Corporate Governance Inside
Künstliche Intelligenz – Herausforderung für den Aufsichtsrat
Makrotrends 2024: Konjunktur mit leichter Aufwärtstendenz
Geopolitik und KI werden Jahr prägen
Die 2020er-Jahre waren bisher von einem hohen Maß an Unsicherheiten geprägt. Auch 2024 werden diese nicht verschwinden. Im Vergleich zu 2023 gibt die Konjunktur in Deutschland im laufenden Jahr allerdings Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Auf der politischen und technologischen Ebene dürften vor allem das globale Superwahljahr, die anhaltenden geopolitischen Spannungen, aber auch die makroökonomischen Effekte des zunehmenden Einsatzes von künstlicher Intelligenz das Jahr 2024 bestimmen.
Rückblick
2023 war ein konjunkturell durchwachsenes Jahr mit zwei sehr unterschiedlichen Hälften. Nachdem sich einige der zuvor erwarteten Risiken nicht materialisierten, war die erste Hälfte des Jahres überraschend positiv. So kam es weder zu einer großen Energiekrise in Deutschland und Europa, die die Wirtschaft in eine schwere Rezession gestürzt hätte, noch eskalierte die Situation um die Silicon Valley Bank und die Credit Suisse zu einer Krise im Bankensektor. Die USA konnten trotz der schnell steigenden Zinsen eine Rezession vermeiden und China beendete die Covid-Beschränkungen früher als erwartet. Das zweite Halbjahr verlief jedoch schlechter als erwartet, vor allem weil die Inflation hartnäckiger war als zu Beginn des Jahres angenommen und die Zentralbanken sehr entschlossen mit einer Anhebung der Zinssätze reagierten, was sich naturgemäß negativ auf die Konjunktur auswirkte. Immerhin entwickelte sich die Inflation damit allerdings sehr deutlich zurück und sank in Deutschland im Jahresverlauf von 8,7 auf 3,7 Prozent im Dezember.1 Insgesamt wuchs die Weltwirtschaft 2023 mit mäßigen 2,9 Prozent. Deutschland war das Schlusslicht unter den Industrieländern mit einem Rückgang des Wachstums von 0,3 Prozent.2

Basisszenario 2024: leichte Erholung mit Hang zur Stagnation
Einige makroökonomische Entwicklungen für 2024 sind absehbar. Investitionen dürften angesichts der hohen Zinsen keinen merklichen Impuls für die Konjunktur liefern. Auch für Deutschlands Exporte dürfte es kein leichtes Jahr werden – die wichtigsten Exportmärkte, die USA und China, haben mit ihren eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die US-Wirtschaft mit dem hohen Zinsanstieg, dessen Folgen sich jetzt erst bemerkbar machen; ein „soft landing“ ist das positivste Szenario für die US-Wirtschaft, aber auch eine Rezession ist nicht ausgeschlossen. Chinas Wirtschaft leidet unter Schwierigkeiten am Immobilienmarkt und damit einhergehend schwachem Verbrauchervertrauen. Die Prognosen für die Weltwirtschaft gehen 2024 von einem leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung aus, die OECD spricht von -2,7 Prozent.3
Damit bleibt als Konjunkturstütze der private Konsum. Hier sehen die Vorzeichen besser aus. Die Arbeitsmärkte dürften weiterhin stabil fortschreiten, dank der demografischen Entwicklung bleiben Arbeitskräfte knapp. Zusammen mit den Ersparnissen aus der Corona-Zeit haben die Arbeitsmärkte schon im letzten Jahr dafür gesorgt, dass die Konsumausgaben relativ konstant geblieben sind, obwohl die Konsumentenstimmung tief gefallen ist. Wie stark der Konsum sich entwickelt, wird von den Realeinkommen abhängen, und die wiederum vom Inflationsgeschehen. Generell gilt für 2024, dass dank weiter zurückgehender Preissteigerungen eher auf eine Erholung zu hoffen ist.
Der Dreh- und Angelpunkt für die Wirtschaft wird der Zeitpunkt sein, an dem die Europäische Zentralbank beginnt, die Zinsen zu senken. Im Basisszenario von Deloitte Economic Research wird dies am Anfang des dritten Quartals erfolgen. Zusammen mit anderen Faktoren würde das in einem Wachstum in Deutschland von 0,4 Prozent resultieren. Sicherlich ein Fortschritt im Vergleich zu 2023, aber weit entfernt von einer dynamischen Erholung. In dieser Hinsicht wird 2024 ein Übergangsjahr sein, das zeigen wird, ob die deutsche Wirtschaft auf einen höheren Wachstumspfad zurückkehren kann. Unter den G20-Volkswirtschaften dürfte Deutschland auch 2024 sehr weit abgeschlagen bleiben. Das dynamischste Land hierbei bleibt laut OECD-Prognose – wie bereits 2023 – Indien, während die Eurozone insgesamt etwas stärker wachsen dürfte als Deutschland.4
Risikofaktoren und Szenarien für die Konjunktur
Vor allem angesichts der geopolitischen Unsicherheiten mangelt es nicht an Risikofaktoren für die Konjunkturprognose. Die wichtigste negative Entwicklung wäre eine Eskalation des Krieges im Nahen Osten, die zu einem Anstieg der Ölpreise führen könnte. Ebenso könnte sich der Inflationsdruck – insbesondere aufgrund steigender Löhne – als stärker erweisen als erwartet, sodass die Geldentwertung höher bleibt und erst später Zinssenkungen vorgenommen werden. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass die verzögerten Wirkungen der Zinserhöhungen die USA doch noch in eine Rezession stürzen. Sollte sich einer oder eine Kombination dieser Faktoren materialisieren, wäre eine zumindest leichte Rezession von - 0,1 Prozent in Deutschland kaum zu vermeiden. In einem positiveren Szenario kehren sich diese Faktoren um – mit rasch sinkender Inflation, früheren Zinssenkungen, einer stärkeren Investitionstätigkeit sowie einer besseren Entwicklung in den USA und China ist ein stärkeres Wachstum von 0,9 Prozent möglich.
Abb. 1 – BIP-Szenarien für 2024

Quelle: Deloitte Research (2024).
Makro-Themen 2024
Die wichtigsten Faktoren für die Wirtschaft neben der konjunkturellen Entwicklung dürften 2024 Wahlen, Geopolitik und Technologie in Form von künstlicher Intelligenz (KI) sein.
Das globale Superwahljahr
Erstens ist 2024 ein globales Superwahljahr. In mehr als 50 Ländern wird es nationale Wahlen geben, über die Hälfte der Weltbevölkerung wird an die Urnen gerufen. Wahlen finden in Taiwan, der Europäischen Union, Österreich, Finnland, Belgien, Indien, den USA, dem Vereinigten Königreich und vielen anderen Ländern statt. Damit ist absehbar, dass das Jahr politisch in erster Linie von Wahlkämpfen geprägt und politisch aufgeladen sein wird. Die wichtigsten Wahlen werden zweifelsfrei die in den USA sein, bei denen Wahlforscher aktuell Donald Trump mit weitem Abstand bei den republikanischen Vorwahlen vorne sehen, wie auch in wichtigen Swing States bei einem Duell mit dem Amtsinhaber Joe Biden.5 Dieses Szenario hätte nicht nur sehr weitreichende sicherheitspolitische Folgen für Deutschland und Europa, auch eine Politisierung der Handelspolitik wäre sehr wahrscheinlich.
Geopolitische Umbrüche und Risiken
Zweitens bleibt die Geopolitik bestimmender Faktor für die Wirtschaft. Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten sind aktuell von einem Ende weit entfernt und eine Eskalation jederzeit möglich. Auch die Spannungen zwischen China auf Taiwan dürften anhalten, sodass auch hier die Gefahr einer Zuspitzung besteht. Generell verschiebt sich das Machtgleichgewicht im internationalen System, das Ergebnis bleibt jedoch offen und abzuwarten. Die BRIC-Staaten erweitern sich im Januar 2024 um Saudi-Arabien, Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Argentinien, Ägypten und Äthiopien. Damit umfassen sie 37 Prozent des globalen BIP und 46 Prozent der Weltbevölkerung. Einigendes Band trotz großer Interessenunterschiede sind eine anti-westliche Agenda und das Ziel der De-Dollarisierung der Weltwirtschaft. Für die Wirtschaft bedeuten die geopolitischen Umbrüche, dass Fragen zu geopolitischen Risiken, besonders im Hinblick auf Lieferketten, Absatzmärkte und Investitionen, neue Priorität erlangen.
Künstliche Intelligenz in der Anwendung
Drittens dürfte 2024 von der zunehmenden Anwendung von künstlicher Intelligenz geprägt werden. Die Erwartungen, die sich in den steigenden Kursen von KI-Firmen gezeigt haben, könnten 2024 in den Unternehmen ankommen. In makroökonomischer Hinsicht wird entscheidend sein, wie groß die Auswirkungen auf die Produktivität sein werden und wie schnell sie eintreten können.
In den letzten Jahrzehnten war das Produktivitätswachstum in den Industrieländern trotz Digitalisierung sehr gering, während gleichzeitig der demografische Wandel ein höheres Produktivitätswachstum und ein neues Level an Automatisierung erfordert. Künstliche Intelligenz ist dabei der meistversprechende Lichtblick. Projektionen für die Implementierung von KI und ihren Produktivitätseffekten zeigen, dass die größten Auswirkungen mittelfristig (ab 2027) zu erwarten sind und sowohl Produktivität und Wirtschaftswachstum deutlich steigern können, wenn eine kritische Masse der Unternehmen KI anwendet. Analysen gehen davon aus, dass KI das Wachstum in den USA in den nächsten zehn Jahren um durchschnittlich 0,4 und in anderen Industrieländern um 0,3 Prozent steigern kann.6
Insgesamt dürfte 2024 sicherlich kein ruhiges Jahr werden. Im Hinblick auf die Konjunktur und die Frage, welches Szenario eintritt, sollten Aufsichtsräte vor allem die Inflationsentwicklung, das Timing der Zinspolitik und die Konsumausgaben im Blick behalten. Genauso wichtig wird sein, geopolitische Risiken und Umbrüche mit ihren Auswirkungen auf das eigene Unternehmen systematisch in das Risikomanagement einzubeziehen.
1 Statistisches Bundesamt (2024): „Verbraucherpreisindex und Inflationsrate“, abgerufen am 9.1.2024.
2 OECD (2023): „Germany“, abgerufen am 9.1.2024.
3 OECD (2023): „OECD Economic Outlook, November 2023“, abgerufen am 9.1.2024.
4 OECD (2023): „Germany“, abgerufen am 9.1.2024.
5 Projects 538 (2024): „Who’s ahead in the national polls”, abgerufen am 9.1.2024.
6 Goldman Sachs (2023): „AI may start to boost US GDP in 2027”, abgerufen am 9.1.2024.
Dr. Alexander Börsch Chefökonom & Director Research
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