Corporate Governance Inside
Künstliche Intelligenz – Herausforderung für den Aufsichtsrat
KI-Ethik dekodiert: Rolle und Herausforderungen für Aufsichtsräte
Verstehen und Navigieren der ethischen, regulatorischen und sozialen Dimensionen von künstlicher Intelligenz
Einsatz von künstlicher Intelligenz – ein Balanceakt zwischen Potenzial und Ethik
Künstliche Intelligenz (KI) hat sich längst zu einem Kernelement moderner Geschäftsprozesse und Unternehmensstrategien entwickelt. Durch exponentiell fortschreitende Technologien sind Organisationen in der Lage, ihr Potenzial in allen Betriebsbereichen sowohl operativ als auch strategisch zu erweitern und dabei auf Innovation und Effizienz zu setzen. Es wird prognostiziert, dass die globalen ökonomischen Potenziale von KI (inklusive generativer KI) bis zum Jahr 2030 auf 13 bis 15,7 Billionen US-Dollar ansteigen werden. Vor allem die Einführung von ChatGPT vor gut einem Jahr wird immer häufiger als „iPhone-Moment“ beschrieben, der die Art und Weise, wie wir in Zukunft arbeiten, kommunizieren und miteinander interagieren werden, immens verändern wird. Und das nicht zu Unrecht – so hat ChatGPT innerhalb von zwei Monaten weltweit über 100 Millionen aktive Nutzer gewonnen und damit für erhebliches Aufsehen gesorgt.
Generative KI ist durch das Training mit riesigen Datensätzen in der Lage, kreative Ergebnisse zu erzeugen, automatisierte Aufgaben zu übernehmen und Anweisungen (sog. „Prompts“) von Bedienern – auch technologischen Laien – oder sogar anderen technologischen Instanzen umzusetzen. Sie schafft Texte, Bilder, Videos und Codes und kann diese miteinander kombinieren. Ihre Fähigkeiten umfassen neben Vergleichen auch Analyse und Kommunikation – und das in vielen Bereichen voll automatisiert.
Doch dieses Fortschrittsfeld kennzeichnet sich nicht nur durch revolutionäre Chancen und Vorteile, sondern wartet ebenso mit ethischen, sozialen und regulatorischen Herausforderungen auf, die für Unternehmen und deren Aufsichtsorgane zu adressieren sind. Die spezifischen Risiken generativer KI hängen unmittelbar mit der Funktionsweise und den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Technologie zusammen. Frühzeitige Maßnahmen zur Gewährleistung stetiger Qualität und zur Risikoabsicherung sind ein essenzieller Baustein, um Vertrauen in künstliche Intelligenz aufzubauen und die Transformation voranzutreiben.
KI-Ethik als neues Normensystem
Mit dem Einzug der künstlichen Intelligenz in nahezu alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche wächst gleichsam auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit ethischer Richtlinien und Standards. Die sich stetig entwickelnden Einsatzmöglichkeiten der KI – auch in relevanten Entscheidungsprozessen – erfordern verstärkte Aufmerksamkeit für ethische Fragestellungen.
Google-Suchanfragen, die als Indikator für gesellschaftliche Trends gelten, weisen mittlerweile eine hohe Relevanz des Schlagworts „KI-Ethik“ auf. So sind entsprechende Überlegungen Gegenstand zahlreicher Regulierungsanstrengungen auf nationaler und internationaler Ebene. Die Europäische Union hat sich vor Kurzem auf die weltweit erste KI-Gesetzgebung (EU AI Act) geeinigt. Doch auch in anderen Regionen ist das Bewusstsein für die revolutionäre Kraft der KI-Technologie vorhanden. So hat Joe Biden kürzlich eine Executive Order erlassen, unter der Federführung Großbritanniens ist die Bletchley Declaration entstanden und die G7 haben internationale Leitprinzipien für KI veröffentlicht. Gleichzeitig arbeiten verschiedene Organisationen und Initiativen mit Hochdruck daran, aktuelle Regulierungsbestrebungen zu strukturieren und entsprechende Standards und Gütesiegel zu entwickeln.
Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie neben der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben eine KI-Strategie entwickeln und implementieren müssen, die auch ethische Grundsätze, Datensicherheit und Datenschutz umfasst.
Ethische Aspekte von KI betreffen unter anderem Fragen nach Fairness, Transparenz und Rechenschaftspflicht im Umgang mit KI-Systemen, wobei Unternehmen sich diesen Anforderungen bewusst stellen und einen verantwortungsvollen und ethikbasierten Umgang mit KI sicherstellen müssen.

Diskussionen um KI-Ethik – ein Katalog komplexer Fragen
Im Kontext von KI und Ethik tauchen sehr unterschiedliche Themen auf. Dabei lassen sich für Unternehmen fünf Kernfragen destillieren:
- Sind Unternehmen mit einer strategischen Roadmap und ethischen Leitlinien ausgestattet, um verantwortungsvolle KI-Praktiken zu etablieren?
- Was zeichnet vertrauenswürdige KI-Systeme aus und welche Prinzipien liegen diesen zugrunde?
- Wie ist eine ethisch angemessene Anwendung von KI-Systemen definiert und wie stellen Unternehmen entsprechende Verhaltensweisen sicher?
- Wie wirken sich die regulatorischen Entwicklungen innerhalb der EU und auf internationaler Ebene auf Geschäftspraktiken und Innovationsfähigkeit aus?
- Welchen langfristigen Einfluss hat die KI-Transformation auf Geschäftsmodelle, Mitarbeitende und Gesellschaft?
Die Beantwortung dieser Fragen ist entscheidend für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Allerdings stellen komplexe Technologie, regulatorische Anforderungen, vielfältige Einsatzmöglichkeiten und Wettbewerbsdruck Führungskräfte vor erhebliche Herausforderungen, künstliche Intelligenz schnell und sicher zu implementieren. Vor allem stellt die interdisziplinäre Natur dieser Fragestellungen ein Hemmnis dar. Die Beantwortung setzt sowohl technische, regulatorische, ethische, soziale als auch strategische Kompetenzen voraus. So sehen sich Unternehmen damit konfrontiert, die nötige Expertise aufzubauen und entsprechende Rahmenstrukturen zu etablieren.
Führungsaufgaben im Kontext von KI und Ethik
Mit Blick auf die Aufsichtsorgane von Unternehmen erfordern Einführung und Nutzung von KI eine sorgfältige Beobachtung und Kontrolle. Vorstände und Geschäftsführer haben die Aufgabe, eine unternehmensspezifische KI-Strategie zu entwickeln, die den Einsatz von KI in Übereinstimmung mit ethischen Richtlinien sowie rechtlichen und regulatorischen Anforderungen sicherstellt. Dabei umfasst ihr Verantwortungsbereich beispielsweise das Vorlegen einer KI-Strategie, die Sicherstellung des verantwortungsvollen Einsatzes durch Qualitäts- und Governance-Maßnahmen sowie die Weiterbildung von Mitarbeitenden im Umgang mit KI.
Aufsichtsräte sollten darauf hinwirken, dass die Unternehmen über ein wirksames Risikomanagement verfügen und KI-Anwendungen in Übereinstimmung mit den etablierten ethischen Richtlinien und rechtlichen Bestimmungen eingesetzt werden. Darüber hinaus beraten sie den Vorstand bezüglich möglicher Risiken und Chancen, die mit dem Einsatz von KI verbunden sind, um geeignete Kontroll- und Überwachungsmechanismen zu etablieren.
In Anbetracht der beschriebenen Herausforderungen und Potenziale gilt es für Unternehmen, sich proaktiv mit den ethischen Dimensionen der KI auseinanderzusetzen und hierfür adäquate Strukturen und Maßnahmen zu entwickeln. Nur so kann das nötige Vertrauen gebildet werden, um die Innovationskraft von KI voll auszuschöpfen. Dies setzt nicht nur geeignete Governance-Strukturen voraus, sondern erfordert auch einen Dialog aller relevanten Stakeholder, um einen verantwortungsvollen und nachhaltigen Einsatz von KI zu gewährleisten.
Pioniere in der Implementierung von KI-Ethik stammen aus verschiedenen Sektoren. Ob ein ethisches Rahmenwerk als zentrale Säule einer effektiven KI-Strategie angesehen wird, hängt aktuell maßgeblich sowohl vom digitalen Reifegrad der Unternehmen ab, als auch von den individuellen Daten- und KI-Kompetenzen in der Führungsriege. Typische Maßnahmen und Building Blocks von KI-Ethik sind das Schaffen von Verantwortlichkeiten im Vorstand und Aufsichtsrat, die Schulung von Führungskräften, das Verfassen von KI-Ethikleitlinien im Stakeholderdialog sowie das Errichten eines internen und/oder externen KI-Ethikrats.
KI-Ethik als Enabler der digitalen Transformation
Im Kontext einer zunehmend digitalen und technologiegetriebenen Wirtschaft können nur jene Unternehmen erfolgreich sein, die es schaffen, fortwährend innovative Lösungen zu entwickeln, ohne dabei die wachsenden ethischen und rechtlichen Herausforderungen zu vernachlässigen. Für die Unternehmensführung bedeutet das, sich aktiv mit den ethischen Aspekten von KI auseinandersetzen zu müssen und hier einen Balanceakt zwischen Innovationsstreben und ethischer Verantwortung zu meistern. Dabei ist es essenziell, einen entsprechenden Einsatz von KI nicht als bürokratische Hürde, sondern vielmehr als Chance zu begreifen, das Vertrauen von Kunden, Mitarbeitenden und der Gesellschaft zu stärken („Digital Trust“) und langfristig nachhaltige Geschäftsmodelle zu etablieren.
Dr. Sarah J. Becker Partnerin | Digitale Ethik & Corporate Digital Responsibility | Deloitte Deutschland
Isabel Gadea Senior Managerin | Deloitte Deutschland
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