Corporate Governance Inside
Accounting & Tax
Unternehmensberichterstattung in kritischen Zeiten
Während die Gesellschaft für deutsche Sprache „Krisenmodus“ bereits im Jahr 2023 als Wort des Jahres gekürt hat, beschreibt der Ausdruck treffend, dass der Ausnahme- zum Regelzustand geworden ist – sowohl für die Gesellschaft als auch für Unternehmen. Auch wenn Krisensituationen keine neue Erscheinung sind, stellen sie Unternehmen aufgrund des gehäuften Auftretens vor Herausforderungen. Die Auslöser hierfür sind so zahlreich wie komplex: von den Nachwirkungen der Corona-Pandemie und häufiger auftretenden Naturkatastrophen über kriegerische Auseinandersetzungen in der Ukraine und Nahost bis zu zunehmend von nationalen Interessen geprägten politischen Bestrebungen. Für Unternehmen resultiert daraus neben inflationsbedingten Kostensteigerungen, Lieferkettenunterbrechungen und Spannungen auf Finanzmärkten vor allem eine steigende Unsicherheit im Hinblick auf geplante unternehmerische Aktivitäten und Entwicklungen. Diese Änderungen und die damit verbundene Unsicherheit können sich auf zahlreiche Aspekte der Finanzberichterstattung auswirken, insbesondere auf solche, die von den Prognosen künftiger Cashflows und Barwertberechnungen abhängen. Im Folgenden sollen daher einige dieser Aspekte in der Bilanzierung nach IFRS betrachtet werden.
Werthaltigkeit von Vermögenswerten
Die Werthaltigkeit von Finanzinstrumenten, wie beispielsweise Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie Darlehensforderungen, wird, soweit die betrachteten Forderungen im Anwendungsbereich von IFRS 9 liegen, mittels des sogenannten Modells der erwarteten Kreditverluste (Expected Credit Loss) beurteilt. Da die betrachtete Ausfallwahrscheinlichkeit bei Finanzinstrumenten, bei denen der Vertragspartner seinen Sitz in einem Krisengebiet oder einem sanktionierten Land hat, ungleich höher sein kann, kann eine Erhöhung der Wertberichtigungen erforderlich sein – unabhängig davon, ob beispielsweise eine historisch verlässliche Vertragsbeziehung bestand.
Auch nicht-finanzielle Vermögenswerte wie Grundstücke, Gebäude und Maschinen, aber auch immaterielle Vermögenswerte wie Nutzungsrechte und Geschäfts- oder Firmenwerte oder finanzielle Vermögenswerte wie Beteiligungen an assoziierten Unternehmen, können aufgrund der dargestellten Umstände von Wertminderungen betroffen sein und unterliegen diesbezüglich den Anforderungen zu Wertminderungen nach IAS 36. Dabei sind einige Wertminderungsindikatoren, beispielsweise physische Schäden an eigenen oder gemieteten Immobilien, aufgrund von Naturkatastrophen oder Kriegen offensichtlicher und dadurch für Bewertungszwecke leichter identifizierbar. Aber auch strategische Entscheidungen zur temporären oder dauerhaften Stilllegung eines Standorts oder Geschäftsbereichs sind Anhaltspunkte dafür, dass einzelne oder Gruppen von Vermögenswerten wertgemindert sein könnten, da ihr Nutzungs- und damit Ertragspotenzial durch derartige Entscheidungen stark eingeschränkt wird. Neben diesen internen Wertminderungsindikatoren kommt in Krisenzeiten insbesondere externen Anhaltspunkten eine besondere Bedeutung zu. Negative Wachstumsprognosen für bestimmte Märkte und Branchen, Ausfuhr- oder Einfuhrbeschränkungen für einzelne Produkte aus oder in bestimmte Regionen oder protektionistische Maßnahmen wie Strafzölle haben potenziell negativen Einfluss auf künftige Zahlungsströme und können so im Ergebnis ebenfalls zu Wertminderungen von Vermögenswerten führen. Derartige Umstände entziehen sich dem Einfluss einzelner Unternehmen und bedürfen daher insbesondere einer genauen Beobachtung, Analyse und Einschätzung, die sich in Unternehmensplanungen anhand von wahrscheinlichkeitsgewichteten Szenarien abbilden lassen.
Im Zusammenhang mit aktiven latenten Steuern ist die Werthaltigkeit oder genauer die Fähigkeit des Unternehmens, in den Folgejahren steuerliche Gewinne zu erzielen, gemäß IAS 12 zu überprüfen. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Krisen sind die der steuerlichen Planungsrechnung zugrunde liegenden Annahmen wie Wachstumsraten oder Kapitalkosten kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen.
Können Produkte, d.h. Vorräte, beispielsweise aufgrund von Aus- oder Einfuhrbeschränkungen nicht wie geplant veräußert werden, ist deren Bewertung zu überprüfen. In einer derartigen Situation liegt der sogenannte Nettoveräußerungswert mangels einer Veräußerungsmöglichkeit im Extremfall bei null. Da der Ansatz der Vorräte nicht zu einem höheren Betrag erfolgen darf als dem, der durch ihren Gebrauch oder Verkauf voraussichtlich realisiert werden kann, ist dann gemäß IAS 2 zwingend eine Abwertung vorzunehmen.
Veräußerungsgruppen und aufgegebene Geschäftsbereiche
Neben den zunächst zu überprüfenden Implikationen für Werthaltigkeitsüberlegungen führen Entscheidungen der Geschäftsleitung zum Verkauf eines ganzen Geschäftsbereichs (z.B. in einem Konfliktgebiet) dazu, dass die im Abschluss dargestellten Buchwerte dieser Vermögenswerte oder sog. Veräußerungsgruppen nicht mehr durch die betriebliche Nutzung, sondern durch die Veräußerung realisiert werden sollen. Erfüllen die Vermögenswerte oder Veräußerungsgruppen die Kriterien zur Klassifizierung als „zur Veräußerung gehalten“, erfolgt deren Bewertung jenseits definierter Ausnahmen gemäß IFRS 5 in der Bilanz zum niedrigeren Wert aus Buchwert und Fair Value abzüglich Veräußerungskosten. Zudem sind ab dem Zeitpunkt der geänderten Klassifikation keine planmäßigen Abschreibungen mehr für die betroffenen Vermögenswerte des Geschäftsbereichs vorzunehmen. In der Veräußerungsgruppe enthaltene Vermögenswerte (und ggf. Schulden) sind in der Bilanz getrennt von anderen Vermögenswerten und Schulden als zur Veräußerung gehalten darzustellen. Ergibt sich, beispielsweise aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Situation oder politischer Konflikte und Embargos, nicht die Möglichkeit, einen Geschäftsbereich zu veräußern, kann als Konsequenz die Stilllegung des Bereichs beschlossen werden. In dieser Situation erfüllen die Vermögenswerte und ggf. Schulden des Geschäftsbereichs keinesfalls die Kriterien als „zur Veräußerung gehalten“, weshalb eine Änderung der Darstellung in der Bilanz nicht erfolgen darf. Sollte es sich bei der Veräußerungsgruppe um einen aufgegebenen Geschäftsbereich handeln, sind die Posten in Gesamtergebnisrechnung und Kapitalflussrechnung erst ab dem Zeitpunkt als „aus aufgegebenen Geschäftsbereichen“ darzustellen, ab dem die tatsächliche Einstellung der Tätigkeit des Geschäftsbereichs erfolgt ist.
Tochterunternehmen, Gemeinschaftsunternehmen und assoziierte Unternehmen
Mit geopolitischen Spannungen kann die Einführung nationaler Regelungen einhergehen, die gesetzlich oder faktisch die Möglichkeit der unternehmerischen Einflussnahme auf Tochterunternehmen (IFRS 10), assoziierte Unternehmen (IAS 28) und Gemeinschaftsunternehmen (IFRS 11) beschränken oder ausschließen. Da die Verfügungsgewalt als eine der kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen für eine Beherrschungsmöglichkeit nicht mehr gegeben ist, wenn das berichtende Unternehmen beispielsweise als ausländischer Investor von der Ausübung seiner Stimmrechte als Eigentümer ausgeschlossen wird und damit nicht mehr über die maßgeblichen Tätigkeiten des Tochterunternehmens bestimmen kann, hat mit dem Beherrschungsverlust eine Entkonsolidierung des Tochterunternehmens zu erfolgen. Das aus der Entkonsolidierung entstehende Ergebnis ist in der Gewinn- und Verlustrechnung des berichtenden Mutterunternehmens zu erfassen. Auch bei der Frage nach der Ausübung eines maßgeblichen Einflusses auf assoziierte Unternehmen oder einer gemeinschaftlichen Führung bei Gemeinschaftsunternehmen, deren Anteile mittels der Equity-Methode in den Abschluss des berichtenden Unternehmens einbezogen werden, sind Aspekte wie gesetzlich erzwungene oder anderweitig unfreiwillige Abberufungen aus Geschäftsführungs- oder Aufsichtsgremien zu berücksichtigen und erfordern gegebenenfalls eine geänderte bilanzielle Abbildung als finanzielle Beteiligung.

Liquiditätslage
Neben Auswirkungen auf die Vermögenswerte sowie die Zusammensetzung und Darstellung im Konzernabschluss haben Krisensituationen auch unmittelbaren Einfluss auf die Finanzierung von Unternehmen. Aufgenommenes Fremdkapital zur Finanzierung der Geschäftstätigkeit ist häufig an Bedingungen, sogenannte Covenants, wie das Erreichen bestimmter Ergebniskennzahlen oder das Unterschreiten definierter Verschuldungsgrade geknüpft. Der Verstoß gegen einen oder mehrere solcher Covenants kann mit Konsequenzen für den Mittelempfänger einhergehen. Diese reichen von erhöhten Fremdkapitalkosten für bestehende oder neue Finanzierungen über die Rücknahme von Finanzierungangeboten bis hin zur sofortigen Fälligkeit der konkret mit dem Covenant verknüpften Finanzierung. Durch Handelskonflikte und daraus resultierende Umsatzeinbrüche oder einkaufsseitige Zulieferprobleme liegt insbesondere kurzfristig die Einhaltung derartiger Covenants zunehmend außerhalb der Einflussmöglichkeiten des Unternehmens. Abgesehen von Angabepflichten im Zusammenhang mit Nebenbedingungen für Finanzierungen und Vertragsbrüche (IAS 1 und IFRS 7) können sich aus dem kurzfristigen Wegfall von Fremdfinanzierungen weitreichende Folgen bis hin zur Insolvenzreife ergeben. Neben klassischen Darlehensfinanzierungen gewinnen daher beschaffungs- oder absatzseitige Finanzierungsformen wie Factoring- oder Lieferantenfinanzierungsvereinbarungen an Bedeutung. Auch in diesem Kontext ergeben sich, beispielsweise durch neu eingeführte Angabepflichten für Lieferantenfinanzierungsvereinbarungen in IAS 7 bzw. IFRS 7, Auswirkungen auf die Berichterstattung nach IFRS.
Rückstellungen für drohende Verluste
Geben Verträge, beispielsweise zum Verkauf vordefinierter Mengen von bestimmten Produkten zu einem festgelegten Preis über einen bestimmten Zeitraum, Unternehmen grundsätzlich Planungssicherheit, können sie in Zeiten von Inflation, Handelszöllen und Lieferkettenunterbrechungen zu sogenannten belastenden Verträgen werden. Sie zeichnen sich sowohl durch ihren Schwebezustand (d.h. noch keine Leistungserfüllung von einer der Vertragsparteien) als auch dadurch aus, dass die damit einhergehenden unvermeidbaren Kosten höher sind als der erwartete wirtschaftliche Nutzen daraus. Kommt ein Unternehmen nun aufgrund gestiegener Einkaufspreise in die Situation, in der ein bestehender Vertrag als belastend eingestuft wird, ist gegebenenfalls zusätzlich eine Rückstellung für die erwarteten Verluste gemäß IAS 37 zu bilden.
Hochinflationsländer
Operiert ein Unternehmen zudem beispielsweise über Tochtergesellschaften im Ausland und findet die Rechnungslegung dort in einer funktionalen Währung statt, welche die Definition eines Hochinflationslandes im Sinne des IAS 29 erfüllt, sind die Abschlüsse der Tochtergesellschaften in die am Stichtag geltende Maßeinheit umzurechnen, um das aktuelle Preisniveau angemessen widerzuspiegeln. Dabei können sich vielfältige Herausforderungen ergeben: zum Beispiel die laufende Überprüfung, ob eine Währung zum Stichtag als hochinflationär im Sinne des IAS 29 eingestuft wird, oder bereits die Identifikation des allgemeinen Preisindexes, der zur Umrechnung der Werte am Stichtag verwendet werden soll.
Unternehmensfortführung
Insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Komplexität, Interdependenz und Vielschichtigkeit der Krisen sind deren Konsequenzen für die Wertschöpfungskette von Unternehmen nicht immer sofort erkennbar. Verfolgt das berichtende Unternehmen zudem stark diversifizierte Geschäftsmodelle, gestaltet sich eine übergreifende Analyse der Situation, aber auch das Einsteuern von Schutz- und Gegenmaßnahmen für das Unternehmen als Ganzes komplex. Ist beispielsweise der Hauptabsatzmarkt aufgrund von kriegerischen Auseinandersetzungen nicht mehr bzw. wegen Strafzöllen auf preissensitive Güter nur noch in reduziertem Umfang erreichbar oder können kontrahierte Aufträge in wesentlichem Umfang aufgrund von Lieferkettenunterbrechungen nicht ausgeführt werden, können erhebliche Zweifel an der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung seines Geschäftsbetriebs entstehen. Die zu betrachtenden Ereignisse und Bedingungen, einschließlich der ergriffenen Maßnahmen, beschränken sich dabei nicht nur auf das zu berichtende Geschäftsjahr, sondern schließen auch den Zeitraum bis zur Freigabe zur Veröffentlichung des Abschlusses ein.
Für den Fall, dass derartige Unsicherheiten vorliegen, die jedoch durch entsprechende Maßnahmen so weit abgesichert werden können, dass die Annahme zur Fortführungsfähigkeit des Geschäftsbetriebs als angemessen eingeschätzt wird, und in der Konsequenz keine wesentliche Unsicherheit besteht, ergeben sich abgesehen von Angabepflichten keine Auswirkungen für die Aufstellung des Abschlusses. Liegen auch nach Berücksichtigung der eingeleiteten Gegenmaßnahmen wesentliche Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung seines Geschäftsbetriebs vor, erfolgt zwar die Abschlussaufstellung basierend auf der Fortführungsprämisse, jedoch ist eine entsprechende Angabe der Unsicherheiten ebenso wie der gegebenenfalls notwendigen, wesentlichen Ermessensentscheidungen und wesentlichen Quellen von Schätzunsicherheiten (einschließlich z.B. getroffener Annahmen) in diesem Zusammenhang erforderlich. Kann aufgrund der Ereignisse und Bedingungen nicht mehr von der Fortführung des Geschäftsbetriebs ausgegangen werden (z.B., weil das Management die Liquidation des Unternehmens beschlossen hat oder der Geschäftsbetrieb mangels Verfügbarkeit von notwendigen Rohstoffen eingestellt wurde), sind der Abschluss unter Abkehr von der Prämisse der Unternehmensfortführung aufzustellen und der Grund für die Abkehr anzugeben.
Fazit
Die hier angeschnittenen Themenkomplexe stellen keinesfalls alle Auswirkungen von Krisen auf die Rechnungslegung dar, sondern sollen vielmehr einen Eindruck der Breite und Komplexität vermitteln. Neben den potenziellen Auswirkungen auf den IFRS-Abschluss sind entsprechende Darstellungen im Lagebericht, insbesondere dem Wirtschafts- und dem Prognose-, Chancen- und Risikobericht, erforderlich. Im Zusammenhang mit einem erhöhten Informations- und Transparenzbedürfnis der Adressaten in Krisensituationen kommt einer konsistenten Berichterstattung in Abschluss und Lagebericht sowie der entsprechenden Verwendung von z.B. Annahmen als Schätzgrundlage eine besondere Bedeutung zu. Zudem sind Umstände und Ereignisse wie die Einführung und anschließende Aussetzung von US-Strafzöllen oder verhandelte temporäre und potenziell dauerhafte Waffenruhen und Friedensabkommen in der Ukraine und Nahost extrem schnelllebig und fragil, weshalb andauernde Beobachtung, Einordnung und gegebenenfalls Reaktion unerlässlich sind.
Partnerin | Head of Accounting & Reporting Advisory Services | Deloitte Deutschland
Partner | Leiter IFRS and Corporate Reporting Centre of Excellence | Deloitte Deutschland
Susanne Schramm
Manager | IFRS & Corporate Reporting Centre of Excellence | Deloitte Deutschland
Hier können Sie das gesamte Magazin als PDF herunterladen:
Teilen Sie diesen Artikel: