Corporate Governance Inside

Accounting & Tax


Tax-Compliance-Management

­Eine Chance zur Enthaftung der gesetzlichen Vertreter und eine neue Möglichkeit für Prüfungserleich­terungen für die Konzernsteuer­abteilung in Außenprüfungen

Am 23. Mai 2016 erreichte das Compliance-Management auch das deutsche Steuerrecht. Viele deutsche Unternehmen haben im Hinblick auf diese überfällige Anpassung im Anwendungserlass zu § 153 AO – nach dem ein implementiertes Tax-Compliance-Management­system ein Indiz gegen Vorsatz oder Leichtfertigkeit der Organe im Hinblick auf Steuerverkürzung darstellen kann – Investitionen in ihr Kontrollumfeld für Steuern getätigt. Dieser Entwicklung folgend kann die Finanz­verwaltung seit dem 1. Januar 2023 allen Unternehmen mit einem niedrigen steuerlichen Risikoprofil, bei denen in einer Außenprüfung die Wirksamkeit ihres Steuerkontrollsystems bestätigt wurde, für ihre nächste Außenprüfung Beschrän­kungen von Art und Umfang der Ermitt­lungen zusagen. Hierbei handelt es sich um eine bis zum 31. Dezember 2029 befristete Erprobung alternativer Prüfungsmethoden, die leider bisher wenig genutzt worden ist, was sich dringend ändern sollte. Allgemeines Compliance-Management in Deutschland Die Basis für das Compliance-Management in Deutschland bildet das sog. Neubürger-Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts München I vom 10. Dezember 2013.1 Danach fällt das Compliance-Management grundsätzlich in die Gesamtverantwortung des Vorstands. Das Gericht formulierte auch konkrete Eckpunkte für eine angemessene Compliance-Organisation: Ein Compliance-Managementsystem ist an die operative Praxis des Unternehmens anzupassen, und die Anforderungen an die Compliance-Pflichten sind (risikoorientiert) abhängig vom Grad des Gefahrenpotenzials. Der Vorstand ist nicht nur gesetzlich verpflichtet, ein angemessenes Compliance-Managementsystem zu implementieren, sondern muss dessen Wirksamkeit auch regelmäßig überprüfen. Anwendungserlass zur Abgabenordnung als Startpunkt für Tax-Compliance-Managementsysteme Am 23. Mai 2016 zog das Compliance-Management auch ins deutsche Steuerrecht ein. Konkret erfolgte dies im Steuerverfahrensrecht und im Steuerstrafrecht, indem das Bundesfinanzministerium (nachfolgend BMF) den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (nachfolgend AEAO), eine interne Verwaltungsvorschrift, änderte.2 Der AEAO enthält hierzu seitdem zu § 153 AO (Berichtigung von Erklärungen) erstmals Eckpunkte und Vorgaben. Er erwähnt in Nr. 2.6 Satz 6 AEAO explizit ein „innerbetriebliches Kontrollsystem“, „das der Erfüllung steuerlicher Pflichten dient“. Gemeint ist damit ein Tax-Compliance-Managementsystem (nachfolgend Tax-CMS). Anlass der Änderung war, dass die CDU/CSU und die SPD – im Nachgang zur gesetzlichen Verschärfung der steuerlichen Selbstanzeige ab dem 1. Januar 20153 – erkannt hatten, dass es ein praktisches Bedürfnis in den Unternehmen und auch in der Finanzverwaltung nach mehr Rechtssicherheit bei der Abgrenzung einfacher Berichtigungen (§ 153 AO) von Selbstanzeigen (§ 371 AO) gab. IDW Praxishinweis 1/2016 Schon vor dem AEAO zu § 153 AO hatte das IDW mit dem IDW PS 980 („Grundsätze ordnungsmäßiger Prüfung von Compliance Management Systemen“) einen Prüfungsstandard geschaffen, der von vielen Unternehmen als Referenzpunkt für ihre entsprechenden Systeme verwendet wurde.4 Der IDW Praxishinweis 1/2016 („Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“; nachfolgend „PH 1/2016“) vom 31. Mai 2017 konkretisierte und operationalisierte – als direkte Reaktion auf den AEAO zu § 153 AO – den IDW PS 980 für die Besteuerung.5 In dessen neuer Fassung aus dem September 2022 (IDW PS 980 n.F.) wurden die Anforderungen an CMS präzisiert sowie an die aktuellen Entwicklungen und veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst.6 Im Nachgang zur Neufassung des IDW PS 980 plant das IDW im Spätherbst 2025 auch noch eine Überarbeitung des IDW PH 1/2016 zum Tax-CMS. Umsetzung durch die Unternehmen Als Reaktion auf den AEAO zu § 153 AO haben viele Unternehmen (freiwillig) ein Tax-CMS gemäß den Anforderungen des IDW PH 1/2016 für ihre materiellen Steuerarten aufgebaut und dieses im Hinblick auf seine Angemessenheit und ggf. auch Wirksamkeit durch einen Wirtschaftsprüfer prüfen lassen. Nach Nr. 2.6 Satz 6 des AEAO zu § 153 AO besteht seit dem 23. Mai 2016 eine Selbstbindung der Steuerverwaltung, nach der – bei einem implementierten angemessenen oder wirksamen Tax-CMS – Steuererklärungen sanktionsfrei berichtigt (§ 153 AO) und Sanktionen nach den §§ 30, 130 OWiG oder eine Haftung wegen Organisationsmängeln verhindert werden können.7 Weitere Erleichterungen oder Vergünstigungen für ein Tax-CMS (z.B. Prüfungserleichterungen) gewährte das BMF den Unternehmen bis zum 31. Dezember 2022 nicht. Zulässige Erleichterungen in Betriebsprüfungen Dies änderte sich durch das sog. DAC-7-Umsetzungsgesetz vom 20. Dezember 2022, mit dem in Art. 97 § 38 EGAO (nachfolgend § 38 EGAO) eine bis zum 31. Dezember 2029 befristete Erprobung alternativer Prüfungsmethoden eingeführt wurde.8 Die Gesetzesbegründung definiert nicht, welche Beschränkungen von Art und Umfang der Ermittlungen in einer Außenprüfung bei § 38 EGAO möglich sind. Allerdings kann die Gesetzesbegründung zu § 199 Abs. 2 Satz 3 AO n.F. („kooperative Außenprüfung“) zur Auslegung herangezogen werden. Danach sind alle Arten von Betriebsprüfungszusagen möglich, etwa die Festlegung eines Prüfungsplans für die Außenprüfung oder auch die Aussparung bestimmter Prüfungsfelder.

Enttäuschte Erwartungen der Unternehmen Die Finanzverwaltung kann seit dem 1. Januar 2023 allen Steuerpflichtigen mit einem niedrigen steuerlichen Risikoprofil, bei denen im Rahmen einer Außenprüfung die Wirksamkeit ihres Tax-CMS bestätigt wurde, für ihre nächste Außenprüfung – auf Antrag – Beschränkungen von Art und Umfang der Ermittlungen verbindlich zusagen. Frustrierend für interessierte qualifizierte Unternehmen ist, dass das BMF bisher noch keine Hinweise dazu veröffentlicht hat, welche Voraussetzungen für einen Antrag nach § 38 EGAO vorliegen müssen und welche Erleichterungen sich aus einem implementierten angemessenen oder wirksamen Tax-CMS ergeben. Die Finanzämter warten hierzu noch immer auf Vorgaben aus Berlin, die nach bald drei Jahren noch immer nicht vorhanden sind. Zudem erfolgt die Umsetzung unterschiedlich in den einzelnen Bundesländern, was auf Unverständnis der Unternehmen stößt, die die Voraussetzungen erfüllen und die im Hinblick auf ihre Tax-CMS-Investitionen von Prüfungserleichterungen profitieren wollen, diese praktisch aber kaum erhalten. Empfehlung zu Anträgen von Unternehmen Bei der Wirksamkeitsprüfung eines Tax-CMS handelt es sich um eine Systemprüfung, die eine Aussage über die Wirksamkeit und die praktische Effektivität eines steuerlichen Kontrollsystems über einen bestimmten Zeitraum trifft. Jede Wirksamkeitsprüfung umfasst immer auch eine Angemessenheitsprüfung. Aus § 38 Abs. 3 Satz 1 EGAO ergibt sich, dass das BMF die für die Anwendung der Prüfungserleichterungen notwendige Prüfung des steuerlichen Kontrollumfelds des Steuerpflichtigen durch die Finanzverwaltung auch als eine Systemprüfung sieht, was grundsätzlich dem Prüfungsansatz in IDW PS 980 entspricht. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung eines Tax-CMS wird eine Aussage über die Implementierung des in der Tax-CMS-Beschreibung zusammengefassten steuerlichen Kontrollsystems zu einem bestimmten Prüfungszeitpunkt getroffen sowie untersucht, ob die Regelungen des Tax-CMS geeignet sind, steuerliche Risiken für wesentliche Regelverstöße mit hinreichender Sicherheit rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern. Auch ein Tax-CMS, das nach IDW PH 1/2016 durch einen Wirtschaftsprüfer auf seine Angemessenheit und Wirksamkeit hin geprüft und bestätigt wurde, erlaubt damit einen Antrag auf Prüfungserleichterungen. § 38 Abs. 2 EGAO enthält keine detaillierte Tax-CMS-Definition und keinen Verweis auf einen Tax-CMS-Mindest- oder -Pflichtstandard, sodass neben IDW PS 980 auch andere Standards oder Regelwerke möglich sind. Im Gegensatz zur sog. begleitenden Kontrolle in Österreich (§§ 153a bis 153g BAO) ist in Deutschland die (externe) Prüfung des Tax-CMS durch einen Wirtschaftsprüfer keine gesetzliche Voraussetzung für einen Antrag des Steuerpflichtigen nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EGAO. Dies ermöglicht auch anschlussgeprüften Unternehmen, die ihr Kontrollumfeld für Steuern nach einem anderen Standard als IDW PH 1/2016 konzipiert und praktisch implementiert haben, einen Antrag auf Prüfungserleichterungen zu stellen. Fazit Viele deutsche Unternehmen haben im Hinblick auf den AEAO zu § 153 AO viel Zeit und Geld in ihr Tax-CMS investiert und sollten davon profitieren, indem sie Prüfungserleichterungen in Außenprüfungen erhalten. Um eine breite praktische Erprobung alternativer Prüfungsmethoden zu ermöglichen, sollten eine Wirksamkeits- oder Angemessenheitsprüfung eines Tax-CMS i.S.v. IDW PH 1/2016 immer berücksichtigt und die Prüfung des steuerlichen Kontrollumfelds durch die Finanzverwaltung (§ 38 Abs. 1 Satz 1 EGAO) hier auf ein Mindestmaß reduziert werden. Zur verfahrensrechtlichen Umsetzung sollte eine Kooperationsvereinbarung i.S.v. § 199 Abs. 2 Satz 3 AO zwischen dem Unternehmen und dem zuständigen Finanzamt abgeschlossen werden. Mit der Erprobung alternativer Prüfungsmethoden schloss Deutschland im internationalen Vergleich auf und setzte Regelungen zur Außenprüfung um, die in vielen Ländern bereits erprobt wurden und sich auch praktisch bewährt haben. Das Ziel sowohl der Finanzverwaltung als auch der interessierten qualifizierten Unternehmen sollte sein, bis zum 30. April 2029 (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EGAO) eine möglichst breite Anwendung und auch praktische Erprobung von § 38 EGAO mit dem Ziel einer dauerhaften gesetzlichen Nachfolgeregelung zu erreichen.

[1] Vgl. LG München I, Urteil vom 10.12.2013 – 5HK O 1387/10, abgerufen am 16.10.2025.

[2] Vgl. Deloitte, Abgrenzung der Berichtigung nach § 153 AO zur Selbstanzeige: BMF gibt im finalen Anwendungserlass Hilfestellungen, abgerufen am 16.10.2025.

[3] Vgl. Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.2014, BGBl. I 2014, S. 2415.

[4] Vgl. IDW, IDW PS 980, WPg Supplement 2011 S. 78 ff. = FN-IDW 2011 S. 203 ff.

[5] Vgl. IDW, Praxishinweis 1/2016 vom 31.5.2017, IDW Life 2017 S. 837 ff.

[6] Vgl. IDW, IDW PS 980 n.F. (9.2022), IDW Life 2022 Heft 12.

[7] Zur Rechtswirkung ermessensregelnder Verwaltungsanweisungen vgl. BFH vom 14.05.2009 – IV R 27/06, BStBl. II 2009 S. 881.

[8] Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/514 des Rates vom 22. März 2021 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Modernisierung des Steuerverfahrensrechts, BGBl. I 2022 Nr. 56 vom 28.12.2022.

StB Nils Irmert Partner | Tax Technology Consulting | Deloitte Deutschland

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StB Dr. Andreas Kowallik Partner | Tax Technology Consulting | Deloitte Deutschland

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