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Accounting & Tax
(Generative) KI in der Steuerfunktion – Hype oder Gamechanger?
Im Zeitalter der vierten industriellen Revolution eröffnet die künstliche Intelligenz (KI) als Schlüsseltechnologie weite Chancen, um verschiedene Unternehmensbereiche grundlegend zu transformieren. Die Kombination von maschineller Rechenleistung und menschlicher Expertise ermöglicht eine Revolutionierung der Steuerfunktionen. Insbesondere der aktuelle Hype um Large Language Models (LLM) als Basis generativer KI eröffnet neue Potenziale zur Effizienzsteigerung. Angesichts strengerer Vorschriften und sich rasch wandelnder Geschäftsmodelle ist die Auseinandersetzung mit KI und ihren Chancen sowie Risiken auch von entscheidender Bedeutung für Mitglieder des Aufsichtsrats. Diese Technologien tragen nicht nur zur Effizienzsteigerung der Funktionen bei, sondern unterstützen insbesondere auch die Sicherstellung der Einhaltung gesetzlicher Steuervorschriften und reduzieren potenzielle Risiken.
Das Potenzial einer Schlüsseltechnologie
KI-basierte Lösungen, insbesondere die generativer KI, sind in der Lage, komplexe Anforderungen zu bewältigen. Aktuelle Studien prognostizieren eine Effizienzsteigerung von bis zu 25 Prozent und eine Qualitätssteigerung von bis zu 40 Prozent bei Wissensarbeiter:innen wie Steuerfachleuten durch den Einsatz dieser Technologien.1 Sie verarbeiten und interpretieren sowohl Daten als auch Anweisungen, lernen aus interaktiven Interaktionen mit Datensätzen und Menschen und treffen Entscheidungen auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse. Darüber hinaus reagieren sie auf sich ändernde Situationen und Anforderungen mit hoher Genauigkeit und logischer Konsistenz. Dieses enorme Potenzial hat bereits dazu geführt, dass 76 Prozent der Organisationen in Europa2 am Einsatz von generativer KI interessiert sind und aktiv in diesen Bereich investieren, um die prognostizierte Effizienzsteigerung von 30 Prozent in finanzbezogenen Funktionen für sich zu realisieren.3
Die Implementierung generativer KI kann im Zuge der digitalen Transformation Unternehmen ermöglichen, Transaktionsdaten transparenter zu gestalten. Dies unterstützt die Steuerfunktionen dabei, Effizienz, Qualität und Compliance zu erhöhen und gleichzeitig Kosten zu reduzieren. Zudem kann der Einsatz solcher Technologien zu einer Entlastung der Mitarbeitenden von routinemäßigen Aufgaben führen und zugleich den Mehrwert erhöhen, das Risikomanagement optimieren und entscheidende Geschäftsinformationen liefern.
Funktionsmöglichkeiten und Anwendungsbeispiele
In der Vergangenheit wurde die zeitaufwendige und umfassende Prüfung von Unternehmensabschlüssen zur Ermittlung steuerlicher Auswirkungen größtenteils von Steuerspezialist:innen durchgeführt. Ein Prozess, der ein hohes Maß an Wissen und Expertise erfordert. Der Einsatz von KI ermöglicht es nun, dass Maschinen die meisten dieser Aufgaben in Bruchteilen von Sekunden erledigen – mit höherer Genauigkeit und Konsistenz. Dies entlastet die Steuerteams erheblich und ermöglicht es ihnen, einen wertvolleren Beitrag für ihr Unternehmen zu leisten.
Regelmäßig verbringen Steuerteams 80 Prozent ihrer Arbeitszeit mit der Sammlung von Daten und nur 20 Prozent mit deren Analyse. Durch den Einsatz von KI-Technologien könnten dieses Verhältnis nahezu umgekehrt und ein enormer Mehrwert erzielt werden.
Die Integration von KI in die Steuerfunktion kann erheblich dazu beitragen, den manuellen Aufwand für die Einhaltung der sich stetig erneuernden und ergänzenden regulatorischen Änderungen zu reduzieren. KI verändert die Kategorisierung und Analyse von Reporting-Daten (z.B. Gewinn- und Verlustrechnung) für Steuer- und Berichtszwecke erheblich. Beispielsweise nutzen automatisierte Hauptbuchprüfungswerkzeuge bereits maschinelles Lernen, einen Aspekt von KI, um Daten auf Transaktionsebene für eine Vielzahl von Steuer und Berichtszwecken zu optimieren. Dieser Transformationsschritt ist angesichts der steigenden Datenmengen und des Kostendrucks in den Finanz- und Steuerabteilungenfunktionen, der Beschleunigung von Reporting- und Compliance-Initiativen sowie der zunehmenden Anforderungen der Verwaltung unbedingt notwendig.
Neben den skizzierten Anwendungsfällen, die im Wesentlichen darauf beruhen, dass Algorithmen durch induziertes Lernen Muster erkennen oder Prozesse wiederholen, eröffnet generative KI durch ihre Fähigkeit, neue Inhalte zu generieren, ein ganzes Spektrum weiterer Anwendungsfälle. Basierend auf Texttransformatoren, einer Untergruppe künstlicher neuronaler Netze, ermöglicht generative KI die Generierung neuer und einzigartiger visueller, schriftlicher und auditiver Inhalte mithilfe vortrainierter Large Language Models (LLMs). Dabei nutzt sie die parallele Vorhersage des „nächsten Wortes“ unter Berücksichtigung von Positionskodierung, Aufmerksamkeit und Selbstaufmerksamkeit in natürlicher Sprache. Seit wenigen Monaten hat diese Technologie starke mediale Aufmerksamkeit erhalten durch die breite Verfügbarkeit von Anwendungen wie ChatGPT, die das Erleben einer so stark individualisierenden KI der breiten Masse zugänglich gemacht haben.
Im professionellen Kontext erlaubt der Einsatz von generativer KI nicht mehr nur die Reproduktion von Daten oder Prozessen aus der Vergangenheit, sondern auch die Erstellung neuer Inhalte. Dies öffnet nun auch kreativere Bearbeitungsprozesse wie die Erstellung von Gutachten, steuerlichen Argumentationen oder das Verfassen von Compliance-Richtlinien für den Einsatz von KI. Darüber hinaus dient sie als Kommunikationsmedium und kann das für Unternehmen regelmäßig schwer konsumierbare steuerliche Fachwissen herunterbrechen und eine zielgruppengerechte Kommunikation ermöglichen.

KI als virtueller Assistent
Der jüngste Technologiesprung bei der Erstellung neuer Inhalte zeigt jedoch, dass wir teilweise erst an der Oberfläche des Potenzials kratzen und der Einsatz in Unternehmen noch in den Kinderschuhen steckt.
KI wird sich kurzfristig zu einem grundlegenden Werkzeug entwickeln, das in alle IT-Anwendungen eingebettet ist, um Unternehmen bei all ihren Compliance-Anforderungen zu unterstützen, einschließlich der Verwaltung von Rechtsbehelfsverfahren, der Dokumentation von Verrechnungspreisen und der Analyse sowie der Erstellung von Berichten. Generative KI erweitert diese Möglichkeiten, um die Unterstützung bei komplexen Gestaltungsaufgaben wie Steuerstreitigkeiten und Steuerplanung radikal zu verändern.
Dabei wird sich KI immer mehr zu einem virtuellen Assistenten entwickeln, der jederzeit zur Verfügung steht, um die Steuerexperten bei der Ausschöpfung ihres vollen Potenzials zu unterstützen. Ein Beispiel, wie diese Zukunft aussieht, wird bereits heute mit Microsoft Copilot deutlich.4 Hier steht in allen Microsoft-Anwendungen ein virtueller Copilot zur Verfügung, der nicht angesteuert werden muss, sondern im Gegenteil ein ständiger Begleiter ist.
Mensch-Maschinen-Interaktion
Die sich rasch entwickelnden Bereiche des maschinellen Lernens wie der Datenextraktion und des kognitiven Computings werden in den nächsten zehn Jahren erhebliche Fortschritte in der KI ermöglichen. Trotz all dieser Entwicklungen wird die KI die menschliche Arbeitskraft nicht ersetzen, sondern vielmehr dazu beitragen, die Arbeitsweise der Steuerfachleute zu optimieren und auf ihr Spezialgebiet auszurichten. Darüber hinaus wird KI den Steuerexpert:innen ermöglichen, effizienter, intelligenter und schneller zu arbeiten, sodass sie sich auf fachlich anspruchsvollere Aufgaben konzentrieren können.
KI schafft bereits heute neue Berufsprofile, die es bisher nicht gab, wie zum Beispiel den Solution Architect, der sowohl technologische als auch steuerliche Kenntnisse haben muss oder Prompt-Engineers, die die Befehle für Sprachmodelle entwerfen und spezifizieren, um die Ergebnisse möglichst genau auf den jeweiligen Anwendungsfall auszurichten. Auch hier ist es unabdingbar, dass die steuerlichen Inhalte verstanden werden, um die Technologie als Werkzeug nutzen zu können. Diese hybriden Profile kombinieren technologische Affinität mit steuerrechtlicher Exzellenz, wodurch KI-unterstützte Arbeit insgesamt attraktive Karrieremöglichkeiten schafft, die Spitzenkräfte anziehen und halten.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass KI-Tools niemals die menschlichen Fähigkeiten der Skepsis, Interpretation und Bewertung ersetzen können, sodass der Bedarf an erfahrenen und hochqualifizierten Steuerexpert:innen mit ihrem fundierten Urteilsvermögen bestehen bleibt. Vielmehr wird ein Tandem aus menschlicher und künstlicher Intelligenz entstehen, welches auf eine Arbeitsweise zurückgreift, die auch ohne KI im Bereich Steuern tägliche Praxis ist: das Vier-Augen-Prinzip oder auch den Review. Die Ergebnisse müssen immer wieder auf das Genaueste überprüft und ergänzt werden, daran ist der Berufsstand auch heute bereits stark gewöhnt.
Das Training von KI-Anwendungen erfordert das Fachwissen von Steuerprofessionals, sodass die Rolle des Menschen durch Technologie erweitert wird. Sämtliche Technologiesprünge in der Vergangenheit haben deutlich gezeigt, dass die menschliche Arbeitskraft nicht ersetzt wird, sondern sich vielmehr ein höher qualifiziertes Tätigkeitsfeld eröffnet. Während der industriellen Revolution z.B. führte die Einführung mechanischer Webstühle nicht zum Verlust von Arbeitsplätzen, sondern schuf neue hochqualifizierte Jobs für Ingenieure und Mechaniker, die diese Maschinen warten und verbessern mussten – ein Beispiel, welches die Aussicht auf eine ähnliche Entwicklung im Zeitalter der KI-Revolution untermauert. Das Training von KI-Anwendungen erfordert das Fachwissen von Steuerfachleuten, sodass die Rolle des Menschen durch die Technologie erweitert wird. Dort, wo z.B. bisher ein Abgleich der Bescheiddaten mit der übermittelten Steuerklärung erfolgt, wird durch den Einsatz von KI eine entsprechende Datenextraktion mit Mapping durchgeführt und der Steuerexperte kann sich auf die qualitative Arbeit der Durchführung eines Rechtsbehelfsverfahrens konzentrieren. Dazu gehört auch eine neue Fehlerkultur, denn weder Menschen noch Maschinen agieren fehlerfrei, aber sie machen unterschiedliche Fehler, die im Zusammenspiel ausgeglichen und minimiert werden können.

Steuerfunktion macht sich bereit für KI
Schließlich stehen die meisten Unternehmen wie auch die KI noch am Anfang ihrer Reise mit der Technologie. Die Organisationen werden oft nicht durch einen Mangel an Personal zurückgehalten, sondern durch einen Mangel an Wissen über die möglichen Anwendungen der Technologie. Im aktuellen KI-Aufschwung ist es jedoch sowohl für die Effizienz des eigenen Unternehmens als auch für die Qualität der Compliance und die nachhaltige Bindung der Arbeitskräfte unerlässlich, KI auf die Agenda der Steuerfunktion zu setzen, um nicht von den rasanten Entwicklungen abgehängt zu werden.
Aktionsplan für die KI-Readiness der Steuerfunktion:
- Bewertung des aktuellen digitalen Reifegrads der Steuerfunktion: Durchführung einer umfassenden Analyse der aktuellen Nutzung digitaler Technologien und Methoden
- Definition zukünftiger Ziele: Klare Ziele für die Entwicklung und den Fortschritt hin zur vollen KI-Readiness
- Bereiche mit KI-Potenzial identifizieren: Identifikation von Bereichen, in denen der Einsatz von KI-Technologien einen signifikanten Mehrwert bringen kann
- Nutzung von Partnerschaften: Aufbau von Partnerschaften, um geeignete Werkzeuge, APIs und Lerndatensätze zu identifizieren und zu nutzen
- Bereitstellung von Steuerexperten mit technischem Fachwissen: Sicherstellung der Verfügbarkeit von Experten, die sowohl über steuerliches als auch über technisches Fachwissen verfügen
- Start eines Pilotprojekts: Planung und Durchführung eines Projekts zur Erforschung und Bewertung des zukünftigen Potenzials von KI im Kontext der Steuerfunktion
Die Deloitte Garage for Tax & Legal unterstützt Steuerfunktionen bei der Vorbereitung auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) durch steuerliche Expertise, methodisches und technisches Know-how und interaktive Workshops. Sie bietet einen ganzheitlichen Zugang zum Thema KI und hilft Steuerfunktionen, die Potenziale dieser Technologie zu verstehen und in ihre Arbeitsabläufe zu integrieren.
Schließlich lässt sich festhalten, dass auch die Steuerfunktion wie sämtliche Unternehmensbereiche KI in die Weiterentwicklung ihrer Funktionen integrieren sollte, um die eigene Zukunftsfähigkeit zu gewährleisten. Der hohe regulatorische Druck, der Kampf um Talente und der Zwang zur Effizienzsteigerung und Kostenreduzierung können durch die Integration von KI in verschiedenste Prozesse gemeistert werden. Die Erschließung dieses Potenzials ist eine der großen Aufgaben unserer Zeit und bedarf der Entschlossenheit und Unterstützung der Unternehmensführung.
1 Vgl. Dell’Acqua et al.: Navigating the Jagged Technological Frontier: Field Experimental Evidence of the Effects of AI on Knowledge Worker Productivity and Quality Fabrizio, 2023.
2 Vgl. Kurtzman, Wayne: Collaboration: IDC’s Future Enterprise Spending and Resiliency Survey – Spending Rises Globally and Across Verticals, IDC, 2023.
3 Vgl. Deloitte: CFO Survey Herbst 2023: Neue Investitionsstrategien, Potenziale von KI und Outsourcing, 2023.
4 Copilot for Microsoft 365 – Microsoft Adoption.
Kristiina Coenen Director | Tax & Legal Garage | Deloitte Deutschland
Wiebke Trost Manager | Tax & Legal Garage | Deloitte Deutschland
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