Corporate Governance Inside
Umsetzung der neuen Nachhaltigkeitsberichterstattung
Konnektivität
Das neue „buzz word“ in der Unternehmensberichterstattung
Stehen auch Ihre überwachten Unternehmen aktuell vor der Herausforderung, den Erwartungen im Hinblick auf die Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte gerecht zu werden? Dessen nicht genug; haben Sie in dem Zusammenhang auch schon mal über „Konnektivität“ nachgedacht? Selten gibt es in der Unternehmensberichterstattung Trends und Modeworte – aber Konnektivität oder Connectivity gehört dazu.
Denn nicht zuletzt mit der Einführung verbindlicher Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung innerhalb (Stichwort CSRD und ESRS) und außerhalb der EU gewinnt das Thema „Konnektivität“ in der Unternehmensberichterstattung eine bis vor Kurzem ungeahnte Prominenz. Informationsadressaten geht es nicht allein um die Ergänzung der Abschlussinformationen um wertschöpfungsrelevante Nachhaltigkeitsinformationen sowie die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft, sondern vielmehr auch um deren Verknüpfung („Konnektivität“). Sie wünschen ein holistisches Bild über alle Faktoren, die die Fähigkeit des Unternehmens beeinflussen, Wert zu schaffen. Es soll sichergestellt werden, dass Informationen in allen Teilen eines Geschäftsberichts und darüber hinaus (z.B. zum Vergütungsbericht) stimmig sind, keine unnötigen Dopplungen vorliegen und keine wesentlichen Informationen fehlen. Trotz Zweckpluralismus und Grenzen der Berichterstattung in den verschiedenen Abschnitten des Geschäftsberichts ergänzen sie einander und sind notwendig, um die aktuelle Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens, seine Strategie und Unternehmensführung, Risiken und Chancen und dessen Umgang damit zu vermitteln. Hierfür ist ein gemeinsames Verständnis von Konnektivität zu entwickeln, um die Berichtersteller und -adressaten auf deren Möglichkeiten und Grenzen einzustimmen und somit die Erwartungslücke zu reduzieren. Und dies nicht nur innerhalb des aktuellen Geschäftsberichts, sondern im Idealfall auch über die Berichtsperioden hinweg.
Konnektivitätsüberlegungen sind Begleiterscheinungen eines sich ständig weiterentwickelnden Systems der Unternehmensberichterstattung. Nicht zuletzt durch die flächendeckende Einführung verbindlicher Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung etwa auf Grundlage der ESRS oder der internationalen IFRS Sustainability Disclosure Standards verbunden mit entsprechendem Nachfragedruck der Adressaten (die über klassische Investoren oder Finanziers hinausgehen) ist und wird deren Stellenwert enorm steigern. Fragen über den Zusammenhang der damit bereitgestellten Informationen scheinen unausweichlich.
ie Realität zeigt allerdings eine aus Adressatensicht wahrgenommene Diskrepanz zwischen den nachhaltigkeitsbezogenen Informationen und den Abschlussinformationen, wie die EFRAG in ihrem Ende Juni 2024 veröffentlichten Bericht „Connectivity Considerations and Boundaries of Different Annual Report Sections“ darlegt (vgl. hierzu unseren iGAAP fokussiert Newsletter). Informationen der Nachhaltigkeitsberichterstattung, wie etwa zu Impacts, Risiken und Chancen, mit denen Unternehmen konfrontiert sind, sowie die ergriffenen Maßnahmen, einschließlich der Verpflichtungen zur Erreichung der gesetzten Nachhaltigkeitsziele (z.B. Klimaneutralität) und Ressourcenverteilung, finden sich nur unzureichend oder gar nicht in der Finanzberichterstattung wieder. Nicht selten unterlassen Unternehmen wegen mangelnder Berücksichtigung der qualitativen Wesentlichkeit – also nicht auf Grundlage wertmäßiger Kriterien, sondern bestimmter Eigenschaften – teilweise die Aufnahme wesentlicher nachhaltigkeitsbezogener Informationen in die Finanzberichterstattung. Den Adressaten wird dadurch die Verbindung zwischen der Nachhaltigkeits- und der Finanzberichterstattung erschwert, da die Kohärenz, also die zusammenhängende Struktur der Argumente, und die Komplementarität, d.h. ihre wechselseitige Ergänzung zum Verständnis der Informationen im Ganzen, beeinträchtigt sind. Daraus kann eine unzusammenhängende Darstellung des Risikoprofils und der Prognosen quer durch den Geschäftsbericht resultieren, was letztlich die Entscheidungsfindung der Abschlussadressaten nachteilig beeinflussen kann. Was sind nun aber die Gründe für diese Diskrepanz und welche Entwicklungen bzw. Überlegungen zeichnen sich derzeit rund um das Konzept der Konnektivität ab?
Konzeptionelle Gründe als Ursache für die unterschiedlichen Berichtsinhalte
Konnektivitätsüberlegungen können sinnvollerweise nicht losgelöst vom Sinn und Zweck der Unternehmensberichterstattung in all ihren Facetten erfolgen, um nicht die Möglichkeiten und Grenzen der jeweils bereitzustellenden Informationen zu verwässern. Die unterschiedlichen Elemente des Geschäftsberichts und weiterer Unternehmenserklärungen verfolgen unterschiedliche Informationsziele und führen folglich zu begründeten Grenzen der jeweiligen Berichterstattung. Bei der Abschlusserstellung, die Informationen über die VFE-Lage und der Cashflows eines Unternehmens bereitstellen will, führen konzeptionelle Gründe, wie Zeitbezug (prospektiv vs. retrospektiv, Zeithorizont) oder Ansatz- und Bewertungskriterien für Schulden und Vermögenswerte, zu anderen Berichtsinhalten als z.B. die Lage- und Nachhaltigkeitsberichterstattung, die sich sowohl sachlich als auch von den Zeithorizonten von der Finanzberichterstattung unterscheidet.
Mit der kürzlich vom IFRS Interpretations Committee (IFRS IC) behandelten Frage zur Passivierung einer Schuld aus der Selbstverpflichtung eines Unternehmens zur CO2-Neutralität nach den Vorgaben von IAS 37 Rückstellungen, Eventualverbindlichkeiten und Eventualforderungen ist nachdrücklich gezeigt worden, dass bilanzielle Ansatz- und Bewertungsvorschriften für Vermögenswerte und Schulden dazu führen können, dass Nachhaltigkeitsaspekte nicht zugleich auch bereits ihren Niederschlag im Abschluss finden, jedoch möglicherweise in der Zukunft. So erfordert beispielsweise die Passivierung einer Schuld im Finanzbericht u.a. das Vorliegen eines verpflichtenden vergangenen Ereignisses, das in den Handlungen eines Unternehmens bestehen kann (z.B. Ausstoß von CO2 ab einem Zeitpunkt, für den die Selbstverpflichtung greift), sowie den erwarteten Abfluss von wirtschaftlichen Ressourcen. Die Information über die Abgabe einer Selbstverpflichtung zur CO2-Neutralität, z.B. im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung, für einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt ist dafür allein nicht ausreichend.
Kontextbezogene Informationen, wie z.B. nicht-monetäre, nachhaltigkeitsbezogene Kennzahlen und Ziele, wie Treibhausgasemissionen, CO2-Einsparungen, Wasserverbrauch, Energieverbrauch, Abfallaufkommen, operative Kennzahlen, das vollständige Risikoprofil des Unternehmens sowie die Beschreibung von Unternehmensstrategie und Geschäftsmodell, finden sich dagegen eher im Lage- und Nachhaltigkeitsbericht.
Wirkrichtungen der Konnektivität
Konnektivität ist nicht als „Einbahnstraße“ zu verstehen. Wenngleich bereits Konnektivitätsanforderungen fester Regelungsbestandteil bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung sind, ist ihre Wirkrichtung nicht darauf zu beschränken, sondern wechselseitig über alle Abschnitte des Geschäftsberichts und weiterer Berichtselemente zu verstehen, wie Abbildung 1verdeutlicht.
Abb. 1: Darstellung der Konnektivität anhand eines deutschen Geschäftsberichts

In der Nachhaltigkeitsberichterstattung wie den ESRS-Standards (ESRS 1) bestehende Konnektivitätsanforderungen regeln beispielsweise die Konnektivität von Informationen innerhalb der Nachhaltigkeitsberichterstattung selbst, zwischen Informationen der Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung und im Hinblick auf verschiedene Zeithorizonte. Vergleichbares gilt für nach den Standards des ISSB berichterstattende Unternehmen nach IFRS S1. Jedoch muss konstatiert werden, dass durch die Lokationssystematik der Systematik der Nachhaltigkeitsberichtserstattung (gesonderter Teil des Lageberichts) die Umsetzung der Konnektivität zwischen Nachhaltigkeits- und Finanzberichterstattung nicht unbedingt einfacher wird.
Umgekehrt ist sich auch der IASB der Relevanz des Themas für die Rechnungslegung bewusst und greift dies mit seinen kürzlich vorgeschlagenen, erläuternden Beispielen zur Veranschaulichung der Angabevorschriften zu klimabezogenen und anderen Unsicherheiten im IFRS-Abschluss auf (vgl. hierzu unseren iGAAP fokussiert Newsletter). Damit reagiert der IASB auf Bedenken von Interessengruppen, dass Unternehmen im Jahresabschluss Informationen über klimabezogene Risiken unzureichend offenlegen oder dass die Angaben im Jahresabschluss nicht konsistent zu Informationen in anderen Berichtselementen sind, etwa im Nachhaltigkeitsbericht oder in anderen Teilen des Lageberichts. Mit den Vorschlägen des IASB, die nicht mit einer Neuregelung von IFRS-Rechnungslegungsstandards einhergehen, soll eine verbesserte Anwendung der bereits bestehenden Regelungen in den IFRS erfolgen.
So werden z.B. bestimmte Sachverhalte dahingehend analysiert, ob zusätzliche Anhangangaben angemessen sind oder nicht, obgleich keine bilanziellen Auswirkungen daraus resultieren, qualitative Faktoren aber dafür sprechen (könnten). In einem Beispiel werden die bilanziellen Auswirkungen des Übergangsplans zur CO2-Reduzierung innerhalb der nächsten zehn Jahre eines Unternehmens, das klimabezogenen Übergangsrisiken ausgesetzt ist, analysiert. Annahmegemäß sind weder Ansatz noch Bewertung der Vermögenswerte und Schulden sowie dazugehörige Erträge und Aufwendungen betroffen; zudem resultieren keine Angaben aus der Anwendung der spezifischen IFRS-Rechnungslegungsstandards. Erst die Berücksichtigung der übergeordneten Anforderungen des IAS 1 Darstellung des Abschlusses führt im Beispiel zu der Einschätzung, dass es den Adressaten ohne zusätzliche Angaben nicht möglich sei, zu verstehen, dass es am Abschlussstichtag keine bilanziellen Auswirkungen des Übergangsplans des Unternehmens auf die VFE-Lage gibt. Folglich ist anzugeben und der Grund zu erläutern, dass der Übergangsplan des Unternehmens keine Auswirkungen auf die VFE-Lage des Unternehmens hat.
Zusammenfassung
Konnektivität spielt eine zentrale Rolle bei der Gewährleistung der Kohärenz und Komplementarität der Abschnitte eines Geschäftsberichts. Weniger technisch ausgedrückt würde man sich schlichtweg fragen, wie man etwas miteinander thematisch verbinden kann oder eben „den Bogen spannen“ kann. Die Verdeutlichung von Zusammenhängen, sei es klimabezogen oder wirtschaftlicher, regulatorischer, technologischer, gesellschaftlicher oder ökologischer Natur, zwischen den Abschnitten des Geschäftsberichts schafft einen Informationsmehrwert für alle Stakeholder.
Der Zweckpluralismus der unterschiedlichen Abschnitte des Geschäftsberichts macht Konnektivität erforderlich, um wahrgenommene Inkonsistenzen zu vermindern.
Auch ohne explizite Konnektivitätsanforderungen, wie sie bereits in den ESRS und den ISSB-Standards verankert sind, dürften qualitative Anforderungen der Unternehmensberichterstattung in gewissem Umfang eine Verbindlichkeit entfalten und im Ergebnis zu verbesserten Angaben führen. Dies zeigen z.B. die vorgeschlagenen Beispiele des IASB zu klimabezogenen und anderen Unsicherheiten im IFRS-Abschluss.
Vor dem Hintergrund des „Kundenbedarfs“ dürfte es für den Aufsichtsrat eine lohnenswerte Frage sein, inwieweit sich der Vorstand bzw. die Geschäftsleitung bereits mit Fragen der Konnektivität in der aktuellen Unternehmensberichterstattung auseinandergesetzt hat.
Jens Berger Partner & Leiter IFRS and Corporate Reporting | Deloitte Deutschland
Dr. Heike Bach Senior Managerin | IFRS & Corporate Reporting Centre of Excellence | Deloitte Deutschland
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