in die Rolle des Chairs. AP: Wie wichtig sind Managementfähigkeiten und Erfahrungen jenseits der technischen Expertise? Spielen diese eine besondere Rolle? BL: Unbedingt. Besonders wertvoll ist Krisenerfahrung. Mir ist kürzlich aufgefallen, dass einige jüngere Mitglieder von Prüfungsausschüssen nie ein positives Zinsumfeld erlebt haben. Solche Erfahrungen – etwa aus der Finanzkrise 2008 oder auch 1997 – sind entscheidend. Der Audit Committee Chair sollte in turbulenten Zeiten ein „Fels in der Brandung“ sein, nicht jemand, der Unsicherheit verstärkt.
Auch wenn ich den Audit Committee Chair nicht als „Shadow Chair“ des Aufsichtsrats sehe, zeigt sich doch, dass viele später den Vorsitz des Boards übernehmen. Managementfähigkeiten sind dafür eine wichtige Grundlage.

„Für mich ist Nachhaltigkeit sowohl eine persönliche Hoffnung als auch eine feste Überzeugung.“
AP: Angesichts von Mitbestimmung, Kompetenzprofilen und Diversitätsanforderungen – lässt sich das Audit Committee überhaupt so zusammensetzen, wie Sie es sich idealerweise vorstellen? BL: Ich hatte das Glück, bei vielen Mandaten in den Auswahlprozess eingebunden zu sein – auch wenn ich nicht immer im Nominierungsausschuss saß. Ich wurde aktiv gefragt und konnte sowohl bei der Auswahl der Kandidaten als auch der Headhunter mitwirken.
Entscheidend ist, dass der Headhunter das gesuchte Profil wirklich versteht. Für mich ist eine aktive C-Level-Erfahrung essenziell. Und: Persönlichkeit ist oft wichtiger als reine Fachkompetenz. Es braucht Menschen mit „starkem Charakter und tiefem Ego“ – also keine Ja-Sager, sondern Persönlichkeiten, die respektvoll diskutieren, neue Perspektiven einbringen und sich wirklich für das Mandat interessieren. Prestige allein reicht nicht – Zeit und echtes Engagement sind entscheidend. AP: Kommen wir zum Thema Gremienkultur. Wie fördern Sie eine Kultur, die interaktive, kontroverse und zugleich respektvolle Diskussionen ermöglicht? BL: Vertrauen ist der Schlüssel – sowohl gegenüber dem Vorstand als auch innerhalb des Aufsichtsrats. Überraschungen sind Gift für eine gute Zusammenarbeit. Es darf nicht passieren, dass ein CFO durch eine Frage bloßgestellt wird – ob bewusst oder unbewusst. Das heißt aber nicht, dass kritische Themen nicht angesprochen werden dürfen. Ich stimme solche Fragen vorher ab: „Achtung, diese Frage werde ich stellen“ oder „Ich könnte mir vorstellen, dass hier Nachfragen kommen – bitte bereiten Sie sich vor.“ Das schafft Vertrauen.
Ich investiere auch außerhalb der Sitzungen Zeit – etwa durch gemeinsame Lunches oder Dinners. Nach den Sitzungen gebe ich konstruktives Feedback. Aus eigener Erfahrung als Vorstand weiß ich, wie einsam diese Rolle sein kann – es gibt nur wenige, mit denen man offen über schwierige Themen sprechen kann.
Wichtig ist, dass der Audit Committee Chair nicht in einen Monolog mit dem CFO verfällt. Man muss Raum für andere schaffen – wie ein Dirigent, der das Orchester führt, aber nicht allein spielt. Ich achte darauf, wer sich vorbereitet hat, wer nicht bei der Sache ist, und spreche gezielt Experten zu relevanten Themen an. Transparenz und Konsistenz in der Kommunikation sind für mich zentrale Elemente, um Vertrauen aufzubauen.
Ich arbeite zudem mit sogenannten Fokuspunkten: Themen, die ich innerhalb eines Jahres unbedingt behandeln möchte – unabhängig von aktuellen Trends oder neuen Entwicklungen. Ob ich ein Thema im Mai oder Juli bespreche, ist zweitrangig – wichtig ist, dass es auf der Jahresagenda steht und bearbeitet wird. Daniel Weise (DW): Mit Blick in die Zukunft – wie sehen Sie die Rolle des Audit Committee Chair in fünf bis zehn Jahren? BL: Der Audit Committee Chair darf nicht zur „Superwoman“ oder zum „Superman“ stilisiert werden, der alles wissen muss. Vielmehr sehe ich eine zunehmende Spezialisierung – etwa durch zusätzliche Ausschüsse wie Technology, Strategy oder Sustainability Committees.
Dennoch wächst die Verantwortung des Audit Committee Chair weiter – denn viele Themen haben direkten Einfluss auf seine Arbeit: Risikomanagement, Cybersecurity, künstliche Intelligenz, Datenmanagement und mehr. Das erfordert künftig eine noch engere Abstimmung zwischen den verschiedenen Ausschussvorsitzenden, um klare Zuständigkeiten und eine effektive Zusammenarbeit sicherzustellen. DW: Wie sehen Sie das Thema Nachhaltigkeit mit Blick auf die nächsten fünf bis zehn Jahre? BL: Für mich ist Nachhaltigkeit sowohl eine persönliche Hoffnung als auch eine feste Überzeugung. Ich bin sicher, dass das Thema nicht an Bedeutung verlieren wird. Aktuell erleben wir eine gewisse Konsolidierungsphase – wir treten etwas auf die Bremse, um uns neu zu sortieren. Ich denke, die bisherige Regulierung war teilweise überambitioniert und hat nicht die gewünschten Effekte erzielt. Die geplante Omnibus-Regelung ist aus meiner Sicht ein sinnvoller erster Schritt, um Komplexität und Kosten für Unternehmen zu reduzieren.
AP: Wie gehen Sie im Prüfungsausschuss mit dem Thema künstliche Intelligenz (AI) um? BL: Wir beschäftigen uns intensiv damit. Zum einen: Wie setzen unsere Abschlussprüfer AI in der Prüfung ein? Zum anderen: Wie prüfen sie den Einsatz von AI im Unternehmen? Und schließlich: Was bedeutet AI für das Board selbst? Sollten wir sie nutzen – oder bewusst nicht?
Die Diskussionen sind derzeit sehr lebhaft. Ein Beispiel: Die Nutzung von AI zur Protokollerstellung ist bei einigen Mitarbeitervertretern im Board umstritten. Das führt dazu, dass AI dort gar nicht eingesetzt werden kann. Gleichzeitig könnte es künftig notwendig sein, im Sinne der Business Judgement Rule nachzuweisen, dass alle verfügbaren Informationen berücksichtigt wurden – und dazu könnte auch AI gehören. AP: Angesichts der zunehmenden Komplexität und Intensität der Zusammenarbeit – zwischen Vorstand, zweiter Führungsebene und Aufsichtsrat – stellt sich die Frage: Ist das zweigliedrige System in Deutschland noch zweckdienlich, etwa bei der Strategiefindung? BL: Das ist für mich eine echte Gretchenfrage. Der Aufsichtsrat muss in die Strategieplanung eingebunden sein – auch im deutschen System. In der Praxis sehe ich bei meinen Mandaten kaum Unterschiede zum Schweizer Modell, abgesehen von der juristischen Verantwortung und der damit verbundenen Vergütung. In der Schweiz trägt der Verwaltungsrat die strategische Verantwortung – das spiegelt sich auch in einer etwa anderthalb- bis zweimal höheren Vergütung wider.
Für mich ist klar: Es braucht ein Zusammenspiel. Der Vorstand übernimmt die operative Umsetzung, aber gerade in unsicheren Zeiten ist es essenziell, die Expertise des Aufsichtsrats aktiv in die Strategieentwicklung einzubeziehen. AP: Was würden Sie jemandem raten, der ein Mandat angeboten bekommt? BL: Ich würde zu einer persönlichen Due Diligence raten. Wenn es sich um ein Unternehmen handelt, das einen Turnaround braucht, sollte klar sein, dass sowohl die Bereitschaft als auch die Fähigkeit dazu vorhanden sind.
Ebenso wichtig: Die Chemie mit dem Chair des Aufsichtsrats muss stimmen. Und man sollte die Flexibilität haben, die Agenda aktiv mitzugestalten. Ganz ehrlich: Man muss sich auch fragen, ob man genügend Zeit hat. Die Zahl der außerordentlichen Sitzungen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. AP/DW: Frau Lambert, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch.
Prof. Dr. Arno Probst Global Boardroom Program Lead und Leiter des Deloitte Board Programs in Deutschland
Daniel Weise Partner | Audit & Assurance | Deloitte Deutschland
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„Vertrauen ist der Schlüssel – sowohl gegenüber dem Vorstand als auch innerhalb des Aufsichtsrats.“