Corporate Governance Inside Legislation & Jurisdiction


Wachstum der Gesellschaft – Herausforderung auch für den Aufsichtsrat

Allgemein bekannt und mittlerweile Gemeingut sollte sein, dass den Aufsichtsrat in einer Krise der Gesellschaft besondere Pflichten treffen. Doch nicht nur die Krise, auch das Wachstum der Gesellschaft kann ein besonderes Augenmerk des Aufsichtsrats erfordern. Das gilt insbesondere dann, wenn die Gesellschaft neue Märkte erschließen oder in neue Geschäftsfelder expandieren möchte. Auch in diesen Fällen muss der Aufsichtsrat seiner Überwachungspflicht genügen und insbesondere dafür Sorge tragen, dass durch das Wachstum oder die Expansion die Existenz des Unternehmens nicht gefährdet wird.

Um eine persönliche Haftung zu vermeiden, sollte jedes Aufsichtsratsmitglied zudem sicherstellen, dass bei allen dazugehörenden Entscheidungen die Kriterien der Business Judgment Rule eingehalten werden.

Im Einzelnen:

1. Allgemeiner Pflichtenrahmen der Aufsichtsratsmitglieder

Im Rahmen seiner originären Überwachungsaufgabe ist der Aufsichtsrat nicht nur verpflichtet, rückwirkend die Entscheidungen der Geschäftsleitung zu kontrollieren. Bestandteil seiner Überwachungspflicht ist es auch, die Geschäftsleitung mit Blick auf die künftige Geschäftspolitik und Strategie der Gesellschaft zu beraten.

Nicht Aufgabe des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan ist hingegen die Geschäftsführung selbst; diese ist dem Vorstand vorbehalten. Der Vorstand hat die (Wachstums-)Strategie zu entwickeln und im Einzelnen umzusetzen. Unberührt bleibt jedoch das Recht des Aufsichtsrats, Zustimmungsvorbehalte zu erlassen und dadurch die Kontrolle effektiv auszugestalten.

2. Besondere Herausforderungen beim Wachstum

Nicht nur eine Krise, sondern auch die Absicht zu wachsen kann ein Unternehmen vor besondere Herausforderungen stellen.

Dies kann an einem (besonders schwierigen) allgemeinen Marktumfeld liegen. Die Herausforderungen können auch damit verbunden sein, dass neue Absatzmärkte erschlossen werden sollen, die ein höheres Wachstumspotenzial versprechen als die bereits bestehenden Märkte. Eine Steigerung des Gewinns kann auch dadurch beabsichtigt sein, dass neue Beschaffungsmärkte erschlossen werden sollen. Herausforderungen ergeben sich aber auch, wenn neue Geschäftsbereiche, Technologien oder Produkte eingeführt werden sollen.

Neben diese Szenarien eines organischen Wachstums treten die weiteren Herausforderungen, die mit einem anorganischen Wachstum verbunden sind, etwa die typischen Risiken beim Erwerb und der Integration anderer Unternehmen.

In allen Fällen hat der Aufsichtsrat sicherzustellen, dass das Wachstum nicht um jeden Preis erfolgt und insbesondere nicht (zu sehr) auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit oder der Resilienz geht. Es sollte eine Binsenweisheit sein – aber die Praxis zeigt, dass es trotzdem wichtig ist, das zu betonen: Insbesondere sollte das Wachstum auch nicht zu schnell und unstrukturiert erfolgen.

a. Der Weg in neue Absatzmärkte

Insbesondere neue Absatzmärkte zu erschließen, erfordert eine sorgfältige Vorbereitung und in der Folge auch eine genaue Überwachung der Exekution. Dies gilt erst recht (wie sonst auch), wenn erhebliche Investitionen geplant sind und in großem Umfang interne Kapazitäten und Ressourcen gebunden werden.

Der Weg ins Ausland kann aber darüber hinausgehende, zusätzliche Herausforderungen und Risiken mit sich bringen. Dies gilt vor allem dann, wenn neue geografische Märkte erschlossen werden sollen, die ein anderes Rechtssystem haben. Class Actions (Sammelklagen), Punitive Damages (Strafschadensersatz) und Pre-trial Discovery (prozessualer Ausforschungsbeweis) sind nur drei bekannte Beispiele für rechtliche Risiken, die etwa mit einer Expansion ins Ausland verbunden sein können.

Vorgeschaltet stellen sich aber natürlich die Fragen: Welches ist überhaupt der richtige neue Absatzmarkt und/oder der richtige Standort für mich und mein Produkt? Finde ich dort geeignete Mitarbeitende und ggf. Zulieferer? Was sind die Erwartungen und was ist der Businessplan, der hinter diesem Schritt steht? Und vor allem: Welche Kosten sind damit verbunden und wie werden diese finanziert?

Neben den konkreten Risiken, die aus der Rechtsordnung resultieren, gibt es weitere Themen, die bei dem Weg in neue Auslandsmärkte im Blick behalten werden müssen:

  • Konkret wie soll expandiert werden und welche Organisationsstruktur ist dafür erforderlich? Genauer: Soll es einen neuen Produktionsstandort geben oder nur ein Vertriebsbüro oder gar keine feste Betriebsstätte?
  • Sind Investitionen dort geschützt? Was bedeutet das für das IP und die IT?
  • Ist sichergestellt, dass Erlöse auch wieder repatriiert werden können?
  • Was bedeutet das Projekt für die Logistik? Sind Export- und Importbeschränkungen zu beachten? Drohen Sanktionen?
  • Welche regulatorischen Anforderungen sind zu erfüllen und wie lange dauert es, dies zu erreichen?
  • Welche steuerlichen Konsequenzen ergeben sich?
  • Sind kulturelle Unterschiede zu beachten? Wenn ja, wie wirken sie sich aus und mit welchem Personal soll der Schritt umgesetzt werden?
  • Welche Strukturen werden im Inland benötigt, um den Plan umzusetzen?

Abhängig von der konkreten Situation der Gesellschaft bzw. der Konzernstruktur, der Branche und dem ins Auge gefassten Absatzmarkt können sich zahlreiche weitere Themen ergeben oder diese Fragen ganz unterschiedlich zu beantworten sein.

a. Das Erschließen neuer Beschaffungsmärkte

Andere, zum Teil aber ähnliche Fragen stellen sich, wenn das Unternehmen beabsichtigt, neue Beschaffungsmärkte zu erschließen.

Welche Auswirkungen Änderungen in der Lieferkette (Omnibus zum Trotz) zudem allein auf die Berichte nach Lieferkettengesetz und CSDDD sowie die Nachhaltigkeitsberichterstattung haben, lässt sich kaum in wenigen Worten zusammenfassen.

Auch hier ist der genaue Umfang der Risiken und der damit korrespondierenden Überwachungspflichten abhängig von der konkreten Situation und der Art der Beschaffung. Offenkundig macht es einen Unterschied, ob ein bestimmtes Produkt von einem neuen Lieferanten aus einem Land bezogen werden soll, zu dem bisher keine Geschäftsbeziehung bestand, oder ob in einem Land investiert wird, um dort etwa Bodenschätze zu gewinnen.

b. Expansion in andere Geschäftsfelder

Nicht nur die Expansion in andere Länder kann risikobehaftet sein. Auch die Erstreckung der Tätigkeit auf andere Geschäftsfelder oder in neue Technologien ist nicht ohne Risiken. Dies gilt erst recht, wenn dafür neue Entwicklungen erforderlich sind, andere regulatorische Vorschriften greifen oder etwa neue Vertriebsstrukturen aufgebaut werden müssen.

c. Umsetzung

Die Umsetzung der Expansionspläne ist – wie bei anderen Projekten auch – fortlaufend regelmäßig zu überwachen bzw. zu kontrollieren, dass der Vorstand dies überwacht.

Die Intensität hängt insbesondere von dem Investment und dem Risiko ab, das mit der Maßnahme verbunden ist. In jedem Fall ist aber nachzuhalten, ob der mit der Expansion beabsichtigte Erfolg eintritt und wenn nein, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um ihn herbeizuführen.

d. Compliance

Ein funktionierendes Compliance-(Management-)System ist für Unternehmen heute generell unerlässlich. In den Überwachungs- und Compliance-Systemen des Unternehmens sind Veränderungen in der Organisation zu berücksichtigen und nachzuziehen, damit die Systeme ihre Aufgaben umfassend und zuverlässig erfüllen können.

Der Aufsichtsrat trägt, auch wenn die konkrete Ausgestaltung des Systems in den Aufgabenbereich des Vorstandes fällt, die Verantwortung dafür, dass ein solches System existiert, wenn es die Risikolage des Unternehmens erfordert. Entsprechend hat der Aufsichtsrat dafür Sorge zu tragen bzw. zu überwachen, dass die aus der Expansion resultierenden, zusätzlichen oder anders gearteten Risiken in dem bestehenden internen Kontroll- und Risikomanagementsystem der Gesellschaft in geeigneter Form erfasst und regelmäßig bewertet werden und sich die Systeme auch auf die eventuell neu entstehenden Einheiten erstrecken.

Verfügt ein Unternehmen nicht über ein wirksames Compliance-(Management-)System, kann dies als Organisationsverschulden gewertet werden, was zur persönlichen Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern führen kann.

e. Weitere Konsequenzen der Expansion/Zusammensetzung des Aufsichtsrats

Infolge der Expansion, insbesondere in Abhängigkeit von der Bedeutung des Projektes und der damit verbundenen inhaltlichen und/oder geografischen Verlagerung von Chancen und Risiken im Unternehmen, wird sich der Aufsichtsrat auch die Frage stellen müssen, ob er nach wie vor richtig zusammengesetzt ist, oder ob es anderer Kompetenzen und/oder weiterer Kenntnisse bedarf, um im Aufsichtsrat der veränderten Situation der Gesellschaft gerecht zu werden und sie sachgerecht überwachen zu können.

Entsprechend hat der Aufsichtsrat sich auch mit der Frage auseinanderzusetzen, ob und ggf. wie er sich fortbildet oder andere Mitglieder zur Wahl in den Aufsichtsrat vorschlägt.

Business Judgment Rule

Bei der Entscheidung über die Zustimmung oder Ablehnung einer vom Vorstand vorgeschlagenen Expansion ins Ausland oder in einen anderen Geschäftsbereich hat der Aufsichtsrat die gebotene Sorgfalt anzuwenden. Die Entscheidung über die Zustimmung oder Ablehnung ist aber zugleich eine unternehmerische Entscheidung. Als solche ist sie von der Business Judgment Rule gedeckt, sodass auch dann keine persönliche Haftung des Aufsichtsratsmitglieds droht, wenn sich die Entscheidung später als „falsch“ herausstellt und dem Unternehmen dadurch ein Schaden entstanden ist.

Diese Haftungsbeschränkung greift aber nur dann, wenn auch deren Voraussetzungen erfüllt sind – wofür im Streitfall das Aufsichtsratsmitglied darlegungs- und beweispflichtig ist. Dies bedeutet insbesondere, dass das einzelne Aufsichtsratsmitglied seine Entscheidung auf Basis angemessener Informationen treffen muss. Naturgemäß – insoweit gelten auch hier die allgemeinen Maßstäbe – richtet sich der genaue Umfang der erforderlichen Unterlagen nach der konkreten Situation, etwa der Art des Investments und der Bedeutung der Angelegenheit für die Gesellschaft. Sofern das Aufsichtsratsmitglied aber meint, dass bestimmte Risiken der Expansion nicht beachtet worden sind oder dazu keine ausreichenden Unterlagen vorliegen, wird es sich schwerlich haftungsbefreiend darauf berufen können, gutgläubig auf Basis angemessener Informationen entschieden zu haben.

Zur Vermeidung der persönlichen Haftung sollte für jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied deutlich werden, dass sich der Vorstand mit den mit der Expansion verbundenen Risiken ordnungsgemäß auseinandergesetzt hat und diese in seine Einschätzung sachgerecht eingeflossen sind.

Ergebnis

Entscheidungen, die der Aufsichtsrat mit Blick auf das weitere Wachstum der Gesellschaft trifft, sind an der Business Judgement Rule zu messen. Insbesondere hat der Aufsichtsrat dafür Sorge zu tragen, dass er seine Entscheidung auf Basis ausreichender Informationsgrundlage treffen kann. Dafür ist erforderlich, dass ihm Informationen und Einschätzungen zu allen relevanten Risiken vorliegen. Die konkreten Risiken richten sich nach dem jeweiligen Einzelfall.

In der Folge einer Expansion hat sich der Aufsichtsrat die Frage zu stellen, ob er nach wie vor sachgerecht besetzt ist und über die erforderlichen Kenntnisse und Kompetenzen verfügt. Ist dies nicht der Fall, hat er dem abzuhelfen.

Dr. Volker Schulenburg Partner | Corporate/M&A| Deloitte Legal Deutschland

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