Corporate Governance Inside
Herausforderung Unternehmensüberwachung heute
Risikomanagement in besonders herausfordernden Zeiten Leitfaden für Aufsichtsräte
Gerade in herausfordernden Zeiten – sei es durch Krisen, Unsicherheiten am Markt oder sich schnell verändernde Rahmenbedingungen – ist ein proaktives und wirksames Risikomanagement essenziell für Unternehmen. Dem Aufsichtsrat kommt hier eine zentrale Rolle zu: Er überwacht die Geschäftsführung, prüft das Risikomanagement und gibt Impulse zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Rechtlicher Rahmen und Pflichten Einrichtungs- und Überwachungspflicht
Der Vorstand einer Gesellschaft hat gemäß § 91 Abs. 3 AktG ein im Hinblick auf den Umfang der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des Unternehmens angemessenes und wirksames Risikomanagementsystem (RMS) einzurichten. Gleichzeitig übernimmt der Aufsichtsrat eine bedeutende Überwachungsfunktion in Bezug auf das RMS. Gesetzlicher Ausgangspunkt ist die Konkretisierung der Pflichten zur Überwachung der Wirksamkeit von Corporate-Governance-Systemen (§ 107 Abs. 3 AktG), die das RMS einschließen. Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement
Als wichtiger Bestandteil eines ganzheitlichen RMS hat der Vorstand einer Aktiengesellschaft geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden (§ 91 Abs. 2 AktG). Auch Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Rechtsträger müssen fortlaufend über Entwicklungen wachen, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden könnten, und geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen. Sie sind verpflichtet, dem Aufsichtsrat unverzüglich Bericht zu erstatten, wenn solche Entwicklungen erkannt werden. Der Aufsichtsrat ist somit Adressat der Berichte im Krisenfall und muss deren Inhalte kritisch prüfen und gegebenenfalls eigene Maßnahmen anregen (§ 1 Abs. 1 StaRUG). Prüfung und Berichtspflichten
Der Aufsichtsrat prüft den Jahresabschluss, den Lagebericht und gegebenenfalls den Konzernabschluss sowie nicht-finanzielle Berichte. Der Abschlussprüfer berichtet dabei auch über Schwächen des internen Kontroll- und Risikomanagementsystems. Über das Prüfungsergebnis ist an die Hauptversammlung zu berichten, insbesondere auch über die Art und den Umfang der Überwachung der Geschäftsführung (§ 171 AktG). Ferner zählt gemäß Deutschem Corporate Governance Kodex 2022 die Überwachung der Angemessenheit und Wirksamkeit des RMS zu den Kernaufgaben der Internen Revision. Ergänzend bieten sich Prüfungen der Angemessenheit und Wirksamkeit des RMS gemäß IDW PS 981 durch externe Sachverständige wie Wirtschaftsprüfungsgesellschaften an. Anforderungen an das Risikomanagement Grundstruktur eines angemessenen und wirksamen Risikomanagementsystems
Eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation muss ein angemessenes und wirksames Risikomanagement umfassen, das insbesondere die Risikotragfähigkeit des Unternehmens laufend sicherstellt. Dies ist insbesondere in wirtschaftlich und politisch herausfordernden (Krisen-)Zeiten bedeutend für eine zielorientierte Steuerung. Wesentliche Elemente eines angemessenen und wirksamen RMS sind gemäß IDW PS 981:
- Risikokultur: Die Risikokultur als Teil der Unternehmenskultur umfasst die grundsätzliche Einstellung und die Verhaltensweisen beim Umgang mit Risikosituationen. Sie beeinflusst maßgeblich das Risikobewusstsein im Unternehmen und bildet die Grundlage für ein wirksames RMS.
- Ziele des Risikomanagementsystems: Die unternehmenspolitischen Zielsetzungen und insb. die Unternehmensstrategie bilden die Ausgangsbasis für die Ableitung einer Risikostrategie und für ein systematisches Risikomanagement des Unternehmens. In der Risikostrategie wird festgelegt, in welchem Ausmaß unter Berücksichtigung der Risikotragfähigkeit des Unternehmens Risiken eingegangen werden sollen (Risikoappetit), ergänzt durch unternehmerische Vorgaben zum erwünschten Umgang mit Risiken in Form einer Risikopolitik. Die Ziele des RMS sind darauf ausgerichtet sicherzustellen, dass die Unternehmensziele entsprechend der Risikostrategie erreicht werden.
- Organisation der Risikomanagementsystems: Von entscheidender Bedeutung für das RMS sind eine transparente und eindeutige Aufbauorganisation sowie eine klar definierte Ablauforganisation. Verantwortungsbereiche und Rollen sind klar geregelt, abgegrenzt, kommuniziert und dokumentiert. Die Aufgabenträger erfüllen die erforderlichen persönlichen und fachlichen Voraussetzungen. Es stehen ausreichende Ressourcen für Risikomanagementmaßnahmen zur Verfügung (insb. Personen, Technologie, Hilfsmittel). Die wesentlichen Regelungen zur Aufbau- und Ablauforganisation des Risikomanagements sind dokumentiert und verbindlich vorgegeben.
- Risikoidentifikation: Die Risikoidentifikation umfasst die regelmäßige, systematische Analyse von internen und externen Entwicklungen und Ereignissen, die zu negativen oder positiven Abweichungen von den festgelegten Zielen des RMS führen können.
- Risikobewertung: Risiken werden hinsichtlich ihrer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge systematisch untersucht sowie typischerweise im Hinblick auf Eintrittswahrscheinlichkeit und mögliche Auswirkungen beurteilt. Bewertungsverfahren und -kriterien sind (auch für nicht quantifizierbare Risiken) eindeutig definiert. Dies umfasst die Verwendung einer Bewertungssystematik, die es erlaubt, die Bedeutung und den Wirkungsgrad von Risikosteuerungsmaßnahmen einzuschätzen. Die einzelnen Risikobewertungen werden systematisch aggregiert. Risikointerdependenzen werden dabei analysiert und berücksichtigt.
- Risikosteuerung: Auf der Grundlage der identifizierten und bewerteten Risiken trifft die Unternehmensleitung Entscheidungen über Maßnahmen zur Risikosteuerung (Risikovermeidung, Risikoreduktion, Risikoteilung bzw. -transfer sowie Risikoakzeptanz). Als Bezugsrahmen dienen die festgelegten Ziele des RMS.
- Risikokommunikation: Die Risikokommunikation gewährleistet einen angemessenen Informationsfluss im RMS. Dies umfasst einen standardisierten Prozess auf der Basis konkreter Zuständigkeiten, Periodizitäten, Schwellenwerte und Berichtsformate. Für eilbedürftige Risikomeldungen ist ein separater Berichtsprozess etabliert, der eine zeitnahe Übermittlung der relevanten Informationen sicherstellt. Für die Risikobeurteilung werden die entscheidungsrelevanten Informationen gesammelt, auf ihre Zuverlässigkeit überprüft und aktualisiert.
- Überwachung und Verbesserung des Risikomanagementsystems: Angemessenheit und Wirksamkeit des RMS werden durch prozessintegrierte und prozessunabhängige Kontrollen überwacht. Voraussetzung für die Überwachung ist eine angemessene Dokumentation des RMS. Die Ergebnisse der Überwachungsmaßnahmen (insb. festgestellte Mängel im RMS) werden in geeigneter Form berichtet und ausgewertet, damit die erforderlichen Maßnahmen zur Verbesserung des Systems und zur Beseitigung von Mängeln ergriffen werden können.
Funktionsspezifisches Risikomanagement
Neben dem holistischen RMS, in dem idealerweise alle relevanten Risiken des Unternehmens und korrespondierenden Informationen berücksichtigt werden, existieren funktionsspezifische Risikomanagementansätze in jeder Form der Unternehmensorganisation (z.B. im Bereich IT, Produktion, Logistik). Aus dem funktionsspezifischen Risikomanagement können wichtige Informationen für das übergeordnete RMS generiert und genutzt werden (z.B. in Bezug auf die Bewertung und genutzte Gegenmaßnahmen von IT-, Produktions- oder Logistikrisiken). Widersprüchliche Informationen an die Unternehmensorgane zwischen übergeordnetem RMS und funktionsspezifischem Risikomanagement sind zu vermeiden. Während das übergeordnete RMS für den Aufsichtsrat einen guten Gesamtüberblick über die Risikolage des Unternehmens vermittelt, bedarf es ggf. vertiefender Informationen und Prüfungen in Bezug auf die funktionsspezifischen Risikomanagementansätze.

Besondere Herausforderungen in Krisenzeiten Frühzeitige Erkennung und Reaktion
In Krisenzeiten ist eine erhöhte Wachsamkeit des Aufsichtsrats erforderlich. Die Geschäftsleitung muss Entwicklungen, die den Fortbestand gefährden, frühzeitig melden, und der Aufsichtsrat muss diese Informationen kritisch würdigen und gegebenenfalls Maßnahmen einfordern. Stresstests und Szenarioanalysen
Die Beurteilung der Risikotragfähigkeit muss auch Stressszenarien und außergewöhnliche Ereignisse umfassen. Aufsichtsräte sollten darauf achten, dass entsprechende Verfahren eingerichtet und regelmäßig durchgeführt werden. In der Praxis werden bei Industrieunternehmen Stresstests und Szenarioanalysen z.B. im Rahmen der Risikotragfähigkeitsanalysen im RMS noch nicht flächendeckend eingesetzt. Berücksichtigung strategischer Risiken
Strategische Risiken mit langfristiger oder disruptiver Auswirkung sind idealerweise im RMS und den daraus resultierenden Berichten an die Unternehmensorgane zu berücksichtigen. Sollte eine separate Betrachtung und Berichterstattung über strategische Risiken genutzt werden, sind die Unternehmensorgane darüber zu informieren. In der Praxis werden in Risikoberichten an die Unternehmensorgane neben kurzfristigen operativen Risiken, die häufig angemessen zu quantifizieren sind, auch strategische Risiken mit einer zunächst qualitativen Risikoeinschätzung berichtet (z.B. in Form eines strategischen Risikoradars). Ganzheitliches Resilienzmanagement
Das RMS dient als wichtige Basis zur Information und Steuerung in Bezug auf die Risikolage des Unternehmens. Gerade in herausfordernden Zeiten bzw. Krisenzeiten ist die Harmonisierung des RMS mit insbesondere dem Business-Continuity-Management, dem Notfall- und Krisenmanagement sowie dem Informationssicherheitsmanagement des Unternehmens im Sinne eines ganzheitlichen Resilienzmanagementansatzes von besonders hoher Bedeutung. Nutzung künstlicher Intelligenz
Aufgrund in der Regel dynamischer Entwicklungen von Risiko- und Bedrohungslage in besonders herausfordernden Zeiten bzw. Krisenzeiten empfiehlt es sich, auf die Nutzung künstlicher Intelligenz nach aktuellem Stand der Technik zurückzugreifen und die Abläufe zu beschleunigen. Dies betrifft insbesondere analytische Tätigkeiten wie z.B. Risikoanalysen, um möglichst zügig relevante Impulse in Bezug auf die Evaluierung von Risiken wahrnehmen zu können. Dabei ist es von hoher Bedeutung, dass die Ergebnisse aus der Nutzung künstlicher Intelligenz durch die funktions- und fachspezifischen Experten des Unternehmens validiert und ggf. justiert werden. Turnus zur Überprüfung der Risikomanagementprozesse
In besonders herausfordernden Zeiten ist eine regelmäßige und ggf. außerordentliche Überprüfung der Risikomanagementsysteme erforderlich, um auf die entsprechend besonders dynamischen Risikoentwicklungen reagieren zu können. Schwächen oder Mängel sind dem Vorstand und dem Aufsichtsrat mitzuteilen, und Korrekturmaßnahmen müssen zeitnah umgesetzt werden. Praktische Leitlinien für Aufsichtsräte Informationsrechte und Sitzungen
edes Aufsichtsratsmitglied kann die Einberufung des Aufsichtsrats verlangen, insbesondere bei außergewöhnlichen Risiken oder Krisensituationen. Die Sitzung muss binnen zwei Wochen stattfinden (§ 110 AktG). Mindestens zwei Sitzungen pro Kalenderhalbjahr sind Pflicht, um die laufende Überwachung sicherzustellen. Einbindung von Experten
Der Aufsichtsrat kann zur Überwachung und Prüfung externe Sachverständige hinzuziehen, um die Qualität der Risikobewertung zu erhöhen (§ 111 AktG). Transparenz und Berichterstattung
Der Aufsichtsrat ist verpflichtet, über seine Überwachungstätigkeit und die Ergebnisse der Prüfungen transparent an die Hauptversammlung zu berichten (§ 171 AktG). Schwächen im Risikomanagementsystem sind offenzulegen und Empfehlungen zur Verbesserung zu geben. Fazit und Zusammenfassung
- Der Aufsichtsrat trägt eine zentrale Verantwortung für die Überwachung des Risikomanagements, insbesondere in herausfordernden Zeiten bzw. Krisenzeiten.
- Er muss sich umfassend informieren, regelmäßig prüfen und aktiv Korrekturen einfordern.
- Ein wirksames RMS umfasst geregelte Risikomanagementkultur, -strategie, -aufbau- und -ablauforganisation sowie die regelmäßige Überprüfung und Verbesserung – stets angepasst an die individuelle Risikosituation und die Komplexität des Unternehmens.
- Ein adäquates Schnittstellenmanagement zwischen ganzheitlichem bzw. übergeordnetem RMS und funktionsspezifischen Risikomanagementansätzen ist sicherzustellen.
- Auf hinreichende Stresstests und Szenarioanalysen sowie die Berücksichtigung strategischer Risiken im Kontext des Risikomanagements ist zu achten.
- Gerade in Krisenzeiten ist die Harmonisierung des Risikomanagements mit Disziplinen wie dem Business-Continuity-Management, dem Notfall- und Krisenmanagement und dem Informationssicherheitsmanagement zu einem holistischen Resilienzmanagementansatz von besonderer Bedeutung.
- In Krisenzeiten steigen die Anforderungen an die Wachsamkeit und Handlungsgeschwindigkeit des Aufsichtsrats erheblich.
- Der rechtliche Rahmen verpflichtet zu Transparenz, Dokumentation und Berichterstattung über alle wesentlichen Überwachungsmaßnahmen und deren Ergebnisse.
René Scheffler Partner | Assurance | Deloitte Deutschland
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