Corporate Governance Inside
Interview mit Christoph Schenk
Smart Audit: Die Zukunft der Wirtschaftsprüfung

"Primär sehe ich im Einsatz von künstlicher Intelligenz einen erheblichen Effizienz- und Qualitätsgewinn.“
Christoph Schenk, Managing Partner Audit & Assurance
Christoph Schenk ist Geschäftsführer von Deloitte und Managing Partner Audit & Assurance. Zudem ist er Mitglied der globalen Audit & Assurance Executive von Deloitte. Er ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater und besitzt mehr als 25 Jahre Berufserfahrung in der Prüfung börsennotierter multinationaler Konzerne. Auf Basis seiner Erfahrung, als Wirtschaftsprüfer in vielen unterschiedlichen Jurisdiktionen gearbeitet zu haben, berät er Vorstände und Aufsichtsräte globaler Unternehmen in allen Fragen der Corporate Governance.
Herr Schenk, mit Smart Audit verbindet man in erster Linie intelligente Anwendungen, einschließlich künstlicher Intelligenz. Maschinen, ausgestattet mit künstlicher Intelligenz, begleiten uns mal besser, mal weniger gut getarnt auf Schritt und Tritt. Was macht für Sie als Audit Business Lead künstliche Intelligenz aus?
Christoph Schenk: Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Fragen Sie mal zum Spaß Siri auf Ihrem iPhone, was künstliche Intelligenz ist. Siri wird antworten: „ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem maschinellen Lernen befasst“. Der Begriff sei „schwer definierbar“, da es bereits an einer genauen Definition von „Intelligenz“ mangelt. Finde ich amüsant.
Fakt ist, dass die Beziehungen zwischen Menschen und Maschinen immer enger werden. Die entscheidenden Fragen, die man vor allem auch als Wirtschaftsprüfer stellt, sind: Wo unterstützt künstliche Intelligenz im Rahmen der Abschlussprüfung? Wie kann sie sinnvoll in einem Unternehmen als Teil des internen Kontrollsystems genutzt werden? Wie kann sie da jeweils schaden? Was können wir in Zukunft erwarten? Und was können unsere digitalen Assistenzen schon heute im Rahmen der Unternehmenssteuerung und -überwachung?
Wie beantworten Sie die ersten Fragen – welchen Nutzen sehen Sie, künstliche Intelligenz (KI) in der Abschlussprüfung einzusetzen, und wo sind Ihrer Meinung nach Grenzen oder gar Risiken?
CS: Primär sehe ich im Einsatz von künstlicher Intelligenz einen erheblichen Effizienz- und Qualitätsgewinn. Eine Definition von „intelligent“ ist, wenn ein Tool oder eine Solution, das bzw. die wir in der Abschlussprüfung nutzen, ein „Problem oder eine Fragestellung in einem bestimmten Zeitraum löst“. Was früher in mühsamer Arbeit in Stichproben aus Unternehmensdaten ermittelt und eingeordnet wurde, können unsere Prüfer jetzt mithilfe von Tools „intelligent“ und automatisiert analysieren. Dabei dient KI als Entscheidungsunterstützung, um Auffälligkeiten zu identifizieren und zu bewerten. Wirtschaftsprüfer können sich dank der Unterstützung durch KI noch stärker auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit den wesentlichen Risiken für das jeweilige Unternehmen fokussieren und entsprechend an Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss berichten. Man darf bei der Verwendung solcher Tools jedoch nie vergessen, dass sie nur so gut sind, wie sie trainiert wurden. Die Algorithmen, die hinter solchen Anwendungen stehen, sind für viele Anwender eine Blackbox. Die Ergebnisse werden einfach hingenommen. Dass dies nicht so bleibt, dafür werden entsprechende Regularien entwickelt, um die Entscheidungen von KI transparent und nachvollziehbar zu machen. Gerade erst hat die EU mit dem Proposal des EU Artificial Intelligence Act selbst Leitlinien ausgegeben, die die Grundsätze bei der Entwicklung und Anwendung von KI definieren. Derartige Grundsätze sind in ihrer Umsetzung sowohl für unsere Kunden als auch für uns relevant. KI-Systeme müssen so entwickelt und genutzt werden, dass das Vertrauen in diese gegeben ist. Im Kern geht es darum, genau zu verstehen, wie ein Tool bzw. ein Algorithmus arbeitet. Und es geht darum, prüferische Fragestellungen und Probleme vorauszudenken, die gelöst werden sollen. Nur so ist es dann möglich, relevante Datensätze sowie die Vorgehensweise und Grenzen eines Tools zu verstehen und damit, bildlich gesprochen, im Maschinenraum der Algorithmen mitzuwirken. „Natürliche“ Intelligenz aufseiten des Anwenders ist damit unerlässlich. Dann und nur dann ist es ein Tool, das nützt und auch entsprechend auf Basis neuer Erkenntnisse und Daten weiterentwickelt werden kann.
Damit kommen wir zu einem weiteren Aspekt: Was können wir Ihrer Einschätzung nach in Zukunft noch erwarten?
CS: Ich sehe schon jetzt fundamentale Neuerungen in der Unternehmensberichterstattung im Zusammenspiel von öffentlichem Interesse, öffentlichem Vertrauen und der Transparenz über das Geschäftsmodell sowie die Risiken eines Unternehmens, dessen vorhandene Governance und Kontrolle sowie die ausgewogene Darstellung einer nachhaltigen Performance. Wir müssen immer die eigentliche Stakeholder-Frage vor Augen haben, die es zu beantworten gilt: Wird das Unternehmen ehrlich geführt und hat es eine Zukunft?
Durch den Prozess der Unternehmensberichterstattung müssen Stakeholder in die Lage versetzt werden, gut geführte Unternehmen zu identifizieren, die im öffentlichen Interesse handeln. Eine aussagekräftige Berichterstattung und solide Governance-Mechanismen sind wichtige Grundsätze von öffentlichem Interesse und fördern das Vertrauen. Um dies zu erreichen, müssen alle Elemente des „Ökosystems“ der Unternehmensberichterstattung im öffentlichen Interesse arbeiten: das Unternehmen, die Aufsichtsbehörden und die Abschlussprüfung. Als Prüfer müssen wir immer smarter werden, um die Komplexität der Unternehmen zu durchdringen und mit unserer Berichterstattung dem öffentlichen Interesse zu dienen.
Worin sehen Sie hierbei die zentrale Aufgabe der Wirtschaftsprüfung?
CS: Wir sehen auf dem Markt, wie sich die Unternehmensberichterstattung weiterentwickelt, um den komplexen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden, nicht-finanzielle und finanzielle Aspekte zu berücksichtigen und mehr Klarheit über das Geschäftsmodell eines Unternehmens sowie die damit verbundenen Risiken und Erträge zu schaffen. Als Wirtschaftsprüfer gilt es, die einzelnen Themenfelder in der Berichterstattung nicht singulär zu betrachten und zu prüfen, sondern in ihren Interdependenzen zu verstehen und ihnen auf den Grund zu gehen.
Vertrauen schaffen durch präventive Maßnahmen – was bedeutet das konkret?
CS: Das FISG sieht neben Verschärfungen im Bereich der Abschlussprüfung und einer Neujustierung der aufsichtsrechtlichen Bilanzkontrolle auch Maßnahmen im Bereich der Corporate Governance von Unternehmen vor. Das ist alles nichts komplett Neues. Die meisten der börsennotierten Unternehmen haben bereits Governance-Systeme eingerichtet. Für sie geht es im Kern um eine neue, intelligente Betrachtungsweise und Anwendung bestehender Systeme. Die zentrale Frage für die börsennotierten Unternehmen ist nicht, ob diese Systeme vorliegen, sondern inwieweit sie angemessen und wirksam ausgestaltet sind, die Komplexität der verschiedenen Corporate-Governance-Stränge abbilden, Interdependenzen erkennen und Risiken frühzeitig sichtbar machen. Und es geht darum, wirksame präventive und detektive Kontrollen nicht nur zu implementieren, sondern diese meist systemseitig integrierten Prüfmechanismen kontinuierlich zu hinterfragen und anzupassen. Analog zur Blackbox der Algorithmen sind Governance-Systeme nur so gut wie die Menschen, die die zugrunde liegende Problematik durchdringen, Lösungen bringende Prozesse definieren und neueste Erkenntnisse einfließen lassen.