Corporate Governance Inside Legislation & Jurisdiction
Vorstandsvergütung in der zweiten Say-on-Pay-Saison
Die Vergütungssysteme von Vorständen in börsennotierten Gesellschaften befinden sich aktuell in der zweiten regulären Say-on-Pay-Saison, in der die Hauptversammlung den ersten regulären Folgebeschluss über das Vorstandsvergütungssystem gemäß § 120a Abs. 1 Aktiengesetz (AktG) zu fassen hat. Der vorliegende Beitrag erörtert ausgewählte inhaltliche Schwerpunkte in dem für die Beschlussvorbereitung durchzuführenden Review des Vorstandsvergütungssystems.
Ausgangspunkt: Zweck des Folge-Say-on-Pay-Beschlusses – und sein praktisches Zusammenspiel mit den jährlichen Beschlüssen der Hauptversammlung über den Vergütungsbericht
Die Hauptversammlung der börsennotierten Gesellschaft hat gemäß § 120 Abs. 1 S. 1 AktG über die Billigung des vom Aufsichtsrat vorgelegten Vergütungssystems für die Vorstandsmitglieder bei jeder wesentlichen Änderung des Vergütungssystems zu beschließen, mindestens jedoch alle vier Jahre. Der Gesetzgeber bezweckt mit dieser durch das ARUG II 2019 in das AktG aufgenommenen Regelung, dass der Aufsichtsrat durch die bloße Öffentlichkeitswirkung des Beschlusses zu einer besonderen Gewissenhaftigkeit bei der Wahrnehmung seiner aus § 87 AktG in Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung des Vorstandsvergütungssystems folgenden Aufgaben angehalten wird.
Der Beschluss ist für die Gesellschaft von hoher praktischer Relevanz: Er begründet zwar keine Rechte und Pflichten (kein „Decide to Pay“) und ist auch nicht anfechtbar (§ 120a Abs. 1 S. 2 und 3 AktG). Der Aufsichtsrat hat allerdings im Fall der Nicht-Billigung des Vorstandsvergütungssystems durch die Hauptversammlung spätestens in der darauf folgenden ordentlichen Hauptversammlung ein überprüftes Vergütungssystem zum Beschluss vorzulegen (§ 120a Abs. 3 AktG).
Einer solchen unmittelbaren Nicht-Billigung waren einzelne Vorstandsvergütungssysteme bei den relevanten börsennotierten Gesellschaften bereits bei der erstmaligen Beschlussvorlage des Vergütungssystems in der Hauptversammlungssaison 2020 ausgesetzt. Die betroffenen Gesellschaften hatten daraufhin für die Folge-Hauptversammlung teilweise umfassende Überarbeitungen des ursprünglich erarbeiteten Vergütungssystems vorzunehmen oder in einzelnen Fällen sogar das Vergütungssystem insgesamt neu aufzusetzen, um dann in der Folge-Versammlung die gewünschte Billigung zu erhalten.
Aber auch einzelne börsennotierte Gesellschaften, deren Hauptversammlung im ersten Say-on-Pay-Beschluss das vorgelegte Vergütungssystem billigte, hatten in der Folgezeit unter dem Eindruck des Feedbacks der relevanten Aktionäre gezielte Änderungen am System vorzunehmen, wenn/indem diese die jeweilige Beschlussfassung der Hauptversammlung über den Vergütungsbericht gemäß § 120a Abs. 6 AktG durch ein negatives Votum dazu nutzten, inhaltliche Kritik am angewendeten Vergütungssystem auszuüben und relevante Änderungen zu forcieren.
Steigender Einfluss der Stimmrechtsberater – und ihre Einbindung in die Fortentwicklung des Vergütungssystems im Vorfeld des Folge-Say-on-Pay-Beschlusses
Im Vorfeld der aktuellen Folge-Say-on-Pay-Beschlüsse ist dabei – wie auch schon in den jährlichen Beschlüssen über die Vergütungsberichte – ein weiterhin steigender Einfluss der Stimmrechtsberater auf die inhaltliche Ausgestaltung der Vorstandsvergütungssysteme zu verzeichnen. Sie haben ihre in standardisierten Leitlinien formulierten Erwartungshaltungen in den jährlichen Abstimmungsgrundsätzen in den vergangenen Jahren regelmäßig fortgeschrieben und konnten ihren Wirkungskreis bei den einzelnen börsennotierten Gesellschaften mit den jeweils vertretenen – vor allem institutionellen – Aktionären in der jeweiligen Hauptversammlung materiell ausbauen.
Mit dieser zunehmenden Wirkungsmacht einher geht die Erwartungshaltung der Stimmrechtsberater gegenüber den relevanten börsennotierten Gesellschaften, frühzeitig in die Fortentwicklung des Vorstandsvergütungssystems eingebunden zu werden. Betroffene Unternehmen hatten und haben daher im Vorfeld des Folge-Say-on-Pay-Beschlusses einen vom Aufsichtsratsvorsitzenden zu moderierenden Regel-Kommunikationsprozess zu etablieren. Dabei bringen die Stimmrechtsberater regelmäßig – auf der Grundlage ihrer Abstimmungsgrundsätze – eigene Vorschläge und Forderungen zur inhaltlichen Fortschreibung des Vergütungssystems ein. Aus Sicht der einzelnen Gesellschaft besteht dann mitunter die Herausforderung, dem jeweiligen Stimmrechtsberater die individuelle Abweichung von den allgemeinen Abstimmungsgrundsätzen mit der maßgeschneiderten inhaltlichen Ausgestaltung des Vorstandsvergütungssystems verständlich zu machen, die neben den konkreten operativen, risiko- und marktbezogenen Besonderheiten der operativen Geschäftstätigkeiten der Gesellschaft auch die individuellen Qualifikationen, Erfahrungen und incentivierungsbezogenen Erwartungshaltungen der einzelnen Vorstandsmitglieder berücksichtigen.
Aktuelle aktienrechtliche Rahmenbedingungen, wesentliche inhaltliche Forderungen der Aktionäre an die Fortschreibung des Vorstandsvergütungssystems und ihre Umsetzung in den bereits überarbeiteten Vergütungssystemen
Die aktienrechtlichen Rahmenbedingungen haben sich gegenüber dem initialen Say-on-Pay-Beschluss materiell nicht geändert. Der Regelungskatalog des § 87a AktG ist seit seinem Inkrafttreten unverändert. Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) hat in der im April 2022 veröffentlichten überarbeiteten Fassung DCGK 2022 einen Fokus auf Empfehlungen zur Nachhaltigkeit in der Unternehmensleitung und -überwachung gelegt. Dieser Fokus inkludiert unter anderem die Empfehlung der angemessenen Berücksichtigung der ökologischen und sozialen Ziele in der Geschäfts- und Risikostrategie (A.1 DCGK 2022), die sich im Vorstandsvergütungssystem mittelbar unter anderem in der Festlegung von nachhaltigkeitsbezogenen Vergütungsparametern für die variable Vergütung niederschlägt. Der Katalog der konkreten Leitsätze zur Vorstandsvergütung in Abschnitt G. DCGK 2022 blieb gegenüber der Vorversion (DCGK 2019) unverändert.
Vor diesem Hintergrund ergeben sich für die individuellen Vorstandsvergütungssysteme im Zusammenhang mit dem Folge-Say-on-Pay-Beschluss Änderungsbedarfe im Kern aufgrund von einzelnen unternehmensinternen operativen Erwägungen oder aufgrund entsprechender Impulse durch die relevanten Stimmrechtsberater.
Unternehmensinterne operative Erwägungen bedingen im Einzelfall unter anderem angezeigte Modifizierungen:
- In der Festlegung, Systematik und/oder Kalkulation der einzelnen finanziellen bzw. nicht-finanziellen Performanceparameter für die variable Vergütung: Hiervon betroffen sind insbesondere Unternehmen, die die jeweiligen Performanceparameter in der Konzeptionierung des Vergütungssystems zur Vorbereitung des initialen Say-on-Pay-Beschlusses als feste und für jedes Geschäftsjahr unbedingt anzuwendende Parameter bestimmt haben – und dann in der konkreten Durchführung des Vergütungssystems feststellen mussten, dass eine Operationalisierung praktisch mit einem erheblich größeren Aufwand verbunden ist als in der Konzeptionierung prognostiziert oder diese sogar (vor allem bei maßgeblichen Änderungen der Geschäfts- und/oder Risikostrategie) nicht (mehr) belastbar durchgeführt werden kann. Praktisch lässt sich hier eine größere Flexibilität erzielen durch die im Vorstandsvergütungssystem vorgegebene jährliche (Neu-)Festlegung des konkreten Performanceparameters durch den Aufsichtsrat.
- In der Administration des aktienbezogenen Vergütungsbestandteils. Hiervon betroffen sind insbesondere Unternehmen, die erstmals in dem zur Vorbereitung des initialen Say-on-Pay-Beschlusses erarbeiteten Vergütungssystem eine aktienbezogene Vergütungskomponente vorsahen, bei der konkreten Durchführung des Vergütungssystems allerdings festzustellen hatten, dass (1) bei echten Aktien die regelmäßige Nachbeschaffung der erforderlichen Aktienanzahl zur Bedienung der Ansprüche der Vorstandsmitglieder aus dem Vergütungssystem größere Herausforderungen mit sich bringt als ursprünglich geplant (etwa in den Folgebeschlüssen der Hauptversammlung zur jeweiligen bedingten Kapitalerhöhung oder in den relevanten Aktienrückkaufprogrammen), oder (2) bei virtuellen Aktien die konkrete Berechnung der Aktienkursentwicklung (vor allem bei Total-Shareholder-Return-Ansätzen) deutlich komplexer ist als in der ursprünglichen Erstellung des Vergütungssystems. Praktisch kommt in diesen Fällen ein Wechsel von echten Aktien zu virtuellen Aktien in Betracht oder etwa die Verortung der Aktienbezogenheit in einer Erwerbs- und Halteverpflichtung der Vorstandsmitglieder über ein Share Ownership Program (SOP).
- In der Reichweite der Öffnungsklausel zu etwaigen angezeigten vorübergehenden Abweichungen vom mit dem initialen Say-on-Pay-Beschluss verabschiedeten Vorstandsvergütungssystem nach Maßgabe des § 87a Abs. 2 AktG. Die initialen Fassungen der Vorstandsvergütungssysteme nutzten oft den in § 87a Abs. 2 AktG für vorübergehende Abweichungen vom verabschiedeten Vorstandsvergütungssystem bestimmten Regelungsspielraum nicht aus und hatten dann in der Durchführung des Vergütungssystems festzustellen, dass die konkret angezeigte temporäre eigenständige Regelung für das einzelne Geschäftsjahr (etwa in der inhaltlichen Festlegung von einzelnen Performanceparametern für die variable Vergütung) nach dem verabschiedeten Vergütungssystem nicht möglich ist. Praktisch erfahren diese Vergütungssysteme eine Erweiterung der Öffnungsklausel bis hin zur größtmöglichen Flexibilität aller gemäß § 87a Abs. 2 AktG temporär disponierbaren Vergütungsbestandteile.
Externe Impulse insbesondere von den Stimmrechtsberatern sind unter anderem auf folgende Modifizierungen des Vergütungssystems ausgerichtet:
- Nachjustierung des Anteils der einzelnen fixen und variablen Vergütungsbestandteile an der Gesamtzielvergütung bzw. an der maximalen Vergütung. In der Diskussion steht aktuell bei einzelnen Unternehmen insbesondere der quantitative Anteil der betrieblichen Altersversorgung an der Gesamtvergütung, den einzelne Stimmrechtsberater bei einem Anteil von mehr als 30 Prozent als zu hoch kritisieren und diesen in der Bandbreite zwischen 10 und 30 Prozent verorten wollen.
- (Horizontale) Angemessenheit der Vorstandsvergütung: Mit dieser Diskussion (bisher) oft einher geht die Erwartungshaltung an die objektive horizontale Angemessenheit der Vorstandsvergütung, die zur Beurteilung hierfür festgelegte Peergroup und die mit ihr verbundene Vergütungssystematik. Einzelne Stimmrechtsberater fordern hierzu in manchen Fällen eine größere Transparenz sowohl in Bezug auf die Beurteilungskriterien für die Festlegung der Peergroup als auch zu den konkret festgelegten Peergroup-Unternehmen.
- Fokus auf nachhaltigkeitsbezogene Performanceparameter für die variable Vergütung. Forderungen einzelner Stimmrechtsberater betreffen hier insbesondere die ökologische Dimension, die betroffene Unternehmen in der Geschäfts- und Risikostrategie und daraus abgeleitet auch im Vorstandsvergütungssystem transparent(er) zu dokumentieren haben.
- (Größerer) Fokus auf den aktienbasierten Vergütungsbestandteil. Hiervon betroffen sind bisher insbesondere Unternehmen, deren initiales Vergütungssystem keine echten Aktien oder (sogar) gar keinen Aktienbezug vorsieht und für die Stimmrechtsberater für die Performanceparameter der variablen Vergütung jedenfalls die Einführung von virtuellen Aktien oder/und zusätzlich die Anwendung von echten Aktien über ein SOP verlangen.
Zusammenfassung und Ausblick
Vom Folge-Say-on-Pay-Beschluss erfasste börsennotierte Unternehmen haben das Vorstandsvergütungssystem im Vorfeld der Hauptversammlung sorgfältig und bedarfsgerecht fortzuentwickeln. Ein frühzeitiger Austausch mit den maßgeblichen Stakeholdern (insbesondere Aktionären und ihren Stimmrechtsberatern, Vorstandsmitgliedern) stellt ein gemeinsames Verständnis über die Änderungserfordernisse und Änderungschancen sowie über die fortgeschriebene inhaltliche Ausgestaltung sicher und legt die Grundlage für eine möglichst hohe Zustimmung der Aktionäre in der Beschlussfassung zum Folge-Say-on-Pay-Beschluss in der Hauptversammlung.
Dr. Lars Hinrichs, LL.M. Partner| Employment & Pensions | Deloitte Legal
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